Zukunftsthema Pflege auch in Wahlkampfzeiten beachten
Dem Thema Pflege - schon gegenwärtig und erst recht in Zukunft eines der brennendsten der Sozialpolitik - muss auch in Wahlkampfzeiten gebührende Beachtung zukommen. Das forderte Caritas-Präsident Michael Landau beim dritten von der Caritas veranstalteten "Querdenksymposium" zum Thema pflegende Angehörige am Freitag in der Wiener Ankerbrotfabrik. Die rund 250 daran teilnehmenden Fachleute und Betroffenen widmeten sich dabei Möglichkeiten, "Menschen, die in ihrer persönlichen Situation besonders gefordert sind, nicht alleine zu lassen", wie Landau in seinen Eröffnungsworten sagte. Er bezeichnete die pflegenden Angehörigen als "größten Pflegedienst der Nation". Mehr als 80 Prozent aller Pflegegeldbezieher würden zuhause von ihren Angehörigen betreut und begleitet.
Teilnehmer des Symposiums waren u.a. Sozialminister Alois Stöger, die Präsidentin der "IG Angehörige", Birgit Meinhard-Schiebel, internationale Fachleute wie Iren Bischofberger von der Schweizer "Careum Forschung", Andreas Conca vom Bozener Zentrum für psychische Gesundheit, heimische Experten wie Prim. Georg Psota (Psychosoziale Dienste Wien) und Patientenanwältin Sigrid Pilz - sowie, erstmals in dieser Weise formiert, ein aus neun Personen bestehender "Angehörigenrat", der quasi als hellhörige Interessenvertretung Betroffener während der Veranstaltung fungierte.
Solche "Angehörigenräte" wünscht sich Caritas-Präsident Landau, wie er sagte, als institutionalisierte Gremien auf Bundes- wie auf Länderebene, die dann mit verantwortlichen Politikern auf Augenhöhe Problemlösungen erarbeiten könnten. Für ihn steht fest: "Pflegende Angehörige sind die Stütze und das Fundament für die Versorgung von kranken, alten und pflegebedürftigen Menschen in unserem Land", ihre Expertise sei unverzichtbar für zielgerichtete Maßnahmen.
Die Versorgung von Menschen mit Demenz wird nach Landaus Einschätzung eine der größten Herausforderungen für die Gesellschaft werden. Schon heute seien Demenzerkrankungen die Hauptursache für Pflegebedürftigkeit. In diesem Kontext begrüßte der Caritas-Chef die Demenzstrategie der Bundesregierung aus dem Jahr 2015, die allerdings in vielen Bundesländern noch der Konkretisierung bedürfe. Ein Beispiel dafür liefere Klosterneuburg als eine mit Caritas-Knowhow "demenzfreundlich" gestaltete Gemeinde in Niederösterreich.
Eine weitere schon mehrfach erhobene Forderung der Caritas ist nach den Worten Landaus die Valorisierung des Pflegegeldes. Auch die Einstufungspraxis gelte es zu überdenken, um Betroffene bestmöglich zu unterstützen.
Stöger warnt vor Sozialeinsparungen
Sozialminister Stöger stellte in Abrede, dass in Wahlkampfzeiten automatisch Parolen im Vordergrund und "Intelligenz im Hintergrund" stünden; sie seien vielmehr Gelegenheit, grundsätzliche Fragen anzusprechen wie: Wie soll die Gesellschaft und deren Zukunft gestaltet werden. Auch im Hinblick auf die Pflege sei es "nicht egal, wer im Parlament sitzt", zeigte sich Stöger wahlkämpferisch. Er warnte vor Einsparungen in diesem Bereich, die vor allem auf Kosten von Frauen - die die Hauptlast der häuslichen Pflege leisteten - gingen. Die jährliche Wertanpassung des Pflegegeldes sei Teil von Kanzler Christian Kerns Plan A, warb Stöger schon jetzt um Stimmen für die Wahl im Oktober.
Caritas-Wien-Sprecher Martin Gantner untermauerte als Moderator eingangs die Dringlichkeit des Symposium-Themas mit folgenden Zahlen: Gegenwärtig seien fünf Prozent der Österreicher älter als 80 Jahre, im Jahr 2050 werden es doppelt so viele sein, in absoluten Zahlen 1,1, Millionen Menschen. Ebenso verdoppeln werde sich in diesem Zeitraum die momentane Zahl von 130.000 Demenzkranken im Land. "Sie sehen, Pflege und davon unmittelbar Betroffene sind alles andere als ein Nischenthema", sagte Gantner.
"Du musst auch auf dich schauen"
Einen eindrucksvoll ehrlichen Erfahrungsbericht gab beim Symposium "Angehörigenrat"-Mitglied Hanna Fiedler, die seit Jahren ihren mit 68 Jahren an Demenz erkrankten Mann pflegt und mit dessen Persönlichkeitsveränderungen zurechtkommen muss. Die häufige Distanzlosigkeit ihres Gatten gerade gegenüber Frauen lasse sie sich wie als Verantwortliche für einen Pubertierenden fühlen, sagte Fiedler. Oft bekomme sie Forderungen wie "Sorgen Sie doch bitte dafür, dass er nicht..." oder gut gemeinte Ratschläge wie "Du musst auch auf dich schauen" zu hören. Beides sei nicht hilfreich und erhöhe letztlich den Druck, unter dem die pflegende Ehefrau stehe.
Birgit Meinhard-Schiebel von der "IG Angehörige" forderte in ihrem Eingangsstatement einen Nationalen Aktionsplan zum Thema pflegende Angehörige nach Schweizer Vorbild, die Valorisierung des Pflegegeldes sowie grundsätzlich mehr Rechte und nicht nur Pflichten für Betroffene. Eine Internetumfrage unter den Symposiumsteilnehmenden, welche sozialpolitische Maßnahme sie für am dringlichsten erachten, ergab ein deutliches Votum für einen kostenfreien Entlastungsdienst von zehn Stunden pro Woche für Pflegende.
Beim "Querdenksymposium" diskutieren Fachleute, Politiker sowie Praktiker im Dialog mit dem Angehörigenrat bis Freitagnachmittag über Programmpunkte wie "Dilemmata pflegender Angehöriger", "Störfaktor pflegende Angehörige?" oder "Kost' fast nix - oder doch? Angehörige in der Pflege von demenzkranken Menschen, ökonomisch betrachtet". (Info: https://www.caritas-pflege.at)
Quelle: kathpress