Gesellschaft braucht "echten" interreligiösen Dialog
Eine Lanze für den gesellschaftlichen Wert eines "echten" interreligiösen Dialogs hat der Grazer Bischofsvikar Hermann Glettler gebrochen. "Allzu schnell keimen die uralten Vorurteile wieder auf und nähren eine Entfremdung, die sich früher oder später zum Nachteil der gesamten Bevölkerung auswirken", warnte Glettler zum Auftakt einer interreligiösen Tagung über Glaube in "Frieden und Konflikt" am Montag im kirchlichen Bildungszentrum Schloss Seggau (Stmk.). "Wirkliches Engagement" für Begegnungen und die Verständigung zwischen den Glaubenden unterschiedlicher religiöser Überzeugungen sei daher vonnöten.
Interreligiöser Dialog gelinge dabei nicht "nebenbei", betonte Glettler. Er brauche "Zeit, Energie, Weisheit, Herzenskraft" sowie den Wunsch nach Begegnung und dementsprechende Initiativen seitens aller Beteiligten, so der Bischofsvikar, der in den vergangenen Jahren als katholischer Pfarrer im multikulturellen Pfarrgebiet von Graz-St. Andrä selbst zahlreiche interreligiöse Initiativen mitgestaltete. Gewinne ein Dialogpartner den Eindruck, nur Bittsteller für eine notwendige Verständigung zu sein, stellten sich Enttäuschung und Verbitterung ein. "Im Sinne Martin Bubers müssen wir einen 'echten Dialog' pflegen, der sich dadurch gekennzeichnet, dass alle am Gespräch Beteiligten den anderen oder die andere in 'ihrem Dasein und Sosein' ernst nehmen und somit eine respektvolle 'lebendige Gegenseitigkeit' entsteht, sagte Glettler.
Nicht nur um Sachthemen von Religion gehe es beim interreligiösen Dialog, sondern "im Tiefsten um den Versuch, als Menschheit auf dem Weg zu einer größeren Einheit voranzukommen". Dieser Weg werde "nie barrierefrei und gerade sein", betonte der Bischofsvikar. So müssten alle Formen einer gefährlichen Politisierung von Religion und damit ihres Missbrauchs als solche benannt werden, "um ihnen innerhalb einer demokratisch verfassten Gesellschaft keinen Nährboden zu geben". Gläubige der monotheistischen Religionen hätten neben der gegenseitigen Verständigung den gemeinsamen Auftrag, "die Gier nach uneingeschränkter politischer und wirtschaftlicher Macht in die Schranken zu weisen und den vielfach durch Ungerechtigkeit, Vertreibung, Hunger und Krieg Benachteiligten unserer Zeit die Zuversicht für ein besseres Morgen zu geben".
Christen, Juden und Muslime im Austausch
Mit seinem Grußwort eröffnete Bischofsvikar Glettler eine viertägige "christlich-jüdische Studienwoche im Gespräch mit dem Islam", die von theologischen Fachinstituten der Universitäten in Wien und Graz noch bis Donnerstag im Schloss Seggau veranstaltet wird. Die Tagung knüpft an die Jüdisch-christliche Bibelwoche an, die von 1982 bis 2007 regelmäßig in Graz-Mariatrost stattgefunden hat. Die Studienwoche mit neuem Format soll den Dialog zwischen Christentum und Judentum pflegen, "der im heutigen Europa nicht mehr ohne den Islam zu führen ist", erklärte die Grazer Bibelwissenschaftlerin Irmtraud Fischer im Vorfeld gegenüber "Kathpress".
Zu den Referenten zählen u.a. der Wiener muslimische Theologe Ednan Aslan, Raimund Fastenbauer von der Israelitischen Kultusgemeinde, der Grazer Soziologe Manfred Prisching und Charlotte Elisheva Fonrobert von der Stanford-University (USA). Die Palette der behandelten Themen reicht laut Programm von der Rolle der abrahamitische Religionen in Konflikten über fundamentalistischen Strömungen bis hin zum Blick auf die Lage in der derzeit stark im Fokus stehenden Türkei ("Islam und Geschlechterdemokratie - am Beispiel der heutigen Türkei").
Der Religionswissenschaftler Franz Winter wies am Eröffnungstag darauf hin, dass es zwei Grundannahmen betreffend das Verhältnis von Religion und Gewalt gibt: Für Religionskritiker gelte Religion als immanent gewaltaffin und gewaltstiftend, solches sei etwa beim gegenwärtigen Islamdiskurs oft zu hören; demgegenüber stehe die These, Religion sei immanent "gut, wahr, schön" und gewaltabgewandt, werde nur "instrumentalisiert" bzw. "missbraucht". Winter zitierte den deutschen Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg, demzufolge Religion zu Gewalthandlungen führen kann, aber nicht muss. Ausschlaggebend seien Außenbedingungen wie die vermeintliche oder tatsächliche Bedrohung der Gemeinschaft.
Quelle: kathpress