Zwang zur "Mono-Identität" hemmt Integration
Eine wissenschaftliche Antwort auf die aktuell wieder aufflammende Debatte über eine "Leitkultur" als Integrationsfaktor gibt ein Forschungsprojekt der ökumenischen Stiftung "Pro Oriente": Unter dem Titel "Heimat in der Fremde" wurden von Wissenschaftlern der Universität Wien zwei orthodoxe Diaspora-Gemeinden untersucht und nach Faktoren gelingender Integration befragt. Das Ergebnis: Ein von einer Mehrheitsgesellschaft ausgehender "Zwang zur 'Mono-Identität'" hemme den Integrationsprozess, da er in "Loyalitätskonflikte" hineinführe, während eine "Akzeptanz von 'Multi-Identität'" Integration fördere, da dies der Lebensrealität der Menschen entspreche, die "Mehrfachzugehörigkeiten" gewohnt seien, wie es in einer Aussendung von "Pro Oriente" am Montag hieß.
Die Ergebnisse des vom Integrationsministerium geförderten Forschungsprojekts "Heimat in der Fremde" werden am Mittwoch, 3. Mai, im Wiener Otto-Mauer-Zentrum vorgestellt (1090 Wien, Währinger Straße 2-4, Beginn: 19 Uhr). Projektpartner waren die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien sowie die universitäre Forschungsplattform "Religion and Transformation in Contemporary European Society" und das Forschungsnetzwerk "Religion im Kontakt von Migration". Gegenstand der Studie waren die rumänisch-orthodoxe sowie die serbisch-orthodoxe Gemeinde in Wien.
Im Rahmen des Projekts wurden drei Workshops durchgeführt, bei denen Experten aus verschiedenen Bereichen, aber auch Kleriker und Männer und Frauen unterschiedlichen Alters aus den beiden Diasporagemeinden vertreten waren. Beim zweiten Workshops berichteten Prof. Samuel Behloul (Universität Luzern) und Prof. Jorge E. Castillo Guerra (Universität Nijmegen) über Erfahrungen zum Themenkreis "Religion und Migration" in der Schweiz und in den Niederlanden. Beim dritten Workshop wurden die von Prof. Regina Polak zusammengefassten Beobachtungen zum "zivilgesellschaftlichen Beitrag von Diasporagemeinden in Österreich" diskutiert, wieder mit Beteiligung von rumänisch-orthodoxen und serbisch-orthodoxen Christen.
Spracherwerb zentral
Förderliche Faktoren in Bezug auf die Integration wurden ebenso benannt wie hemmende. In Sachen Sprache wurde die zentrale Bedeutung des Erwerbs der deutschen Sprache als "Sprache der neuen Heimat" betont, zugleich wird auf die Pflege der Sprache des Herkunftslandes im Hinblick auf Gemeindeleben, Liturgie, Verbindung zur Tradition Wert gelegt. Die Chance auf sozialen Aufstieg in der neuen Heimat erhöhe die innere Bereitschaft der Gemeindemitglieder zur Integration. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit zur politischen Mitbestimmung und zur Teilhabe am kulturellen Angebot. Unterstrichen wurde die Bedeutung der soziokulturellen, medialen, politischen Anerkennung durch die Mehrheitsgesellschaft, die sich u.a. auf symbolischer Ebene und durch die aktive Kontaktaufnahme von Repräsentanten der Öffentlichkeit zeigt.
Als notwendige Basis für die Bereitschaft zu Kontakt und Solidarität mit der "Außenwelt" wurde die Erfahrung von Gemeinschaft in den Diasporagemeinden bezeichnet. Eine Schlüsselrolle komme dem Klerus zu, wenn er zur Integration ermutigte. Als Beispiel wurde die vom rumänisch-orthodoxen Bischofsvikar Nicolae Dura erarbeitete "Theologie der Gemeinde" genannt, die den Gemeinden helfe, ihre Lebenssituation in der Diaspora auch theologisch zu verstehen. Als entscheidend wurde die Präsenz "Brückenbauern" in der Gemeinde ausgemacht. Zumeist müssten Angehörige der zweiten oder dritten Generation diese Rolle übernehmen. Sehr klar wurde herausgearbeitet, dass die Aufgeschlossenheit und Integrationsbereitschaft einer Gemeinde umso höher ist, je mehr Frauen, Kinder und Jugendliche beteiligt und wertgeschätzt werden.
Als hemmende Faktoren in Bezug auf die Integration wurden Armut, Fehlen der Zukunftsperspektiven aus Mangel an Selbstbewusstsein oder an Optionen, Ablehnung durch die Gesellschaft (öffentliche Stimmung, Mangel an individueller wie struktureller Anerkennung, Diskriminierung von Kindern in Kindergarten und Schule infolge ihrer ethnischen Herkunft) aufgelistet. Je schwächer die strukturelle Anerkennung in der neuen Heimat sei, umso mehr wachse die Gefahr, in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Herkunftsland zu geraten oder in einem solchen zu verbleiben. Als hinderlich für die Integration wurden auch Gemeinden bezeichnet, die ihre sozialen Netzwerke ausschließlich innerhalb der eigenen Gemeinschaft haben und sich aus Angst oder Ablehnung der Werte der Umgebung von der Aufnahmegesellschaft isolieren.
Quelle: kathpress