500 Jahre Reformation: "Europa weiter reformierungsbedürftig"
Reformationen sind in Europa und der Welt auch 500 Jahre nach Martin Luther weiter nötig: Darauf haben am Wochenende prominente Stimmen bei mehreren Veranstaltungen der Evangelischen Kirche anlässlich des Kirchenjubiläums hingewiesen. Einer der inhaltlichen Höhepunkte war dabei ein Gespräch zwischen dem evangelisch-lutherischen Bischof Michael Bünker und dem früheren Bundespräsidenten Heinz Fischer am Samstag in Salzburg. Das Ex-Staatsoberhaupt zollte dabei den Leistungen der Evangelischen Kirche "viel Respekt".
Fischer kam auf das nahende Republiks-Gedenkjahr 2018 zu sprechen und befand, dass die Demokratie nach 1945 ihren "ungeheuren Fortschritt" offenbar "nicht rasch genug oder auf falschen Spuren" vollzogen habe. Mit zentralen Themen wie den Menschenrechten, dem Verhalten gegenüber Flüchtlingen oder der Revolution im Informationssystem beschäftige sich die Gesellschaft viel zu wenig. Dennoch sei ein "Lernen aus der Geschichte" möglich. "Wenn man einen Schuss Optimismus hat und dem Menschen als vernunftbegabtes Wesen vertraut, ist man begeisterter Europäer und erst recht begeisterter Österreicher", so der Altbundespräsident.
Der evangelische Bischof Michael Bünker sah seine Kirche in einem "besonderen Auftrag, sensibel zu sein und die Stimme für jene zu erheben, die an der Seite stehen". Dies ergebe sich aus der Tatsache der 200 Jahre Krieg nach dem reformatorischen Aufbruch und dem heutigen Leben in Vielfalt und Pluralität. Das gegenwärtig gute Verhältnis zwischen den Kirchen ebenso wie zwischen Kirchen und Politik sei eine "besondere Gabe und Aufgabe".
Angesichts der Tatsache, dass dem reformatorischen Aufbruch 200 Jahre Krieg folgten, während heute ein Leben in Vielfalt und Pluralität Kennzeichen und zugleich Herausforderung unserer Zeit sei, hätten Evangelische einen "besonderen Auftrag, hier sensibel zu sein und die Stimme für jene zu erheben, die an der Seite stehen", sagte Bischof Bünker.
Als besonderes Anliegen hob Bünker ein "mehr an kritischer Bildung" hervor. Evangelische Christen seien dazu verpflichtet, zu friedlichem Zusammenleben "und nicht zur Verhetzung und Polarisierung" beizutragen. Nötig sei auch das Ingangsetzen einer "ökologischen Reformation".
Nachwirkungen bis heute
Zuvor hatte bereits am Freitag in Wien ein Symposium den bleibenden Impulsen der Reformation nachgespürt. Einige davon nannte bei der Veranstaltung im Außenministerium zum Thema "Europa semper reformanda" Bischof Bünker selbst: Die mit der Reformation verbundene "unbedingte Anerkennung jedes Menschen als Person" sei weiter höchst aktuell, ebenso wie das mit der Bibelübersetzung begründete Recht auf Muttersprachlichkeit. Dass die Bibel dem Zugriff der Wissenschaft ausgesetzt worden sei, könne man auch als Förderung der Selbstkritik und als "Weg, um Fundamentalismus zu bekämpfen" sehen.
Luthers Neuansätze bestimmten die evangelische Theologie und Kirche bis heute, erklärte die Mainzer Religionswissenschaftlerin Irene Dingel. Sie führte hier vor allem die Anerkennung der Bibel - statt der Kirche - als einzige Autorität sowie das unmittelbare Gottesverhältnis des Einzelnen unabhängig von Leistung, Stand und Geschlecht an. Reformatorische Theologie habe die "Freiheit der Weltgestaltung" betont und wesentlich zu Emanzipation und Gesellschaftsveränderung beigetragen. Europa verändert habe auch die "Neuentdeckung der Bildung" durch den Anspruch, dass Bildung für alle erreichbar sein müsse. Auch heute brauche es wieder den "Reformimpuls im Bildungsbereich", sagte Dingel.
Von einem "mutmachenden Potenzial" der Reformation im Bildungswesen sprach auch EU-Kommissar Johannes Hahn im Rahmen des Symposiums. Bildung müsse mehr sein als Ausbildung und sei ein "europäisches Anliegen um Zukunft abzusichern", so der Präsident des Rings Österreichischer Bildungswerke. Als wichtige Fähigkeit Europas bezeichnete Hahn zudem das Hören und Einbinden von Minderheiten. Letztere machten insgesamt eine "Mehrheit der Fantasie, Vielfalt und Pluralität - und das ist das, was Europa stark macht".
Quelle: kathpress