Wohlstand und Besitz haben immer auch soziale Dimension
Ehrlich erworbener Reichtum und Wohlstand an sich sind nicht nur christlich vertretbar, sondern durchaus erstrebenswert; zugleich gilt es immer aber auch die soziale Dimension von Reichtum zu beachten. Das hat Clemens Sedmak, Professor für Sozialethik am King's College London, in einem Interview in der aktuellen Ausgabe der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" betont. Reichtum sei freilich relativ, so Sedmak. Für den Theologen und Philosophen fängt Reichtum aber schon sehr früh an: "Es ist eine Herausforderung für normale Mittelklasse-Menschen wie mich, denn wir haben immer die Versuchung, die Reichen als die da oben zu defnieren. Das darf man nicht machen. In dem Moment, in dem ich mehr habe als ich brauche, falle ich auch unter die Kategorie 'reich'."
Solange man verantwortungsvoll mit Reichtum umgeht, sei es in Ordnung. Freilich: "Für mich ist diese Antwort noch keine abschließende, sondern bleibt stets ein Stachel im Fleisch", so Sedmak.
Wohlstand bedeute, "ein Leben in materieller Sicherheit mit den entsprechend geistig moralischen Möglichkeiten führen zu können". Ein Leben im Wohlstand sei erstrebenswert, Armut hingegen nicht, so die These Sedmaks. Freilich: "Zu einem einfachen Leben sage ich ja, ich verstehe auch das Armutsgelübde für Lebensformen, die keine Familie sind. Aber Wohlstand - du hast Sicherheit und kannst entsprechend planen - ist aus meiner Sicht für einen Familienvater und Ehemann eine wirklich großartige Sache, und dieser möge möglichst breit verteilt werden."
Sedmak verwies zugleich auf Papst Johannes Paul II., der von einer "Überentwicklung" sprach, wenn eine übertriebene Verfügbarkeit an materiellen Dingen aller Art herrsche. "Wie viele Krawatten benötigt ein Mensch, wie viel Paar Schuhe? Ja: Überentwicklung kann schon bei so einfachen Dingen wie den Schuhen passieren, wenn du ein nicht mehr mit Maß zu rechtfertigendes Angebot an Optionen hast."
Kein Mensch braucht Milliarden
Privateigentum habe in der Regel auch eine soziale Funktion, so Sedmak weiter. So habe schon der Heilige Basileus im 4. Jahrhundert gesagt: "Den Mantel, den du nicht benutzt, hast du den Armen gestohlen." Es gebe also ein Recht auf Privateigentum, dieses Recht sei aber nicht absolut. Sedmak: "Das heißt, man kann das Privateigentum auch streitig machen, wenn du Überfluss hast und andere Menschen Not leiden. Das ist seit dem vierten Jahrhundert Teil unserer katholischen Sozialtradition und seit den Sozialenzykliken auch in Textform gegossen." Dies wirke sich dann so aus, "dass jemand, der exzessiven Reichtum hat, in einem Land, das von bitterer Armut gekennzeichnet ist, das Recht auf diesen Reichtum verwirkt". Papst Paul VI. habe das in seinem Schreiben "Populorum progressio" auf die Staatenebene übertragen und gefordert, "dass Staaten, die zu viel haben, die Pflicht haben, das zu teilen".
In diesem Zusammenhang stelle sich etwa auch die Frage: "Wie viel kann ein Mensch vernünftigerweise brauchen?" Kein Mensch könne ihm plausibel machen, so Sedmak, Milliarden zu brauchen. "Ich bin es ihnen nicht neidig. Es kann aber für Menschen wie Popsänger Justin Bieber oder Fußballer Cristiano Ronaldo nicht gut sein, so viel Geld zu haben."
Die Katholische Soziallehre ist für Sedmak nicht auf einige Prinzipien reduzierbar: "Sie ist entstanden, weil Päpste mit wachen Augen gesehen haben, was in der Welt los ist und haben aus dem Reichtum der christlichen Tradition heraus darauf reagiert. Aber nicht mit Listen von Prinzipien, sondern sie haben es organisch entwickelt. Dabei kam immer zum Ausdruck: Wir wollen ein christliches Leben in der Welt leben, gewissermaßen nicht von der Welt sein, aber in der Welt sein." In dieser Spannung sehe er die Soziallehre, die Sedmak als "die soziale Dimension unseres Glaubens" versteht.
Quelle: kathpress