Landau und Sobotka im Disput über sozialen Zusammenhalt
Was kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern und was befeuert andererseits nur noch mehr ein Auseinanderdriften? Zu dieser Frage kreuzten Caritaspräsident Michael Landau und Inneninister Wolfgang Sobotka am Samstag in der Wiener Staatsoper die Klingen. Der Sozialstaat funktioniere in Österreich noch recht gut, so Landau: "Diesen sollten wir nicht schlechtreden."
Landau kritisierte, dass in der politischen Debatte mitunter über die falschen Themen geprochen werde. Ein Beispiel: 50 Prozent der Sozialausgaben würden in Pensionen und Pensionszuschüsse fließen, 25 Prozent in Gesundheit und Pflege und nur ein Prozent in die Mindestsicherung. Es habe ihn im vergangenen Jahr deshalb sehr irritiert, dass über Alleinerzieherinnen, die Mindestsicherung beziehen und kaum über die Runden kommen, so sehr debattiert wurde, "während wir nicht darüber diskutieren, wie wir wertschätzender miteinander umgehen können".
Die Replik von Minister Sobotka: Es gehe bei den Kürzungen der Mindestsicherung nicht um die Alleinerzieherinnen sondern um jene, die das System ausnutzen bzw. jene, die noch keine Beiträge in das Sozialsystem einbezahlt hätten.
Landau: "Wir dürfen eine Not nicht gegen die andere ausspielen. Wir kommen mit Neiddebatten nicht weiter." Niemand stelle sich aus Jux und Tollerei für einen Teller Suppe auf die Straße. Das Auseinanderdriften der Gesellschaft sei unübersehbar.
Der Caritaspräsident zeigte sich sehr besorgt, dass angesichts der aktuellen tagespolitischen Entwicklungen ganz wichtige Zukunftsthemen, die gerade auch für den sozialen Zusammenhalt so wichtig wären, wieder nicht umgesetzt würden. Er nannte in diesem Zusamenhang u.a. die Bildungsreform. "Jedes Kind soll auf die Bildungsreise mitgenommen werden", so Landau wörtlich. Wo es aufgrund der familiären Situation Defizite gibt, müsse die Schule möglichst gut ausgleichen.
Sobotka wies darauf hin, dass die Wurzel dieser Probleme eben schon in den Familien und in den frühkindlichen Phasen liegen würden. Es brauch Strukturen, die schon bei den Familien ansetzten. Eine solche differenzierte und komplexe Materie sei leider medial kaum vermittelbar.
Ein weiteres brennendes Zukunftsthema für Landau, das auch für den gesellschaflichen Zusammenhalt enorm wichtig sei: die Pflege. Niemand verstehe, warum in der Pflege in jedem Bundesland unterschiedliche Standards, Untersützungleistungen usw. vorgegeben seien. "Bei allem Respekt", so Landau wörtlich, "unser Land ist zu klein, um es neun Mal unterschiedlich zu organisieren".
Landau plädierte angesichts der laufenden politischen Vorgänge zudem für eine "Abrüstung der Worte". Sobotka räute ein, auch vor der eigenen Tür kehren zu wollen, stellte grundsätzlich aber fest, dass auch sachlich scharfe Kritik in einer Demokratie möglich sein müsse. Die Grenze liege für ihn in persönlich verletzenden Angriffen.
Wertschätzung für Freiwillige
Der Grundwasserspiegel der Solidarität in Österreich sei immer noch sehr hoch, stellte der Caritaspräsident fest. Er verwies in diesem Zusammenhang etwa auf 25.000 Kinder und Jugendliche, die sich dieser Tage im Rahmen der Aktion "Laufwunder" für Menschen in Not engagieren. Allein bei der Caritas würden österreichweit 50.000 Freiwillige mitarbeiten und im Bereich der Caritas der Erzdiözese Wien seien allein im vergangenen Jahr 1.160 neue Freiwillige dazugestoßen.
Auch der Innenminister zeigte sich ob der Arbeit der vielen NGOs, Vereine und sonstigen Freiwilligeninitiativen sehr beeindruckt. Sobotka beklagte zugeich aber eine zunehmende Armut an Werten, Einstellungen und Zivilcourage in der Gesellschaft. Immer mehr Menschen würden ihre Eigenverantwortung abgeben, sei es etwa in Gesundheitseinrchtungen an das medizinische Personel oder im Bildungsbereich an die Lehrkräfte. Das zivilgesellschaftliche Engagement müsse zudem auch immer mehr anstelle eines früher noch gegebenen familiären Sozialnetzes treten, wie dies auch für den Staat der Fall sei.
Auf den Wert der Toleranz angesprochen meinte Minister Sobotka wörtlich: "Die Grenze der Toleranz liegt dort, wo andere intolerant sind und die Werte der Toleranz zerstören wollen." Die notwendige Grundlage eines geeinten Europas, in denen Werte wie Gleichheit, Freiheit und Toleranz gelebt werden können, sah Sobotka in der Rechtsstaatlichkeit. Diese sei seit 2015 und der Flüchtlingskrise bedroht.
Landau sprach von einer notwendigen Balance von "Freiheit und Verantwortung" in Europa. Der Kontinent sei ein gelungenes Friedens- und Wirtschaftsprojekt, das weiterentwickelt werden müsse, auch hin zu einem Sozialprojekt.
Der Caritaspräsident kam auch auf den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu sprechen: Österreich sollte hier eine größere Rolle spielen, forderte Landau, denn "so lange alle 10 Sekunden ein Kind verhungert, haben wir als Gesellschaft versagt".
Die Veranstaltung mit Landau und Sobotka fand im Rahmen der Matineenreihe "Kontrapunkte" statt.
Quelle: kathpress