"Nicht Trennung ist unser Erfolgsrezept, sondern Kooperation"
Nicht die Trennung von Staat und Kirche ist das Erfolgsrezept und Bedingung einer auf Gemeinwohl hin ausgerichteten Politik, sondern die Kooperation. Das hat der katholische Publizist und "Furche"-Herausgeber Heinz Nußbaumer bei einem Vortrag am 10. September in der Evangelischen Kirche Mödling unterstrichen.
Ich behaupte, dass Staat und Kirche, Staat und Religion, bei aller Verschiedenheit ihrer Zuständigkeiten, weit mehr an Berührungsfeldern haben und haben müssen, als uns das bewusst ist. Mehr noch: Dass beide einander Entscheidendes zu geben haben - freilich nur, solange sie nicht in Abhängigkeit voneinander geraten.
Gemeinsam arbeite man schließlich "im selben Bergwerk", nämlich "im Dienst an denselben Menschen, die zugleich Bürger und auch Gläubige sind".
Darüber hinaus gelte es, einen neuen Schulterschluss unter allen Christen und Menschen guten Willens zu üben, um einem alle Gesellschaftsbereiche durchdringenden Argwohn entgegenzutreten, so Nußbaumer. Dies sei auch eine jener Lehren, die er sich vom heurigen Reformationsjubiläum als nachhaltigen Impuls erhoffe:
Wenn wir uns in diesem Gedenkjahr der Reformation über alle Konfessionen hinweg etwas vornehmen sollten, dann vielleicht dies: Gemeinsam gegen die immer bedrohlicheren Glutnester des Argwohns vorzugehen.
Der Vortrag Nußbaumers unter dem Titel "Freiheit und Verantwortung in der Politik" stand in der Reihe "Themen-Sonntagsgottesdienste", zu denen die evangelische Kirche anlässlich des Reformationsjubiläums in die Pfarre Mödling einlädt. Unter den Referenten sind prominente Namen wie etwa Eva Glawischnig, Ulrich Körtner, Renate Schmidkunz, Karlheinz Essl und Michael Chalupka. Der Kathpress-"Info-Dienst" dokumentiert den Vortrag von Heinz Nußbaumer im Folgenden im Wortlaut:
Erstmals feiern wir heuer ein Reformationsgedenken im Zeichen der Ökumene. Deshalb darf auch ich als katholischer Laie vor Ihnen stehen. Das ist eine Entwicklung, die mich begeistert - und ich danke sehr für diese Einladung! Vermutlich mache ich es mir zu einfach. Aber seit langem bin ich überzeugt, dass ich - so gut ich es halt kann - zugleich katholisch, evangelisch und orthodox bin: Katholisch im Wissen um die weltumspannende Einheit der Kirche Jesu Christi. Evangelisch, weil der Botschaft des Evangeliums verpflichtet. Und orthodox in der Hoffnung, auch "rechtgläubig" zu sein.
Eben komme ich aus Wittenberg und von der Wartburg - und bald geht es wieder auf den Athos, den heiligen Berg der Orthodoxie. Dass ich für so viel an Grenzüberschreitung nicht mehr auf einem Scheiterhaufen brennen muss, das macht mich sehr dankbar. Sie haben mir für heute ein Thema vorgegeben: "Freiheit und Verantwortung in der Politik". Ich kann es nur mit wenigen Gedanken anklingen lassen - selektiv und subjektiv.
Wir alle wissen, dass jedes Bemühen um ein "Gemeinwohl" nur unter dem Vorzeichen dieser beiden Zwillingsbegriffe sinnvoll ist: Freiheit und Verantwortung. Nur dort, wo sich die Freiheit des Einzelnen mit der Verantwortung für die Gemeinschaft bündelt, nur dort ist auch ein gerechtes, friedliches Zusammenleben denkbar. Nirgendwo sonst.
Nur dort, wo sich die Freiheit des Einzelnen mit der Verantwortung für die Gemeinschaft bündelt, nur dort ist auch ein gerechtes, friedliches Zusammenleben denkbar. Nirgendwo sonst.
So habe ich in Journalismus und Politik früh gelernt, wie viel unsere säkulare Gesellschaftsordnung neben ihren geistigen Wurzeln in Athen, Rom und Jerusalem auch der Reformation verdankt. Sie hat ja das Christentum schon vor 500 Jahren an die damals so kühne Vision eines freien und gebildeten, eines mündigen und verantwortlich handelnden Christen gebunden - und so den Weg zur Moderne vorangetrieben. Heute wissen wir, wie viel auch die römische Kirche diesem geistigen Aufbruch verdankt - trotz aller Tragödien auf dem Weg. Aber das ist heute nicht unser Thema.
Vielmehr geht es um die heikle Beziehung zwischen Staat und Kirche. Ich behaupte - und weiß, wie riskant das ist -, dass Staat und Kirche, Staat und Religion, bei aller Verschiedenheit ihrer Zuständigkeiten, weit mehr an Berührungsfeldern haben und haben müssen, als uns das bewusst ist. Mehr noch: Dass beide einander Entscheidendes zu geben haben - freilich nur, solange sie nicht in Abhängigkeit voneinander geraten.
"Im selben Bergwerk"
So halte ich - gegen den Zeitgeist und auch gegen manche politische Wortmeldung - das gängige Wort von der "Trennung" zwischen den Beiden für unpräzise und irreführend. Es entspricht nicht unserer gelebten Wirklichkeit. Schon allein deshalb nicht, weil beide, der Staat und die Kirchen, letztlich - um es plakativ zu sagen - "im selben Bergwerk" arbeiten: nämlich im Dienst an denselben Menschen, die zugleich Bürger und einmal mehr, einmal weniger - auch Gläubige sind. Nicht Trennung ist also unser Erfolgsrezept, sondern respektvolle Kooperation. Auf ihr beruht letztlich auch der gottlob hohe Grundwasserspiegel an sozialer Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit in unserem Land.
Nicht Trennung ist also unser Erfolgsrezept, sondern respektvolle Kooperation.
Was Staat und Kirche zudem aneinander bindet, das ist die Erkenntnis, dass keine Gemeinschaft auf Dauer ohne gemeinsame Werte überleben kann. Dass jede Gesellschaft, die auf Solidarität, auf Gerechtigkeit und Menschenwürde setzt, immer auch Maßstäbe und Orientierungspunkte braucht, die über unsere menschliche Ich-Sucht hinausgehen.
Wie es zu solchen Werten kommt, das ist eine recht heikle Frage. Berühmt ist das Wort, dass - und ich zitiere den deutschen Verfassungsrechtler Böckenförde - "der freiheitliche, säkularisierte Staat (...) von Voraussetzungen [lebt], die er selbst nicht garantieren kann." Das heißt: Auch die beste Politik kommt nicht ohne Institutionen aus, deren Kerngeschäft die Bewahrung und Verkündigung von Werten ist. Diese Erfahrung sollte uns aber auch nachdenklich stimmen angesichts aller "Verdunstung des Religiösen" und der zunehmenden Beliebigkeit und Banalisierung und auch angesichts mancher Glaubwürdigkeitskrisen kirchlicher Institutionen.
Künder und Mahner bleibender Werte
Das heißt aber auch: So wie die Kirchen am Wohlergehen des Staates und an einer qualifizierten politischen Führung interessiert sein müssen, so muss auch die Politik anerkennen, welche Bedeutung gläubige Menschen für sie haben als Künder und Mahner bleibender Werte und gelebter Tugenden. Freilich immer im Rahmen jener Schranken, die ihnen die Verfassung zuweist.
Gerade die Krisen unserer Zeit - Politikkrisen-, Wirtschafts- und Finanzkrisen usw. haben uns eine wichtige Lektion erteilt: Dass nämlich alle staatlichen und internationalen Gesetze recht wenig nützen, wenn sie am geistig-seelischen Versagen, an Egoismus und Gier zerschellen. Und: Dass die rasante technische Entwicklung dem Einzelnen immer mehr Möglichkeiten in die Hand gibt, um Andere zu hintergehen.
Dass nämlich alle staatlichen und internationalen Gesetze recht wenig nützen, wenn sie am geistig-seelischen Versagen, an Egoismus und Gier zerschellen.
Mehr denn je braucht es also Menschen, die bereit sind, ihre eigene Freiheit mit ihrer Verantwortung für Andere zu verknüpfen. Es braucht Menschen, die uns immer wieder daran erinnern, was richtig ist und was nicht. Menschen, die sich mutig zu Wort melden, wenn sich Politik, Wirtschaft, Medien und andere an ihnen versündigen. Jede Gesellschaft lebt von überzeugenden, gelebten Beispielen.
Solidarität im globalen Dorf
Unsere Zeit schreit nach Menschen, die wissen, dass Freiheit dauerhaft nicht ohne Verantwortung zu haben ist; dass im "globalen Dorf" niemand mehr für sich alleine lebt; und dass wir trotz aller Explosion des Wissens immer nur "Geschöpfe" bleiben und nie selbst "Schöpfer" spielen dürfen. Wir brauchen Menschen, denen das Leid anderer noch auf der Seele brennt im eigenen Land und in der weiten Welt. Nicht nur in politischen Funktionen, sondern im ganzen Staatsvolk!
Wir brauchen Menschen, denen das Leid anderer noch auf der Seele brennt im eigenen Land und in der weiten Welt. Nicht nur in politischen Funktionen, sondern im ganzen Staatsvolk!
Wo aber finden wir sie? Untersuchungen zeigen: Es sind die religiös geprägten Mitbürger, deren Verantwortungs- und Solidaritätskreise im Regelfall weiter hinausreichen, als bei religionsfernen Bürgern. Menschen, die an den vielen Fronten unseres Lebens beweisen, dass gläubige Herzen und offene, dienende Hände meist zusammengehören.
Auf den Punkt gebracht heißt das: Je mehr Verantwortlichkeit vor Gott, desto weniger selbstbezogen und wie die Soziologie sagt - "von Belohnungsstreben geleitet" sind wir. Eine solche Haltung hat auch ihr politisches Gewicht, mit dem unser Staat sorgsam umgehen sollte!
Sie alle wissen aus Erfahrung ich möchte es aber doch aussprechen: Es sind unsere großen kirchlichen Sozialwerke - vor allem Caritas und Diakonie mit ihren zehntausenden Mitarbeitern und Helfern -, die Tag für Tag und mit einem unglaublichen Einsatz an den Rändern unserer Gesellschaft und unseres Lebens unterwegs sind im Kampf gegen Armut und Hilflosigkeit, gegen Unfreiheit und Ausgrenzung, gegen Entmenschlichung und Verzweiflung. Die auch noch dort tätig sind, wo der helfende Arm unseres Staates zu kurz oder zu schwach ist.
Es sind auch die religiös motivierten Medien, die noch konsequent in die dunklen Winkel der Welt und unserer Gesellschaft hineinleuchten, um ein Bewusstsein für das Notwendige zu schaffen. Und es sind unsere Pfarren, die "Kleinkraftwerke" solche unersetzlichen Energien entfalten! Warum das so ist? Weil in Christen das Wissen um die Ebenbildlichkeit Gottes in jedem von uns lebt gleichgültig, woher er kommt, wie er aussieht, was er denkt und glaubt.
Wachsender Argwohn als Problem
In diesem Zusammenhang möchte ich noch ein Thema ansprechen, das mir zunehmend Sorge bereitet: Wir haben zuletzt einen schlimmen Verlust an Grundvertrauen zugelassen - in allen Lebensbereichen. Argwohn ist zu einer Grundbefindlichkeit unserer Tage geworden: Argwohn zwischen gesellschaftlichen, ja auch religiösen Gruppen; Argwohn gegenüber allen, die von außen kommen; Argwohn gegenüber jenen, die uns etwas wegnehmen könnten; Argwohn gegenüber allen, die uns im Weg stehen könnten etc.
Ich halte das für ein großes Unglück. Denn jeder Argwohn, jedes Abgrenzen und Ausschließen, trägt einen Keim des Zerstörerischen in sich. Ohne ein Minimum an Vertrauen ist jede Beziehung, jedes Gemeinwesen, vom Scheitern bedroht. Unsere Demokratie und unser christliches Menschenbild setzen auf Vertrauen und Zutrauen - ebenso unser globales Rechtssystem. Die Unschuldsvermutung ist das große Bollwerk gegen die Aushöhlung der Menschlichkeit.
Denn jeder Argwohn, jedes Abgrenzen und Ausschließen, trägt einen Keim des Zerstörerischen in sich. Ohne ein Minimum an Vertrauen ist jede Beziehung, jedes Gemeinwesen, vom Scheitern bedroht.
Wir alle aber kennen Mitbürger und politisch Verantwortliche, die für immer noch mehr vorbeugende Kontrolle eintreten, noch mehr Misstrauen fördern: Lieber auf der Hut sein. Lieber mit dem Schlechteren rechnen. Lieber den möglichen Missbrauch vermuten. Vielleicht steckt auch in dieser Haltung ein Stück Wahrheit. Aber es ist nicht die Wahrheit unseres Glaubens. Sie reduziert nicht nur unsere Freiheiten - sie ist auch ein perfekter Vorwand, um keine Verantwortung für Andere übernehmen zu müssen.
Wenn wir uns in diesem Gedenkjahr der Reformation über alle Konfessionen hinweg etwas vornehmen sollten, dann vielleicht dies: Gemeinsam gegen die immer bedrohlicheren Glutnester des Argwohns vorzugehen. Das hieße: Als Bürger mehr Mut zu Solidarität und Nächstenhilfe; auch mehr konkretes Engagement, um auf den Lauf der Dinge Einfluss zu nehmen. Mehr mit zu entscheiden, mit zu handeln. Vor allem aber: Vor manchen Entwicklungen des Zeitgeistes nicht mundtot und feige zu werden. Im Vertrauen, dass es - von unserem Glauben geführt - letztlich zum Guten hingeht.
Religiöser Analphabetismus
Wie schon erwähnt war ich erst vor wenigen Tagen an den Schauplätzen der Reformation. Unterwegs durch Luthers engere Heimat, unterwegs durch die Ausstellungen über sein Vermächtnis - und durch die Kirchen und Kathedralen, in denen einst so intensiv um den rechten Glauben gerungen wurde - und überall dort inmitten vieler Menschen, die jeden Winkel dieser Gotteshäuser und sich selbst fotografieren, habe ich schmerzlich bemerkt, wie wenige gläubige, andächtige, betende Menschen da zu sehen waren. Diese Erfahrung verbindet heute ja all unsere christlichen Konfessionen auf tragische Weise miteinander.
Wie aber werden wir die Fundamente unserer Kultur und unserer Werte bewahren und als Forderung an die Politik herantragen können, wenn wir selbst das Wissen über unseren Glauben verlieren, wenn wir die zeitlose Sprache und Symbolik unserer Kirchen nicht mehr lesen - und den Auftrag für heute und morgen nicht mehr erkennen können? Dieser bangen Frage werden wir nicht entkommen. Es sind nicht die muslimischen Flüchtlinge, die unseren Traum vom "christlichen Abendland" unterwandern - es sind wir selbst!
Es sind nicht die muslimischen Flüchtlinge, die unseren Traum vom "christlichen Abendland" unterwandern - es sind wir selbst!
Ich möchte mit einer persönlichen Erfahrung schließen: Seit Jahrzehnten fahre ich als Pilger in ein Kloster am Athos. Manche Mönche dort sind Freunde geworden, die mich an ihren Erfahrungen teilnehmen lassen. Am letzten Abend einer solchen Athos-Reise bin ich vor einigen Jahren mit Mönchen auf dem Balkon meiner Zelle gesessen - unter einem südlichen Sternenhimmel und vor einem zeitlos rauschenden Meer. In diese Nacht hinein habe ich damals eine vermutlich naive Frage gestellt: "Wie sieht dieser himmlische Vater, zu dem Ihr so viele tausende Stunden betet, für euch aus? Wie könnt Ihr ihn euch bildlich vorstellen, damit euch die Nähe gelingt, die Euer Leben trägt?"
"Heute bist das Du"
Nach einer langen Stille hat einer der Mönche die Antwort in vier Worten zusammengefasst, die mich zutiefst bewegt haben. Er hat mich angeschaut und gemeint: "Heute bist das Du!" Es war die radikalste Form, das Wort von der Gottes-Ebenbildlichkeit des Menschen in unser Leben zu übersetzen: "Heute bist das Du!" Erst später habe denselben Gedanken bei Kardinal König gefunden. Er sagt: "Um Gott zu finden, werden wir ihm in unseren Mitmenschen begegnen müssen!"
Wenn wir uns dieser enormen Verantwortung bewusst sind, überall vor "Ebenbildern Gottes" zu stehen, dann fallen uns die großen Aufgaben eigentlich ganz von selbst zu: Es sind Aufgaben als Bürger - und Aufgaben als Christen, gleichgültig, in welche Konfession wir hineingewachsen sind. Dann geht es immer um die engagierte Rettung unseres Gottes- und unseres Menschenbildes. Um unsere Verantwortung vor dem Schöpfer und vor seinen Geschöpfen. Und vor der Schöpfung. Dann gilt für uns nicht nur die alte Freiheitsparole "Wir sind das Volk!" Sondern ebenso: "Wir sind Sein Volk!" Nicht leicht, beides zu leben. Aber versuchen müssen wir es - immer wieder.
Quelle: kathpress-Infodienst