Reformation brachte Transformation in Kirche und Welt
Mit der Reformation ist ein gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozess eingeleitet worden, der im Verhältnis der beteiligten christlichen Kirchen erst jetzt zu einem Ende gekommen ist. Darauf hat der evangelische Bischof Michael bei den "Desputationes" im Rahmen der "Ouverture spirituelle" der Salzburger Festspiele am Samstag hingewiesen. Erst 2016 konnten Lutheraner und Katholiken verbindlich auf Weltebene gemeinsam feststellen, "dass sie und die Gemeinschaften, in denen sie ihren Glauben leben, zu dem einen Leib Christi gehören. Es wächst das Bewusstsein, dass der Streit des 16. Jahrhunderts zu Ende ist. Die Gründe dafür, den Glauben der Anderen gegenseitig zu verurteilen, sind hinfällig geworden", zitierte Bünker aus der gemeinsamen Kirchenerklärung.
Rückblickend könne man feststellen, dass die kirchlichen Akteure in der Reformation einen Prozess in Gang gesetzt hätten, der eine gesamtgesellschaftliche Eigendynamik ausgelöst habe. In Analogie zum Bild eines Spiels mit mehreren Beteiligten könne man heute sagen, dass der Spielverlauf "eine relative Autonomie gegenüber den Plänen und Absichten der Spieler", die ihn durch ihre eigenen Handlungen hervorrufen haben, erhalten habe. Der Gang der Geschichte sei nicht linear verlaufen: "Es war ein komplexer Transformationsprozess, der die Entwicklung zur modernen Gesellschaft kennzeichnet und viele der Eckpunkte liegen nicht auf der Fluchtlinie der Entwicklung, sondern neben ihr", so Bünker.
Die Reformation habe nicht nur eine Transformation ausgelöst, sie habe ihrerseits viele bereits im Spätmittelalter vorhandene Elemente aufgegriffen und transformiert. "Nichts an der Reformation ist absolut neu, alle ihre Leitbegriffe sind vorher schon da", so der evangelische Bischof unter Verweis auf spätmittelalterliche Impulse hinsichtlich Theologie, Gottesdienst, Frömmigkeit und soziale Praxis. Sei es bei den Reformatoren anfangs um eine Erneuerung der Kirche im Sinne einer Wiederherstellung und Reinigung der Kirche gegangen, so sei es bei Luther dann doch zu einem Bruch mit dieser Haltung, der Kirche seiner Zeit, der römischen Papstkirche und der Etablierung von etwas ganz Neuem gekommen.
"Luther war davon überzeugt, dass es die Selbstrelativierung der Kirche und nicht ihre Absolutsetzung braucht, damit sie ihren Auftrag nicht verdunkelt", so Bünker weiter. "Dieses Neue und Unerwartete hat seine thematische Zentrierung in der Rechtfertigungslehre Luthers und der Reformatoren allgemein." Ihr Herzstück sei die bedingungslose Annahme des gottlosen Menschen, der von sich aus zu seiner Rechtfertigung nichts beitragen kann, als es sich gesagt sein zu lassen und an sich geschehen zu lassen. "Die Reformation war von der zentralen Einsicht bestimmt, dass der Mensch als unmittelbar vor Gott stehende Person verstanden wurde, ohne jede Vermittlungsbedürftigkeit durch kirchliche Institutionen, deren Identität und Würde allein durch die Anerkennung durch Gott begründet ist", führte der evangelische Bischof aus.
Bis heute gebe es einen wirkmächtigen Kern des reformatorischen Aufbruchs: "Es ist der Glaube, der zwischen Gott und Mensch kritisch unterscheidet und, indem er Gott als Gott anerkennt, als Mensch in unbedingter Anerkennung aufrecht, frei und verantwortlich leben kann und leben soll", sagte Bünker, der im Blick auf gegenwärtige Transformationsprozesse schloss: "Ich bin davon überzeugt, dass christlicher Glaube, speziell auch in seiner reformatorischen Ausprägung, einen Beitrag zur spirituellen Bewältigung von Veränderungsprozessen geben kann und gibt."
Quelle: kathpress