Religionsvertreter an Politik: Gegen Antisemitismus vorgehen
Kardinal Christoph Schönborn, Bischof Michael Bünker, Metropolit Arsenios Kardamakis und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Oskar Deutsch haben sich am Mittwoch in einem Offenen Brief an die politisch Verantwortlichen in Österreich gewandt, verstärkt gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus vorzugehen. Konkreter Anlass für die Erklärung ist zum einen das Gedenken an die Novemberpogrome 1938, die sich am 9. November zum 79. Mal jähren, und zum anderen die Konstitutionierung des Österreichischen Nationalrats, der am 9. November erfolgen wird. Der Brief ist deshalb auch in besonderer Weise an die heimischen Abgeordneten zum Nationalrat adressiert.
"Mit Bedrückung erleben wir in den letzten Jahren, dass überwunden geglaubte falsche Denkmuster wieder aufleben. Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus sind nicht nur Themen historischer Analysen vergangener Zeiten. Angesichts neuer Entwicklungen flackern wieder Brandherde von Haltungen auf, die erledigt schienen", halten Schönborn, Bünker, Kardamakis und Deutsch wörtlich fest. Das verleihe auch dem Gedenken am 9. November besonderes Gewicht - und sollte dies auch für jene haben, die Politik gestalten.
Der 9. November sei ein Tag der "schmerzlichen und bitteren Erinnerung" an die vom nationalsozialistischen Regime im Jahr 1938 inszenierte Pogromnacht, heißt es in der Erklärung. Tausende österreichische Juden und Jüdinnen seien beraubt und verhaftet, ja schwer verletzt oder getötet worden. "Es ist ein Tag der schamvollen Erinnerung, die zugleich das oft zitierte, aber immer wieder zu wenig ernstgenommene Wort 'Nie wieder' birgt", betonen die Vertreter von Kirchen und Judentum wörtlich.
Die Pogromnacht sei nicht aus heiterem Himmel gekommen. Ein jahrzehntelanger, tief in das 19. Jahrhundert hineinreichender Prozess sei ihr voraus gegangen, in dem mit pseudowissenschaftlichen Argumenten dramatische Unterschiede der Menschen konstruiert wurden. Es seien diese "absurden Konstruktionen", die im Denken allzu vieler damaligen Zeitgenossen dazu führten, Rechte und Würde ganzer Menschengruppen zu verneinen.
In der Gewissensforschung nach der Katastrophe der Shoah sei deutlich geworden, "dass der Widerstand der Christen gegen dieses Denken viel zu schwach war - und dies, obwohl ihr Glaube die Botschaft von der gleichen Würde aller Menschen auf Grund ihrer Gottebenbildlichkeit enthält", heißt es in der Erklärung. Die Botschaft von der gleichen Würde aller Menschen sei in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 in säkularer Form Gemeingut der Menschheit geworden.
Das kommende Jahr 2018 sei ein Jahr vielfachen Gedenkens. Es sei wünschenswert, dass insbesondere der 9. November und der 10. Dezember - der Jahrestag der Proklamierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte - zusammengesehen und entsprechend begangen werden. So könne vor allem die Jugend verstehen, "warum Menschen niemals ausgegrenzt werden dürfen".
In der christlich-jüdischen Erklärung wird aber auch auf die aktuellen Gedenkveranstaltungen am 9. November Bezug genommen. So werde u.a. in der Wiener Ruprechtskirche - wie alljährlich - der Opfer der Pogromnacht gedacht, auch im anschließenden Schweigegang zum Mahnmal auf dem Judenplatz, der zugleich Ziel der Aktion jüdischer Jugendlicher "Light of Hope" ist.
Weiters würden sich im Anschluss (20 Uhr) viele Christen aus unterschiedlichen Konfessionen im Wiener Stephansdom versammeln, um in einem ökumenischen Gebet für ein friedliches Miteinander in einem Europa einzutreten, in dem die Menschenrechte respektiert und ernst genommen werden. In diesem Gottesdienst mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch aus den Nachbarländern gehe es um Versöhnung, um Solidarität, Frieden und Toleranz in Europa. Im Gedenken an die Opfer der Pogromnacht könne dieses Gebet ein deutliches Bekenntnis der unbedingten Treue zum Grundsatz "Nie wieder" werden, heißt es abschließend in der Erklärung.
Wunsch nach verstärkter Zusammenarbeit
Dass sich die größten Kirchen Österreichs gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde äußern, ist ein Zeichen der praktischen Umsetzung des beiderseitigen Wunschs nach verstärkter Zusammenarbeit, so Prof. Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, gegenüber "Kathpress". Der Koordinierungsausschuss steht federführend hinter der Erklärung.
Jäggle erinnerte zugleich auch an den Festakt am Nationalfeiertag. Bei diesem habe Oberrabbiner Arie Folger an Kardinal Schönborn als Zeichen der Verbundenheit das Dokument "Zwischen Jerusalem und Rom - Eine Erklärung zum jüdisch-christlichen Dialog" überreicht.
► Wortlaut der gemeinsamen Erklärung
Quelle: kathpress