Heiliger Antonius im Kampf zwischen Intellektualität und Glaube
Das Leben und Wirken des heiligen Antonius von Padua (um 1195-1231) hält der heutigen Zeit einen Spiegel vor. Wie der Vorarlberger Erfolgsautor Michael Köhlmeier im Gespräch über sein neues Buch "Der Mann, der Verlorenes wiederfindet" darlegt, ist der zum Volksheiligen gewordene hochgebildete Ordensmann "uns anverwandt, denn er ist mit dem großen Wunsch beseelt, die Welt ganz gläubig und naiv zu sehen wie sein Ordensgründer Franziskus". Aber, wie er gegenüber dem Kölner "domradio" erklärte, Antonius "kann es irgendwie nicht mehr. Er ist so gespalten, er ist der Intellektuelle seines Ordens gewesen."
Köhlmeier erzählt in seiner 160 Seiten starken Novelle von den letzten Stunden des Zeitgenossen von Franziskus. Nach seiner letzten Predigt vor 3.000 Gläubigen bricht der Sterbenskranke zusammen, liegt auf dem Marktplatz auf einer Trage und blickt im Angesicht des Todes auf sein Leben zurück, begegnet seinem ihm stets nahen Großvater und einer Frau, die er einst liebte. Die Menge auf dem Marktplatz umringt ihn, aber keiner wagt ihm zu helfen, keiner reicht ihm Wasser oder hält seine Hand. "Er ist wie ein Rockstar heute unantastbar", sagte Köhlmeier dem "domradio", "alle warten darauf, dass er in den Himmel aufgenommen wird..."
Antonius steht in der Darstellung des vielfach ausgezeichneten Schriftstellers für den Widerstreit zwischen kindlichem Glauben und der Vernunft nach der Aufklärung, zwischen Intellekt und der Sehnsucht nach Naivität. "Es ist so ein Spiegelbild - von mir auch", so Köhlmeier. "In dem Augenblick, wenn ich die Frage nach Religion in meine Ratio hebe, dann verrinnt mir das zwischen den Fingern wie Sand. Aber in dem Augenblick, wo ich darüber nicht nachdenke, wenn ich zum Beispiel die Natur betrachte, dann ist es ganz da. In diesem Widerspruch war auch Antonius."
Er kenne "viele Leute, die mit Religion nichts am Hut haben, aber wenn sie ihren Schlüsselbund verloren haben, schicken sie ein Stoßgebet in den Himmel und bestätigen mir dann nachher, dass es geholfen hat", erzählte der Literat im Interview. Das habe nichts mit Frömmigkeit zu tun, sondern sei eher etwas Magisches, ist Köhlmeier überzeugt. Sein Buchtitel "Der Mann, der Verlorenes wiederfindet" bezieht sich demgemäß auch nicht auf die "Zuständigkeit" des Antonius für verlorene Gegenstände, die ihn zu einem der bekanntesten Heiligen überhaupt machte. Köhlmeier schildert stattdessen eine Begegnung des Heiligen als junger Mönch mit seinem Abt. Der fragt ihn: "Du, mein Bruder, bist du berufen, auf die Seelen achtzugeben, die sich zum Bösen neigen? Bist du berufen, sie zu suchen, wenn sie verlorengehen? Bist du der Mann, der Verlorenes wiederfindet?"
Hochmut versus Demut
Im Interview mit dem Ö1-Morgenjournal ergänzte Köhlmeier am Dienstag, gereizt an dem Ordensmann aus dem 13. Jahrhundert habe ihn auch ein Widerspruch in der Persönlichkeit des Antonius - Hochmut versus Demut; diesen Kampf habe er nicht gewonnen, denn auch im Streben nach größtmöglicher Demut liege Hochmut. "Demut" ist nach den Worten Köhlmeiers ein heute diffamierter Begriff und stehe - zu Unrecht - für Unterwürfigkeit. Dabei sei es "ein Zeichen des Hedonismus zu sagen: Ich habe allen Grund zur Arroganz".
Im kommenden Wintersemester hat Michael Köhlmeier an der Universität Wien Gelegenheit, solche Überlegungen einem theologisch interessierten Publikum nahezubringen: Er wird einer der Hauptvortragenden im Rahmen der vom Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück initiierten "Poetikdozentur", die zur fixen Einrichtung an der Katholisch-Theologischen Fakultät geworden ist. (Infos: www.poetikdozentur.at)
Köhlmeier hat sich als ehemaliger Schüler an der "Stella Matutina", dem früheren Privatgymnasium des Jesuitenordens in Feldkirch, und als späterer Germanistik- und Philosophiestudent in Deutschland immer wieder religiösen Themen gewidmet. Zuletzt gab er mit dem Wiener Philosophen Konrad Paul Liessmann den Band "Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?" heraus, ein breites Publikum erreichen seine freien Nacherzählungen biblischer Geschichten, literarisch verarbeitet etwa in den Bänden "Geschichten von der Bibel. Von der Erschaffung der Welt bis Josef in Ägypten" (2000) und "Der Menschensohn. Die Geschichte vom Leiden Jesu" (2001).
Zeitgenosse von Franz von Assisi
Köhlmeiers jüngste Hauptfigur Antonius von Padua wurde um 1195 in Lissabon als Ferdinand Martim de Bulhoes e Taveira in eine begüterte Adelsfamilie hineingeboren und in Schulen der Augustiner-Chorherren ausgebildet. 1212 wurde er in Coimbra zum Priester geweiht, trat 1220 in den damals noch jungen Franziskanerorden über und nahm den Namen des spätantiken Wüstenvaters Antonius Eremita an. Der Heilige wirkte kurze Zeit als Missionar in Marokko, lebte eine Zeitlang als Einsiedler bei Assisi und nahm 1221 am Generalkapitel der Franziskaner teil, wo er Franz von Assisi kennenlernte. Durch seine außergewöhnliche Redebegabung wurde Antonius 1223 beauftragt, in der Romagna vor den als häretisch eingestuften Katharern und Waldensern zu predigen. Nach einem Theologie-Lektorat an der Universität Bologna reiste er 1225 nach Südfrankreich, um dort die Albigensern zu bekehren. Ab 1227 wirkte Antonius wieder in Oberitalien als Ordensoberer, Studienleiter und Bußprediger. Er galt schon zu Lebzeiten als bedeutendster Prediger seiner Zeit.
Michael Köhlmeier nannte es im Morgenjournal "erstaunlich, dass es einem durch und durch Intellektuellen gelingt, zum volkstümlichsten Heiligen zu werden"; nicht einmal ein Jahr nach seinem Tod sei er heiliggesprochen worden, "und wenn's der Papst nicht gemacht hätte, hätte es buchstäblich eine Rebellion gegeben".
Michael Köhlmeiers Novelle "Der Mann, der Verlorenes wiederfindet" ist für 20 Euro im Buchhandel erhältlich.
Quelle: kathpress