Schönborn: Kirche soll Politik Gemeinwohlorientierung abverlangen
Die Kirche soll heute im Unterschied zum politischen Katholizismus der Zwischenkriegszeit "sicher nicht ein parteipolitisches, sondern ein am Gemeinwohl orientiertes" Bild abgeben. Das hat Kardinal Christoph Schönborn in einem Interview unterstrichen, das Autor Hubert Nowak für sein jüngst erschienenes Buch "Ein österreichisches Jahrhundert. 1918-2018" mit dem Wiener Erzbischof führte. "Ich glaube, die Kategorie des Gemeinwohls ist im Moment vielleicht die wichtigste Kategorie für die politische Orientierung, die wir brauchen", sagte Schönborn.
Partikularinteressen von Parteien, Wirtschaft, Standesvertretungen etc. werde es immer geben und sie seien legitim; er sehe die politische Aufgabe der Kirche heute in einem größeren "gemeinwohlorientierten Blick auf alle Bereiche der Öffentlichkeit" wie Wirtschaft oder Politik, erklärte der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz. Zugleich räumte Schönborn ein, dass das Pochen auf Grundsätze leichter sei als deren Umsetzungen in die politische Praxis: "Natürlich gibt es, je mehr man ins Konkrete geht, auch komplexere Antworten. Das Prinzip ist relativ leicht zu formulieren."
Im Rückblick auf die Geschichte in der Monarchie und in der Ersten Republik bezeichnete Kardinal Schönborn die damals vorherrschende Distanz zwischen Kirche und Arbeiterschaft als "sicher eine tragische Entwicklung". Zugleich verwahrte er sich gegen jede Schwarz-weiß-Zeichnung: Es habe auch in die Arbeiterschaft starke christliche Impulse gegeben, wenngleich nicht so markant wie etwa in Polen, wo die Arbeiterschaft ganz stark mit der Kirche verbunden geblieben sei. Die christlichsoziale Bewegung sei jedenfalls "keine großbürgerliche" gewesen, "und es gab kirchliche Kreise, die das mit großer Sorge gesehen haben", plädierte der Wiener Erzbischof für ein "differenziertes Bild".
Papst ließ Bischöfe "im Regen stehen"
Er verwies dabei auf seinen Ururgroßonkel Franziskus von Paula Schönborn, damals Erzbischof von Prag und Ende des 19. Jahrhunderts Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz. Dieser habe in Rom "heftig interveniert gegen die Christlichsozialen", aus Sorge um das revolutionäre Potenzial dieser Bewegung, aber auch wegen antisemitischer Programmpunkte. "Das Erstaunliche war dann aber, dass Papst Leo XIII. (1891 Autor der ersten Sozialenzyklika "Rerum Novarum", Anm.) die christlichsoziale Bewegung gestützt hat und die österreichischen Bischöfe eher im Regen hat stehen lassen", schilderte Schönborn.
Der Schaden, der aus dem politischen Katholizismus der 1930er-Jahre für die Kirche entstand, sei nachhaltig gewesen, "es hat lange Jahrzehnte nach dem Krieg gebraucht, damit hier wirklich die Brücken geschlagen und die Gräben zugeschüttet wurden". Ein Bundeskanzler wie Prälat Ignaz Seipel oder ein Sozialminister wie Theodor Innitzer, der später Erzbischof und Kardinal wurde, "wäre heute undenkbar und ist ausdrücklich vom Kirchenrecht verboten". Das Anliegen des politischen Katholizismus war es nach den Worten Schönborns, "das Christentum sozusagen eins zu eins in politische Kategorien umzusetzen". Das habe jedoch "bis hin zu diktatorialen Elementen" gereicht.
Parteipolitische Distanz "unbedingt richtig"
Heute sei parteipolitische Distanz des Klerus selbstverständlich. "Ich halte das für unbedingt richtig und notwendig", betonte Schönborn. Das bedeute aber nicht, "dass die Geistlichen sich jeglicher politischer Äußerung enthalten sollen, aber wie vorher gesagt, in der Gemeinwohlorientierung mit Blick auf die Menschenrechte, die Menschenwürde, da sollen die Geistlichen durchaus auch ein klares Wort haben. Notfalls auch ein kritisches Wort. Aber sicher nicht in parteipolitischer Funktion."
Heute ließen sich die christlichsozialen Anliegen der Ersten Republik nicht eindeutig einer politischen Kraft zuordnen, so der Kardinal. Im ÖAAB sei diese Tradition präsenter als etwa im Wirtschaftsbund der ÖVP, "und die Sozialdemokratie ist heute nicht mehr sozusagen mit dem Proletariat verbunden, weil es das Proletariat in dieser Form heute gar nicht mehr gibt".
Die Erfahrung gemeinsamen Leids in der Nazizeit habe die früheren Konflikte zwischen Austromarxisten und Heimwehr überwinden geholfen, so Schönborn, "die Sozialpartnerschaft ist aus dieser Erfahrung entstanden". Als einer, der lange in Frankreich, in der Schweiz und in Italien lebte, halte er es für ein große Errungenschaft, dass man in Österreich "miteinander am Tisch sitzt und so lange diskutiert, bis der Konflikt gelöst ist".
Hubert Nowaks "Ein österreichisches Jahrhundert. 1918-2018" ist dieser Tage im Molden-Verlag erschienen. Der Autor führte dafür auch Gespräche mit Altbundespräsident Heinz Fischer, mit Ex-Rechnungshofpräsident Franz Fiedler und mit dem Enkel des letzten Kaisers der Donaumonarchie, Karl Habsburg.
Quelle: kathpress