Psychiater und Ethiker warnen vor Schönreden des "Sterbefastens"
Die Suizidmethode durch bewusstes Verhungern und Verdursten ("Sterbefasten") wird häufig als friedvoller, selbstbestimmter Tod dargestellt. Gegen eine solche Verharmlosung wendet sich die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP). Die Methode könne "im Einzelfall sehr qualvoll verlaufen", schreibt ÖGPP-Präsidentin Christa Rados in einem Kommentar in der "Ärzte Woche".
Der Todeswunsch basiere bei körperlich schwerkranken Personen meist auf Ängsten vor unerträglichen Schmerzen, Verlust von Autonomie, dem Tod durch Ersticken oder der Angst, anderen zur Last zu fallen. Die Umsetzung von Sterbewünschen sei aus Sicht der ÖGPP grundsätzlich keine ärztliche Aufgabe, so Rados. Vielmehr brauche es eine Optimierung der palliativmedizinischen Versorgung sowie intensive ärztliche, pflegerische und psychotherapeutische Behandlung und Betreuung.
Entschieden lehnt die ÖGPP auch den Ausdruck "Sterbefasten" als "irreführend und verharmlosend" ab. Mit dem Wort Fasten verbinde man gemeinhin nicht den Tod durch Verhungern, sondern befristete Nahrungsreduktion aus gesundheitlichen, spirituellen oder religiösen Beweggründen. Daher sei der Gebrauch des Begriffs "Fasten" im Zusammenhang mit einer Selbsttötungsabsicht durch den Freiwilligen Verzicht auf Flüssigkeit und Nahrung (FVFN) fehlgeleitet.
Enrique Prat vom Wiener Bioethik-Institut IMABE begrüßt die Klarstellung der Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie. "Wer Sterbefasten romantisiert, geht an der Wirklichkeit vorbei", so der Ethiker in einer Stellungnahme. Bisherige Daten zeigten, dass sich für Nahrungsverzicht vorwiegend Personen entschieden, die mit einer schweren Krebsdiagnose oder progressiven Demenzerkrankung konfrontiert wurden.
Auch wehrt sich Prat dagegen, dass der Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit als natürliche Todesart propagiert werde. "Das sind ethisch zwei komplett verschiedene Fälle: Beim Tod durch vorsätzliches Verhungern und Verdursten fastet der Mensch nicht, sondern stirbt eine besondere Form des Suizids", betont der Experte. Demgegenüber hätten Menschen, die im Sterben sind, keinen Hunger und Durst mehr. "Diese Menschen sterben aber nicht, weil sie nicht essen oder trinken, sondern sie essen und trinken nicht mehr, weil sie sterben." Hier würden in der Diskussion zwei verschiedene Situationen bewusst vermischt, so Prat. "Der Tod durch Nahrungs- und Flüssigkeitsverweigerung ist kein natürlicher, sondern ein gewaltsamer Tod."
Bei Ärzten und Pflegenden kann diese Form von Suizidwunsch große Gewissensprobleme auslösen, denn auch das "Sterbefasten" geht nicht ohne ärztliche und pflegerische Maßnahmen wie Schmerzkontrolle oder Mundpflege. "Eine Zwangsernährung kann das Problem der FVNF nicht lösen. Gleichzeitig kann aber niemand von Anderen Beihilfe zur Selbsttötung einfordern", betont IMABE-Generalsekretär Prat: "Hier muss der Respekt vor der Gewissenshaltung des Personals gelten." Aus Prats Sicht müsste in solchen Fällen eine entsprechende palliative, spirituelle und psychosoziale Begleitung angeboten werden, die dem Suizidalen in der scheinbaren Ausweglosigkeit seiner Situation einen Ausweg aufzeigt.
Das Thema "Dem Sterbenden begegnen: Herausforderung an Pflege und Medizin" steht in der kommenden Woche auch im Fokus eines interdisziplinären Symposions in Wien. "Wir sind mit 300 Anmeldungen komplett ausgebucht", freut sich IMABE-Geschäftsführerin Susanne Kummer über das große Interesse an der Tagung, die das Bioethik-Institut im "Raiffeisen Forum" veranstaltet. Offenbar gebe es großen Gesprächs- und Informationsbedarf über den Umgang mit Sterbenden und dem Tod in den betroffenen Professionen, so Kummer. "Was brauchen Menschen, die in ihren letzten Tagen mit ihrer Endlichkeit unmittelbar konfrontiert sind - und was brauchen jene, die sie begleiten? Wie können wir im medizinischen Hochleistungsbetrieb eine Sprache humaner Sterbebegleitung wiedergewinnen? Welche ethischen Fragen stellen sich, wenn wir die Kunst des Sterbenlassens neu erlernen wollen? Das sind hochaktuelle Fragen, die auf der prominent besetzten Tagung behandelt werden." (Informationen zum Programm: www.imabe.org)
Quelle: kathpress