IKG-Präsident Deutsch warnt vor steigendem Antisemitismus in Österreich
Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), warnt vor einem zunehmenden Antisemistismus in Europa bzw. spezifisch auch in Österreich, der sich zuletzt auch von Seiten der politisch Linken deutlich manifestiert hat. Er wünscht sich zugleich Bildungsmaßnahmen für muslimische Flüchtlinge in Österreich, damit diese ihre antisemitischen Einstellungen überwinden könnten. Das Verhältnis zwischen Judentum und den Kirchen in Österreich bezeichnet er als sehr gut.
Der IKG-Präsident äußert sich in einem Interview mit der Religionsabteilung der ORF-Hörfunks anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Buches über die Zukunft des Judentums in Europa. Ein ausführlicher Beitrag dazu ist am Sonntag, 13. August, in der Ö1-Sendung "Erfüllte Zeit" (7.05 Uhr) zu hören, ein Vorbericht ist bereits auf der Website "religion.of.at" online.
Der Band "Die Zukunft Europas und das Judentum - Impulse zu einem gesellschaftlichen Diskurs" umfasst Beiträge von namhaften Autorinnen und Autoren wie dem muslimischen Politikwissenschafter Bassam Tibi, Ronald Lauder, dem Präsident des World Jewish Congress, und Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Deutsch fungiert als Herausgeber.
Er hätte zwar lieber Wortmeldungen zu Themen wir Bildung oder das Entwickeln von positiven Zukunftsszenarien herausgegeben, so Deutsch, aber derzeit sei eben der Antisemitismus in Europa und auch in Österreich eine besondere Herausforderung und zwar in unterschiedlichen Erscheinungsformen: "Wir haben es mit dem traditionellen Antisemitismus der rechten Seite zu tun, wir haben es mit dem Antisemitismus der linken Seite zu tun, und wir haben es mit einem sogenannten muslimischen Antisemitismus zu tun."
Er wolle die Arten des Antisemitismus nicht aufwiegen. Interessant sei aber, wenn er Aussagen von FPÖ-Politikern kritisiere, also rechten Antisemitismus, dann konterten sie, das sei ja gar nichts, der Antisemitismus heute komme von der islamistischen Seite.
Wenn er dagegen islamistischen Antisemitismus aufdecke, kämen Muslime und sagten: "Konzentriert euch lieber auf den Antisemitismus von rechts". Deutsch: "Und inzwischen gibt's natürlich noch den immer stärker werdenden Antisemitismus oder Antizionismus gegen Israel, der als Antisemitismus bezeichnet werden muss, also da braut sich etwas zusammen, was unerträglich ist." Dieses relativ neue Phänomen ortet er vor allem im Bereich der politischen Linken.
Deutsch will sich dabei aber nicht grundsätzlich gegen Kritik an der Politik Israels verwehren. Die Politik eines Staates mit Skepsis zu betrachten, gegebenenfalls auch Widerspruch zu erheben, das sei legitim, unterstreicht Deutsch. Wenn allerdings mit zweierlei Mass gemessen werde, wenn die Kritik an Israel unverhältnismässig werde, dann sei die Grenze zum Antisemitismus überschritten.
Der IKG-Präsident nennt gegenüber dem ORF ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Metalldetektoren, die die israelischen Behörden am Zugang zum Tempelberg errichtet haben, nachdem drei Israelis in der Nähe getötet wurden. Wenn an diesen Sicherheitsmaßnahmen, die der gesamten Bevölkerung Sicherheit bieten würden, Kritik geübt werde, ist für den IKG-Präsidenten die Grenze zum Antisemitismus überschritten. Immerhin würden Metalldetektoren auch die Sicherheit muslimischer Gläubiger gewährleisten. Und sie seien auch im religiösen Bereich nicht unüblich, etwa bei Großveranstaltungen auf dem Petersplatz in Rom.
Verhältnis Europa-Israel wie gute Ehe
Das Verhältnis zwischen Europa und Israel wünscht sich Deutsch "gut-nachbarschaftlich". Israel ist für den IKG-Präsidenten die einzige Demokratie im Nahen Osten und zudem sehr fortschrittlich. Auch würden viele Europäer in Israel leben, daher seien gute Beziehungen wichtig. "Es ist wie in einer Ehe, ein Geben und Nehmen und ich glaube Israel kann auch sehr viel geben", so Deutsch.
Mitunter werde Israel auch als die bessere Wahl dargestellt. Als Reaktion auf antisemitisch motivierte Terrorattacken beispielsweise kam aus Israel eine Einladung an geschockte, jüdische Französinnen und Franzosen: sie sollten nach Israel kommen und dort leben. Dort seien sie geschützt. Davon hält Deutsch freilich nicht viel. "Ich bin Präsident der Kultusgemeinde Wien und wünsche mir, dass meine Gemeindemitglieder hier in Wien in Frieden und Ruhe leben können und dafür ist mein ganzer Einsatz da. Ich glaube, die meisten unserer Gemeindemitglieder leben hier in Wien und in ganz Österreich sehr gerne und wir wollen das auch fortsetzen."
Bildungsinitiativen und Freundschaften
Thema im Buch ist auch das schwierige Verhältnis zwischen Islam und Judentum. Da ist etwa von Flüchtligen die Rede, die in ihrer Heimat indoktriniert wurden und als Folge davon das Judentum als Feindbild sehen. Hier wünscht sich Deutsch gezielte Bildungsaktivitäten etwa Besuche in ehemaligen Konzentrationslagern, um verzerrte Bilder zurecht zu rücken.
Aber auch von einer interreligiösen Männerfreundschaft ist in dem Buch die Rede: ein Imam und ein Rabbiner - nämlich Ramazan Demir und Schlomo Hofmeister - sind in bestem Einvernehmen miteinander nach Jerusalem gereist.
Gemeinsam für bessere Zukunft arbeiten
Die Beziehungen zwischen Christentum und Judentum bezeichnet Deutsch als sehr gut, ausdrücklich hebt er die Gesprächsbais mit Kardinal Christoph Schönborn und dem lutherischen Bischof Michael Bünker hervor. Was das eigene Profil und den eigenen Auftrag in der Gesellschaft betrifft, so spricht Oskar Deutsch von einem Arbeiten für eine bessere Zukunft, das sei in der jüdischen Religion grundgelegt.
Man habe bewiesen, als Teil dieser österreichischen Gesellschaft das Land weiterzubringen. "Und ja, vor dem Krieg waren es zweihunderttausend und jetzt sind es nur noch achttausend, aber was achttausend Leute können, das versuchen wir weiterzugehen", so Deutsch.
Oskar Deutsch (Hg.): Die Zukunft Europas und das Judentum - Impulse zu einem gesellschaftlichen Diskurs. Verlag Böhlau.
Quelle: kathpress