"Überraschende Gemeinsamkeiten" bei christlich-muslimischem Lunch
Für alle Religionen - und damit auch für das Christentum und den Islam - gilt es, die "säkulare Gesellschaft als eine der wichtigsten Errungenschaften der westlichen Aufklärung" anzuerkennen. Das ist laut Christian Bauer eine von mehreren "überraschenden Gemeinsamkeiten", die das Ergebnis eines ebenso niedrigschwelligen wie genussvollen christlich-muslimischen Dialogs in Innsbruck darstellt. Bauer, Professor für Interkulturelle Pastoraltheologie, und Zekirija Sejdini, Professor für islamische Religionspädagogik, treffen einander regelmäßig in einem nepalesischen Restaurant gegenüber dem Innsbrucker Karl-Rahner-Platz zum gemeinsamen Mittagessen, "anregendes interreligiöses Theologisieren inklusive".
Im Sinne eines "nachchristentümlichen Christentums" bzw. eines "postislamistischen Islam" sei allen theokratischen Versuchungen beider Religionen eine Absage zu erteilen, umschrieb Bauer in seinem Beitrag für die theologische Feuilleton-Website "feinschwarz.net" eine weitere Übereinstimmung mit seinem muslimischen Kollegen. Jede einseitige Parteinahme des Staates zugunsten einer bestimmten Religion sei "aus religiösen Gründen theologisch zu kritisieren". Und dies unabhängig davon, "ob es sich um eine vom Land Tirol finanzierte katholische Pfarre bzw. christliche Kreuze im Gerichtssaal handelt oder um das Verbot, in Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung christliche Kirchen zu bauen".
Dem entspricht eine konsequente Befürwortung des Menschenrechtes auf Religionsfreiheit durch Bauer und Sejdini: Voraussetzung für einen wahren Glauben sei nur dann gegeben, wenn die Menschen sich frei und ohne jeglichen institutionellen und staatlichen Zwang für oder gegen eine Religion entscheiden können. Die freie Entscheidungsmöglichkeit in Glaubensfragen sei "nicht nur ein theologisch legitimierbares Grundrecht, sondern das Fundament einer pluralen demokratischen Gesellschaft".
Anerkennung von theologischer Diversität
Auch im Blick auf Bibel bzw. Koran und deren Auslegung in der Tradition gebe es Konsens: "Wir sind beide davon überzeugt, dass der einzelbiografische und zeitgeschichtliche Kontext eines jeden heiligen Textes und seine Tradierung von grundlegender Bedeutung sind", betonte Bauer. Text und Kontext seien grundlegend miteinander verbunden, denn der jeweilige historische Kontext schreibe sich in den Heiligen Text ein - "und die gegenwärtige Erfahrung von heute ist die Tradition von morgen".
In den religiösen Traditionen von Christentum und Islam gebe es eine berechtigte Vielfalt theologischer Schulen, nicht aber "eine einzig wahre Auslegung unserer heiligen Texte". Mit dieser Anerkennung von Diversität sei die Absage an eine "theologische Einheitsfiktion" verbunden, die nur die eigenen Prämissen gelten lässt und davon abweichende Meinungen als eine auszulöschende Bedrohung des Eigenen begreift, erklärte Bauer. Sowohl die intrareligiöse als auch die interreligiöse Vielfalt sei als "gottgewollte Bereicherung" zu betrachten, sowie als wesentliches Merkmal, das die gesamte Schöpfung auszeichnet. Der katholische Pastoraltheologe wörtlich: "Zu glauben, die Wahrheit zu besitzen, zeugt nicht nur von einer mangelnden Unkenntnis über die wahre Natur und die Unverfügbarkeit der Wahrheit, sondern stellt auch Anmaßung gegenüber Gott dar."
Die genannten Konsensbereiche seien in beiden Religionen "zum Teil höchst umstritten", ist sich Bauer im Klaren. Beim gemeinsamen Gedankenaustausch beim Mittagsmahl erstaune ihn und Sejdini immer wieder, "dass man mit Menschen einer anderen Religion - bei Wahrung aller geschichtlich gewachsenen Unterschiede - mehr Gemeinsamkeiten haben kann als mit Menschen der eigenen". Ja, mehr noch, "dass es ein Zerbröckeln des interreligiösen Dissenses ebenso gibt wie ein Zerbröckeln des intrareligiösen Konsenses". Für Bauer und Sejdini gelte jedenfalls: "Neue Solidaritäten entstehen, die zu einer Verbesserung unserer zerrissenen Welt beitragen können."
Quelle: kathpress