Woher kommt der Hass im Netz?
Um die Menschheit steht es nicht gut. Diesen Eindruck kann man bekommen, wenn man in einschlägigen Internet-Foren unterwegs ist oder sich den Anfeindungen, Diffamierungen und Entrüstungsstürmen im Social Web aussetzt. Aber das ist nur die halbe Wahrheit - wenn überhaupt; schließlich bietet das Netz auch Orte seriöser Information durch Qualitätsmedien, harmlose Zerstreuung durch Katzenvideos und Foren aufrechter politischer Debatten. Ein vielschichtiges Phänomen also, dem sich im Rahmen der "Langen Nacht der Kirchen" am Freitagabend in Wien Medienexperten und Theologen gewidmet haben. Grundtenor blieb dabei die Sorge angesichts eines gestiegenen Anteils an Aggression und Hassrede im Netz - und somit die Sorge, ob es gelingen wird, eine neue Kommunikationskultur im Netz zu schaffen.
Für eine solche neue Kommunikationskultur plädierte der Wiener Medienwissenschaftler Prof. Jürgen Grimm. Das Netz sei mit seinen knapp 20 Jahren noch zu jung, als dass die User sich bereits daran gewöhnt hätten, die natürlichen Regeln der Face-to-Face-Kommunikation auch im Web einzuhalten. Wo das Gegenüber fehle, da falle es leichter, enthemmte Kommentare oder Meinungen zu posten. Gewiss müsse man das Phänomen der Hassrede mit Sorgen betrachten, da es tatsächlich stark an Quantität gewonnen habe, so der Medienwissenschaftler - "aber nicht jede Form der Entrüstung ist schon verwerflich". Schließlich lebe der demokratische Diskurs "nicht nur vom nüchternen Argumentwechsel, sondern auch vom leidenschaftlichen Streit".
Hoffnung auf "archaischem Moment"
Das Netz in seiner derzeitigen Form werde so indes keine Zukunft haben, zeigte sich Grimm überzeugt. "Es wird in seiner jetzigen Form mittelfristig zerfallen" - aber es werde dann andere Formen der Online-Kommunikation geben. Zuversichtlich stimme ihn im Blick auf die Zukunft das spielerische, ja "archaische Moment" der Kommunikation im Web. Dadurch würde vielen gefährlichen und gewaltvollen Auswüchsen die Spitze gekappt. Dennoch brauche es heute insgesamt einen neuen "heroischen Patriotismus", zeigte sich Grimm überzeugt. Darunter verstehe er die Bereitschaft, sich aktiv für den Fortbestand des eigenen demokratischen Gemeinwesens einzusetzen und auch im Web Tendenzen der Hassrede und den grassierenden "anti-humanistischen Ideologien" offen entgegenzutreten. Die Qualitätsmedien seien außerdem gefordert, ihre Webangebote weiter auszubauen.
Weniger optimistisch zeigte sich die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak: Der technische Fortschritt entlaste nicht "von den Mühen, Mensch zu werden" - auch und gerade in der Web-Kommunikation. Kirche sei daher gefordert, sich in diese Kommunikationswelten einzubringen - "mit ganz schlichten und doch tiefen Fragen: Was ist Wahrheit? Was ist gut, was böse?" - und zugleich Räume zu schaffen, "wo die leibhaftige Dimension des Menschseins neu erfahren werden kann".
Steigende Menschenfeindlichkeit
Sie bewege die Frage zutiefst, woher der Hass im Netz eigentlich komme - eine abschließende Antwort darauf habe sie bislang nicht gefunden. Aufschluss gebe aber etwa eine Studie der Universität Bielefeld, die festhält, dass die Hassausbrüche im Netz u.a. auf das Phänomen "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" zurückzuführen sind. Es seien demnach Menschen, die keine Zukunftsperspektive für sich sehen, die unter Verlustängsten leiden und keine gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten sehen, die die daraus hervorgehende Frustration in Hass transformieren, so die Theologin.
Dieser Hass habe "auch eine spirituelle Dimension", insofern er einen "puren lebenszerstörenden Willen" freisetze - aber sie warnte davor, Hass und Angst auf "individual-psychologische Gefühle zu reduzieren": Schließlich lasse sich schon seit Jahrzehnten beobachten, wie diese Gefühlslagen auf politischer Ebene von rechtspopulistischen Akteuren aufgegriffen und gezielt instrumentalisiert würden. "Hier dürfen wir unsere politischen Eliten nicht aus der Verantwortung entlassen", mahnte Polak.
Der ORF-Religionsjournalist und Moderator der "Orientierung", Christoph Riedl-Daser, sieht in der Zunahme der Online-Kommunikationsformen vor allem eine Chance für den seriösen Journalismus. Dieser werde sich zwar unter dem Druck der sozialen Medien weiter verändern, dennoch zeige etwa der hohe Marktanteil des ORF von rund 30 Prozent, dass es immer noch ein großes Bedürfnis nach qualitätsvollem Journalismus gebe. "Ein wichtiges Stichwort für die Zukunft lautet Verantwortung - auf Seiten der User wie auf Seiten der Produzenten", so Riedl-Daser.
Hoffnung schöpfe er auch angesichts einer sich verändernden Judikatur: So würden Providern und Mediendienstleistern zusehends "die Daumenschrauben" angezogen, damit sie stärker von sich aus das Problem der bewussten Falschmeldungen (Fake news) und der Hassrede (Hatespeech) bekämpfen. "Die Problematik der rechtlichen Verantwortung ist sehr komplex", es sei jedoch "nicht alles, was erlaubt ist, auch tolerierbar", zeigte der Journalist anhand von Hasspostings auf Facebook auf, die von Facebook selbst indes nicht als bedenklich eingestuft wurden.
Medienkompetenz stärken
Den Impuls einer "Selbstaufwertung durch Fremdabwertung" erkannte wiederum der Rechtsextremismus-Forscher und Mitarbeiter am "Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands" (DÖW), Andreas Peham, in den Hassausbrüchen im Netz. Hinter dem Hass lasse sich vor allem Angst ausmachen, die dazu drängt, den jeweils anderen abzuwerten. Dieser Logik, die "nicht auf Argumente zielt, sondern auf den Bauch" bedienten sich vor allem Parteien im rechten Spektrum, so Peham. "Auch glaube ich, dass die neuen sozialen Medien von ihrer Struktur her der Sprache des Rechtsextremismus entgegenkommen" - etwa durch die starken Emotionalisierungsmomente und schnellen und kurzen Textformen.
Anknüpfungsmöglichkeiten in der Präventionsarbeit und auch im Engagement etwa der Kirchen sieht Peham bei jener Gruppe, deren Empörung im Netz auf einer persönlichen moralischen Empörung und etwa dem Empfinden großer Ungerechtigkeit basiert. "Diese moralisch motivierte Empörung sollten wir ernst nehmen, da können wir argumentativ anknüpfen", zeigte sich Peham überzeugt. Nicht beantwortet sei weiters die Frage, was Medienkompetenz im Zeitalter der sozialen Medien eigentlich bedeute. Viele Lehrer würden bei der Frage abwinken und die Online-Kommunikation ganz ausblenden - teils aus Überforderung, teils aus persönlichem Unwissen. "Wenn wir aber den Schülern das Handy im Unterricht verbieten, blenden wir zugleich einen wichtigen Teil ihres Lebens aus. Das sollten wir hingegen produktiv hineinholen und nutzen".
Quelle: kathpress