Kirche startet Pionierprojekt für Arbeitslose
Europaweit völlig neuartig ist ein Beschäftigungsprojekt, das die Betriebsseelsorge Oberes Waldviertel zu Ostern in Kooperation mit dem Arbeitsmarktservice (AMS) gestartet hat: Langzeitarbeitslose Frauen und Männer - darunter Akademiker wie auch Analphabeten der Geburtsjahrgänge 1954 bis 1993 und in verschiedenster gesundheitlicher Verfassung - erhalten 18 Monate lang die Möglichkeit, das zu tun, was ihren Fähigkeiten und Begabungen entspricht. Dazu bekommen sie ein Grundeinkommen, Wertschätzung und Begleitung. Möglich werden soll dadurch ein sinnvolles Einbringen in die Gesellschaft sowie das Entstehen neuer Arbeitsplätze und Projekte.
In der Region im äußersten Norden Österreichs knapp an der Grenze zu Tschechien ist die Arbeitslosigkeit hoch. Allein in der Gemeinde Heidenreichstein, in der das Projekt stattfindet, leben 100 Langzeitarbeitslose. Es gebe dennoch genug Sinnvolles zu tun, wobei wichtige Tätigkeiten oft nicht bezahlt würden, erklärte der Initiator des Projekts, Betriebsseelsorger Karl Immervoll, gegenüber der Pressestelle der Diözese St. Pölten. "Statt bei den Defiziten der Arbeitslosen zu beginnen, müssen ihre Stärken gesehen werden. Das beugt der Gefahr vor, dass sie sich zuhause verkriechen oder sich radikalisieren." Wie Vorgänger-Projekte gezeigt hätten, verändere sich durch diesen Ansatz nicht nur für den Einzelnen, sondern für die ganze Gemeinde etwas zum Positiven.
Konkret werden die 40 Teilnehmer des Pilotprojekts für dessen Dauer aus der Vermittlung beim AMS herausgenommen, beziehen jedoch weiter Arbeitslosengeld und Mindestsicherung. Unter Begleitung der Betriebsseelsorge, die bereits zuvor mit ähnlichen, bislang sechsmonatigen Maßnahmen gute Erfolge erzielt hat, starten die Betroffenen je nach Veranlagung eigene Projekte: "Etwa in der Altenbetreuung, im Obstbau, als Musiker, Schriftsteller oder in einem eigenen kleinen Geschäft, das bisher nicht so recht lief", schilderte Immervoll. Teuer ist die Maßnahme nicht, wurde das Arbeitslosengeld doch schon zuvor ausbezahlt; einziger Mehraufwand ist die Begleitung durch einen Arbeitsmarkttrainers der Betriebsseelsorge, der u.a. Einzel- und Gruppengespräche organisiert.
Wissenschaftliche Begleitung
"Wir wollen schauen, was in 18 Monaten bewegt werden kann", so Immervoll. Durchaus schwebe ihm vor, dass die gewonnenen Erfahrungen "auch an jedem x-beliebigen Ort durchgeführt werden könnten". Das Projekt wird daher von Experten der Universität Salzburg, des Ilse-Arlt-Instituts der Fachhochschule St. Pölten, der Katholischen Sozialakademie und der Arbeiterkammer Niederösterreich wissenschaftlich begleitet. Erfolgsdruck gebe es dennoch nicht, betonte der Sozialpionier. "Manche werden einen Job bekommen, eine Anstellung finden oder den Schritt in die Selbständigkeit schaffen, andere jedoch nicht. Vor allem geht es darum, dass die Menschen mit ihrem Leben wieder etwas anfangen können, Wertschätzung erfahren und Selbstbewusstsein entwickeln."
Mit dem Projekt wolle die Betriebsseelsorge auch ein gesellschaftspolitisches Signal geben, betonte Immervoll. "Wir müssen uns fragen: Was ist mit den Menschen, die wir im Zuge der Digitalisierung nicht mehr brauchen können? Die Arbeitsmarktpolitik hat hier versagt, denn das Arbeitsvolumen steigt nicht mehr und es gibt immer mehr prekäre Arbeitsstellen." Auch noch mehr Wirtschaftswachstum, mehr Flexibilität oder Anti-Ausländer-Kampagnen würden die Situation nicht verbessern. "Vielmehr braucht es völlig neue Ansätze, bei denen man die Leute nicht wie Müll behandelt und wegschickt, sondern ihnen ermöglicht, mit ihren Talenten etwas zu tun. Wir können auf niemanden verzichten."
Ideen gegen Arbeitslosigkeit und Landflucht
Karl Immervoll gilt bei innovativen Ansätzen gegen Arbeitslosigkeit und Abwanderung über die Grenzen Österreichs hinaus als Vorreiter: Der Theologe, Schuhmacher und Musiker hat seit Beginn seiner Tätigkeit als Betriebsseelsorger im oberen Waldviertel 1983 u.a. die Waldviertler Schuhwerkstatt (heute GEA), die Emailwerkstatt in Langegg, die Greißlerei in Heidenreichstein, eine Ökologische Putzagentur in Groß Siegharts, das Kinderhaus Blümchenclub, die Heidenreichsteiner Arche, die Lehrlingsstiftung Eggenburg, die Waldviertler Regionalwährung, Regionalmärkte und zuletzt ein Solartaxi ins Leben gerufen. Für sein Engagement erhielt er 2015 u.a. den Papst-Leo-Preis für besondere Verdienste um die Katholische Soziallehre.
Quelle: kathpress