Katholischer Philosoph: Neorechte Islamkritik hat keinen Sinn
Der Wiener Professor für Christliche Philosophie Hans Schelkshorn hat im Blick auf die Nationalratswahl appelliert, ein Votum für Schutz der universellen Menschenrechte abzugeben. In einem Interview für die Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (Ausgabe 8. Oktober) betont er die Notwendigkeit, sich das Wesen der Demokratie neu bewusst zu machen, was gerade für Christen wichtig sei. Diesbezüglich müsse vor neorechten Strömungen gewarnt werden, weil diese letztlich auf einen autoritären Staat abzielten, den sie auf einem völkischen Nationsverständnis gründen wollten. Im Zeitalter der Globalisierung sei dies freilich ein Anachronismus, so Schelkshorn. Er warnte in dem Interview auch vor neorechter Islamkritik.
Schelkshorn präzisierte, dass neorechte Strömungen nicht nur in neorechten Parteien präsent seien und dass es ihm generell nicht um eine Wahlempfehlung, sondern um "die Bewahrung der Demokratie" gehe. Christen müssten verstehen, dass der moralische Pluralismus moderner Demokratien allen Bürgern schmerzliche Kompromisse zumute.
"Doch wir müssen uns stets bewusst bleiben, dass die Alternative ein autoritärer Staat ist, den neorechte Bewegungen heute auf einer völkischen Auslegung der Nation gründen. Gewiss, auch liberale Demokratien verbinden die universellen Menschenrechte mit dem Begriff der Nation. Das ist immer ein Spagat. Bei allen schmerzlichen Kompromissen sollten sich jedoch Christen bewusst sein, dass die Menschenrechte auch christliche Wurzeln haben", so der Wissenschaftler.
Was die neorechten Parteien in Europa betreffe, so müsse gesehen werden, dass sie zwar sehr unterschiedlich seien, aber dennoch "eine gemeinsame Matrix, dieses völkische Element", hätten. Sie bezögen sich jeweils auf nationale Traditionen antiliberaler Orientierung, wobei jede dieser Parteien das Ergebnis von Auseinandersetzungen verschiedener Gruppen" sei.
"Besonders sichtbar" sei dies in der AfD, erläuterte Schelkshorn: "Ursprünglich war die AfD eine liberale Partei, die Transferzahlungen Deutschlands nach Griechenland verhindern wollte. Aber sie wurde in kurzer Zeit von neorechten Gruppierungen unterwandert und hat inzwischen eine sehr starke neorechte Ausrichtung."
Die Demokratie müsse heute einerseits gegenüber neorechten Bewegungen, andererseits aber auch gegenüber anderen antidemokratischer Bewegungen, die sich auf andere religiöse Traditionen stützten, verteidigt werden, betonte der Theologe: "Natürlich sind wir hier in Europa primär mit sehr extremen Strömungen aus dem Nahen Osten konfrontiert. Die Entwicklung in der Türkei ist eindeutig in ein autoritäres System gemündet. Das sind ernsthafte Bedrohungen für demokratische Entwicklungen in der Welt, denen es entgegenzutreten gilt. Es hat aber keinen Sinn mit einer neorechten Ideologie, die selbst die Demokratie aushöhlt, die antidemokratischen Strömungen in islamischen Bewegungen kritisieren zu wollen."
Demgegenüber forderte Schelkshorn, die Augen offen zu halten "für die demokratischen Bewegungen in islamischen Ländern, die in jüngster Zeit oft brutal unterdrückt werden". Und es gebe auch Beispiele, dass Islam und Demokratie zusammengehen könnten, wie etwa in Indonesien. Dennoch wolle er "die enormen Probleme in der islamischen Welt nicht verharmlosen". Wichtig sei, "dass sich demokratische Kräfte in Europa mit den demokratischen Kräften in den islamischen Ländern solidarisieren".
Die Demokratie eröffne auch religiösen Menschen die Möglichkeit, ihre moralischen Perspektiven in der Öffentlichkeit offensiv einzubringen. Es gelte aber, der Versuchung zu widerstehen, moralische Positionen mit autoritären Mitteln durchzusetzen. "Argumentative Praxis ist das Salz der Demokratie. Dies bedeutet, dass jeder seine eigene Position zur Disposition stellt. Ohne argumentativen Dialog droht eine politische Kultur, in der politische Gruppierungen ihre Auseinandersetzungen nur mehr als einen Machtkampf inszenieren. Dies führt zu einem Verfall der Demokratie", so Schelkshorn Fazit.
Quelle: kathpress