Maria ist vielerorts die Bannerträgerin des Christentums
An theologischen Fakultäten gibt es einen Witz in diversen Varianten - dessen Pointe aber immer auf einen Satz hinausläuft: "Wer ist denn der Typ da neben Maria?" - gemeint ist Jesus. Maria auf Griechisch, Miriam auf Hebräisch, die Verlobte des Josef von Nazareth und jungfräuliche Gebärerin Jesu Christi: Die "Gottesmutter" hat für Katholiken einen hohen Stellenwert - bei vielen und in manchen Regionen gar einen so großen, dass besagter Witz die theologische Gewichtung hinterfragt. Im Süden Europas, in Teilen Spaniens oder Italiens etwa, in Polen oder auch in vielen Ländern Lateinamerikas erscheint Maria als die eigentliche Bannerträgerin des Christentums.
Auch im kirchlichen Lehramt ist Maria fest verankert: Es gibt nicht weniger als vier Mariendogmen, davon zwei aus der Zeit der Spätantike, der großen Zeit der kirchlichen Lehrfestschreibungen. Bemerkenswert ist, dass zwei der jüngsten drei Dogmen der Kirchengeschichte - Ausnahme: die päpstliche Unfehlbarkeit (1870) - Maria betreffen. Es sind dies die Lehrsätze über die unbefleckte Empfängnis Mariens (1854) und über die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel (1950).
Nach katholischer Auffassung ist Maria als Gottesmutter wie kein anderer Mensch ihrem Sohn Jesus Christus und durch ihn Gott nahe; sie tritt vor Gott für die Menschen ein. Noch beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) gab es Bestrebungen, Maria in einem fünften Dogma zur Miterlöserin der Menschheit erklären zu lassen - ein Wunsch, den auch 2008 mehrere Kardinäle aus Lateinamerika und Asien an Papst Benedikt XVI. herantrugen.
Der emeritierte Papst, selbst ein großer Verehrer der Gottesmutter, befand 2002, noch vor seiner Wahl: "Dass Maria als ein mit Privilegien überschüttetes und uns dadurch unendlich fern gerücktes Individuum dargestellt (...) worden ist", habe der theologischen Marienlehre wie der Lehre von der Kirche "gleichermaßen geschadet". Jedoch: "Entscheidend is auf'm Platz", so könnte man mit dem 2003 verstorbenen deutschen Fußballtrainer Adi Preißler feststellen. Die Marienverehrung zeigt sich letztlich vor allem in der Volksfrömmigkeit.
In Europa, aber auch in Lateinamerika gibt es jahrhundertealte Traditionen. Marienwunder und Legenden um Statuen und Gnadenbilder oder gar Marienerscheinungen sind Anlass für Pilgerfahrten, bunte Prozessionen und Umzüge, die Tausende, Hunderttausende, über das Jahr gar Millionen Menschen zusammenbringen: im mexikanischen Guadalupe, im brasilianischen Aparecida, in Lourdes, Kevelaer, Tschenstochau, Altötting - und eben in Fatima, wo die Gottesmutter vor 100 Jahren drei Hirtenkindern drei "Geheimnisse" offenbart haben soll.
Wo Verehrung und Frömmigkeit sind, da ist allerdings meist auch der Kommerz nicht fern. Wie hat man Maria nicht schon gesehen: als schwarze oder weiße Madonna, geschnitzt aus Wurzelholz, gegipst oder getöpfert, "made in Hongkong" mit blinkendem Strahlenkranz. Am bekanntesten sind vielleicht die Lourdes-Madonna als Plastikflasche, mit abschraubbarer blauer Krone zum Befüllen mit Lourdes-Wasser, und die Madonna von Fatima mit ihrer riesigen geschwungenen Krone.
Dass auch der Argentinier Franziskus, der erste Papst aus Lateinamerika, eine ausgesprochene Marienfrömmigkeit mit in sein oberstes Hirtenamt bringt, wurde bereits am Tag nach seiner Wahl deutlich, den er mit einem Pilgerbesuch in der römischen Basilika Santa Maria Maggiore begann. Im Mai 2013 ließ er in Fatima sein Pontifikat dem Schutz Marias weihen. Nun, zum 100. Jahrestag der Erscheinungen am 13. Mai, reist er selbst dorthin und spricht zwei der drei Seherkinder von damals heilig.
Franziskus steht damit in einer langen Tradition: Erstmals weihte Pius XII. (1939-1958) im Kriegsjahr 1942 die Menschheit und die Welt Maria. Gleich mehrfach tat das der heiliggesprochene Papst Johannes Paul II. (1978-2005). Und 1954 weihte der damalige Bischofskonferenz-Vorsitzende, der Kölner Kardinal Josef Frings, beim Katholikentag in Fulda Deutschland der Gottesmutter.
Der bevorstehende Besuch in Fatima ist nicht nur ein Aufmerker für jene, die in Franziskus ausschließlich einen "Progressiven" sehen wollen. Es bringt ihn in der Wahrnehmung womöglich noch weiter an den Konzils- und Reformpapst Johannes XXIII. (1958-1963) heran. Auch der "papa buono" und Bauernsohn Angelo Giuseppe Roncalli war im Herzen ein Konservativer - von ausgesprochener Marienfrömmigkeit.
Zugleich ist bemerkenswert, dass sich Franziskus durchaus kritisch zu Privatoffenbarungen geäußert hat - denn zu diesen gehören ja Marienerscheinungen; auch die von Fatima. Manche Christen suchten heute das Außergewöhnliche und Besondere in spektakulären Wundern und privaten Offenbarungen, warnte er in einer Predigt. Die Zeit der Offenbarungen sei jedoch mit dem Neuen Testament abgeschlossen. Offenbarungen und kultische Verehrung dürften für Christen kein Selbstzweck sein, sondern müssten stets "zu Jesus Christus führen". Andernfalls handle es sich um "Christen ohne Christus".
Privatoffenbarungen, so lehrt die Kirche, können die ursprüngliche Offenbarung nur in Erinnerung rufen, erklären oder aktualisieren. Laut dem Weltkatechismus steht es jedem Katholiken frei, an solche Privatoffenbarungen zu glauben oder nicht.
Quelle: kathpress