Zulehner: "Kirche muss in 'Langer Nacht' politisch sein"
Die anstehende österreichweite "Lange Nacht der Kirchen" (9. Juni) darf sich nicht in netten kulturellen Veranstaltungen erschöpfen. Vielmehr müssten mit dieser Nacht auch "störende" gesellschaftspolitische Botschaften der Kirchen verbunden sein. Das erwartet sich der Wiener Pastoraltheologe em.Prof. Paul Zulehner von der ökumenischen Großveranstaltung, wie er am Dienstag bei einem Pressegespräch in Wien sagte. In dieser Nacht müsse deutlich werden, "dass es in unserem Land noch Anwälte der Menschlichkeit gibt, dass es noch eine Lobby für die gibt, die keine Stimme haben, und dass hier nicht nur Gleichgültigkeit regiert", so Zulehner wörtlich.
In diesem Sinne sollte die "Lange Nacht" auch als Chance einer "klugen und behutsamen" kirchlichen Einmischung in den Wahlkampf begriffen werden. An den Statements der Kirchen - etwa zu Asyl, Migration oder Rechtspopulismus - sollten die Politiker nicht vorbeigehen können, so der Theologe.
Gottesliebe und Nächstenliebe seien im Christentum nicht zu trennen, unterstrich Zulehner. "Wer in Gott eintaucht, taucht bei den Armen wieder auf", bemühte er dazu ein Zitat der evangelischen Theologin Dorothee Sölle. Spiritualität allein reiche eben nicht. Es brauche auch die Zuwendung zu den psychisch, geistlich oder materiell Armen, in Österreich wie weltweit; und auch die Zuwendung zur leidenden Schöpfung. Die Kirchen müssten wieder verstärkt die "heilende Kraft des Evangeliums" zu den Menschen bringen. Ärgerlich dabei sei freilich, dass die Kirchen noch immer gespalten seien. Das schade massiv ihrer Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft, so Zulehner.
Der katholische Theologe äußerte sich am Dienstag im Rahmen eines Pressegesprächs im Bibelzentrum am Museumsquartier im Vorfeld der "Langen Nacht". Gemeinsam mit der evangelischen Oberkirchenrätin Gerhild Hergesell lotete er Aspekte der Reformation in Geschichte und Gegenwart aus. Das Jubiläum "500 Jahre Reformation" ist einer der inhaltlichen Schwerpunkte der "Langen Nacht der Kirchen".
Auch Hergesell sprach sich dafür aus, dass die Kirchen politischer und mutiger als bisher öffentlich auftreten müssten. Sie glaube zudem auch, dass die Kirchen den Auftrag der Reformation, sich nämlich stets zu reformieren, noch viel ernster nehmen müssten.
Krise der Kirchen in Europa
Prof. Zulehner blickte ambivalent auf die Reformation zurück. Zum einen sei es vor 500 Jahren höchste Zeit für Veränderungen gewesen, zum anderen habe die Reformation für die Kirche bzw. die Kirchen in Europa auch ein massive Krise mit sich gebracht. Die Kirchenspaltung gipfelte im Dreißigjährigen Krieg (1618-48), ein "besonders grausamer Krieg", der vor allem auch ein Religionskrieg war. "Wir haben lange gebraucht, bis wir gelernt haben, Gott und Gewalt zu trennen. Das ist auch Luther nicht geglückt", so Zulehner wörtlich.
Mit diesem Religionskrieg sei in Europa auch die Ideen aufgekommen, dass die Gesellschaft wohl ohne Kirchen oder gar ohne Gott und Religion besser wäre. - Die Geburtsstunde des europäischen Atheismus. "Und seither haben wir eine unglaubliche Krise der Kirchen in Europa", kontastierte Zulehner. Bis heute sei Europa der Ausnahmefall des ansonsten blühenden Christentums.
Quelle: kathpress