Gegenwart leidet an "Gottesvergleichgültigung"
Sorge um das Fehlen Gottes in der Gegenwartsliteratur hat der Theologe Karl-Josef Kuschel geäußert. Hinsichtlich der Rede von Gott, dem Sinn des Lebens oder auch von einer sozialen Revolution scheine "alles gesagt, verbraucht und damit erledigt", diagnostizierte der Tübinger Wissenschaftler am Sonntag bei der Vortragsreihe "Disputationes", dem inhaltlichen Part der "Ouverture Spirituelle" bei den Salzburger Festspielen. Bedenklich sei das zeitgenössische Lebensgefühl der "Gottesvergleichgültigung" vor allem deshalb, da das Reden von Gott "gerade die nötige Infragestellung der modernen Machtverhältnisse" wäre, so der emeritierte Professor für Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs.
Der "Tod Gottes", von dem Friedrich Nietzsche gesprochen habe, oder die von Martin Buber ins Spiel gebrachte "Gottesverdunkelung" seien "die nicht mehr hinterfragte Voraussetzung von Politik, Kunst und Wissenschaft", befand Kuschel. Eine sich nur noch an naturwissenschaftliche Beweisbarkeit klammernde Lebenseinstellung sei jedoch die "krankmachende Reduktion der europäischen Aufklärungstradition".
Entgegen der Position der "protestantischen Kirchenväter" Sören Kierkegaard und Karl Barth, die den Glauben als "Sprung ins Leere" beschrieben hatten, brachte der Theologe das Spätwerk des Schriftstellers Martin Walser ins Spiel. Dessen Diktum, Gott werde "als der unbekannte Gott" erkannt, belege, dass die Rede von Gott "auf ständige dialektische Bewegung angewiesen" sei.
Gott in Theater und Museum
Als besonderen "Ort der Transition", an dem sich Fragen wie "Woher komme ich? Wohin gehe ich?" stellen, bezeichnete der Schweizer Künstler Giovanni Netzer in seinem Vortrag die Berge. Netzers aktuelles Theaterprojekt ist auf einem extra dafür errichteten Turm am Julierpass auf 2.300 Meter Seehöhe angelegt. Um Himmel und Hölle dramatisch angemessen ausdrücken zu können, sei die Bühne in Form eines dem Zuschauer gegenüberliegenden Zimmers "zu banal", so der Gründer des Graubündner "Origen Festival Cultural".
Für eine zeitgenössische Annäherung an die religiöse Kunst sowie für mehr Austausch zwischen der modernen und der alten Kunst sprach sich bei den "Disputationes" Johannes Rauchenberger vom Grazer Kulturzentrum der Minoriten aus. Eine "Kontrasterfahrung" könne somit hergestellt werden. Der Kunstexperte verwehrte sich gegen den auf vielen Universitäten verbreiteten "Fehler", christliche Kunst auf das Mittelalter zu reduzieren. Mit seinem Versuch, dieser Einstellung ein Fach "Bildtheologie" entgegenzusetzen, sei er jedoch bislang gescheitert, sagte er.
Grundthema der "Disputationes", zu dessen Zuhörern u.a. auch der Salzburger Erzbischof Franz Lackner gehört, war am Sonntag das "Staunen", nach dem "Glauben" am Samstag und vor dem am Montag und Dienstag vorgesehenen "Denken" und "Hoffen".
Quelle: kathpress