Kirche mahnt zu Wahlkampf ohne Diffamierung politischer Gegner
Politiker aller Couleur eint trotz inhaltlicher Auseinandersetzungen und vielfacher Spannungen ihr Einsatz für das Gemeinwesen. Daran hat der Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz, Peter Schipka, am Montag bei einem Gottesdienst mit Politikern aller Parlamentsparteien in Wien erinnert. "Ihr wollt je nach politischer Ausrichtung Unterschiedliches und doch das Gleiche: nämlich die Welt besser machen", wandte er sich an die anwesenden Volksvertreter. Schipka nutzte die Gedenkmesse für die Sozialreformerin und Ordensgründerin Hildegard Burjan (1883-1933) in diesem Sinn auch zu einem Appell: Ausdrücklich plädierte er für einen Wahlkampf, der inhaltliche Positionierungen vor bloße Emotionalisierung oder die reine Diffamierung politischer Gegner stellt.
Zu dem Gottesdienst hatten die Landtagsabgeordneten Peko Baxant (SP) und Lukas Mandl (VP) sowie die Nationalratsabgeordneten Andreas Karlsböck (FP), Gabriela Moser (Grüne), Nikolaus Scherak (NEOS) und Waltraud Dietrich (Team Stronach) gemeinsam in die Wiener Deutschordenskirche eingeladen. Hildegard Burjan war als verheirate Frau und Mutter Gründerin der geistlichen Schwesterngemeinschaft "Caritas Socialis" (CS) und 1919 unter den acht ersten weiblichen Abgeordneten in österreichischen Parlament. Vor fünf Jahren wurde sie, als weltweit erste demokratisch gewählte Parlamentarierin, von der katholischen Kirche seliggesprochen. Die Messe zu ihrem kirchlichen Gedenktag am 12. Juni feierten unter anderen auch der Wiener ÖVP-Obmann Gernot Blümel und CS-Generalleiterin Sr. Susanne Krendelsberger mit.
Ob Politik christlich ist, zeige sich sowohl an der Art, wie Politik gemacht wird, als auch am Inhalt der politischen Positionen, betonte Bischofskonferenz-Generalsekretär Schipka in seiner Predigt vor den Abgeordneten. Eine von christlichen Grundsätzen getragene Wahlauseinandersetzung sei durch Wahlwerbung gekennzeichnet, die beim "mitunter auch notwendigen Wecken von Emotionen" vor allem die eigenen politischen Positionen vermittle, hielt er fest. Dem gegenüber stehe eine Wahlauseinandersetzung, in der "man den Wahlkampf sucht, in dem die Emotionalisierung vor der inhaltlichen Positionierung steht - oder gar einen Wahlkrieg, in dem es bloß nur mehr darum geht, den politischen Gegner bloßzustellen, ihn zu diffamieren und zu beseitigen".
Inhaltlich gebe es in jeder Partei Positionen, die dem christlichen Glauben entsprechen; gleichzeitig vertrete keine der Parteien im gleichen Maße alle politischen Positionen, die aus christlicher Überzeugung stammen, führte Schipka weiter aus. Er nannte in diesen Zusammenhang den umfassenden Schutz des menschlichen Lebens oder des freien Sonntags genauso wie den Schutz der Religionsfreiheit für alle Religionen, "aber auch das Herausstellen der Einzigartigkeit der Ehe gegenüber anderen menschlichen Beziehungs- und Partnerschaftsformen und gleichzeitig der Kampf gegen Diskriminierungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen". Weitere Punkte seien die Förderung der Familien ebenso wie der Schutz der Schöpfung, darunter zum Beispiel die Reduktion des CO2-Ausstoßes, und nicht zuletzt der Einsatz für die Schwachen in der Gesellschaft.
Die gegensätzlichen, politischen Positionen der Politiker sehe er "aus christlicher Sicht weniger als Problem, sondern vielmehr als Chance", meinte Schipka: "Jeder kann auf seine Weise mit seiner eigenen politischen Position etwas dazu beitragen, dass nicht der Hunger nach Gerechtigkeit das letzte Wort hat, sondern die Gerechtigkeit, in der Leistungsfähige gefördert werden und Leistungsschwache ebenfalls; dass nicht die Verfolgung aus religiösen Gründen das letzte Wort hat, sondern die Freiheit, etwas zu glauben oder auch nicht zu glauben."
Auch die Spannungen im Leben der seligen Hildegard Burjan seien "nicht als solche bedeutsam, sondern bloß deshalb, weil sie produktiv geworden sind, weil sie die Welt zum Guten verändert haben", sagte Schipka in seiner Predigt. Burjan war verheiratet und hat gleichzeitig eine Gemeinschaft eheloser Frauen gegründet, erinnerte er. "Sie war Politikerin und Abgeordnete, die Rahmenbedingungen, Gesetze schaffen, und hat doch selber Hand angelegt bei der Linderung der Nöte von Menschen." Die Selige habe sich zudem für die Rechte der Frauen und für die Rechte der Familien eingesetzt - "etwas, das eher heute als Widerspruch wahrgenommen wird als damals", fügte der Bischofskonferenz-Generalsekretär hinzu.
Sozialpionierin und Ordensgründerin
Hildegard Burjan wurde am 30. Jänner 1883 in sächsichen Görlitz in eine liberale jüdische Familie geboren. Mit ihrem Gatten Alexander übersiedelte sie 1909 nach Wien und begann sich hier, intensiv für die Randgruppen der Gesellschaft zu engagieren. Nach Heilung von einer schweren Krankheit konvertierte sie zur katholischen Kirche und ließ sich taufen.
1912 gründete Burjan den "Verband der christlichen Heimarbeiterinnen" und 1918 den Verein "Soziale Hilfe". Als Frauen 1919 erstmals das aktive und passive Wahlrecht ausüben konnten, zog Burjan als erste christlich-soziale Abgeordnete in das Parlament ein. Als verheirate Frau und Mutter gründete sie im selben Jahr die geistliche Schwesterngemeinschaft "Caritas Socialis", mit dem Auftrag, soziale Not der Zeit zu erkennen und zu lindern.
Burjan setzte sich entschieden für die Gleichberechtigung der Frau, für die Bekämpfung der Kinderarbeit und für die Überwindung sozialer Missstände ein. Obwohl sie nur kurze Zeit dem Parlament angehörte, galt sie schon bald als dessen "Gewissen". Burjan stellte sich dem Elend großer gesellschaftlicher Schichten und verschloss vor Jugendkriminalität, Verwahrlosung und Prostitution nie die Augen.
Als im Jahr 1920 Neuwahlen anstanden, zog sich Burjan aus Rücksicht auf ihre stark angeschlagene Gesundheit und wegen der zunehmenden antisemitischen Strömungen auch innerhalb ihrer Partei aus dem Parlament zurück, blieb aber weiter politisch aktiv. Hildegard Burjan starb am 11. Juni 1933 an einem schweren Nierenleiden.
Lebendige Erinnerung
Erst Mitte Mai war am Wiener Rathaus eine Gedenktafel für Burjan enthüllt worden. Ebenso erinnert seit 2015 eine Stele im Stephansdom an die selige Ordensgründerin und Sozialpionierin. Im 15. Wiener Gemeindebezirk ist außerdem jene katholische Pfarre nach ihr benannt, in der sich die Neufünfhauser Christkönigskirche befindet, die in den 1930er-Jahren auf Initiative Burjans errichtet wurde.
Ein lebendige Erinnerung bleibt auch das Wirken der "Caritas Socialis"-Einrichtungen, in denen heute 900 Mitarbeiter und Schwestern mit rund 300 ehrenamtlich Engagierten und 500 Praktikanten Menschen am Beginn und am Ende des Lebens unterstützen und so den Gründungsauftrag Hildegard Burjans erfüllen. In Wien bietet die CS professionelle Pflege und Betreuung für alte und chronisch kranke Menschen an. Zu den bekanntesten Einrichtungen zählt das CS Hospiz Rennweg, das derzeit umgebaut und erweitert wird. Die CS führt aber auch Kindergärten und Horte und ein Mutter-Kind-Haus für Mutter und Kind. "Caritas Socialis"-Schwestern wirken nicht nur in Österreich, sondern auch in Südtirol, Deutschland und Brasilien.
Quelle: kathpress