Papst ruft zum Kampf gegen Populismus in Europa auf
Papst Franziskus hat die Staats- und Regierungschefs der EU zum Kampf gegen den Populismus in Europa aufgefordert. Diese Bewegungen seien "Blüten des Egoismus" und nicht in der Lage, "die Enge der eigenen Gedanken einzusehen", sagte Franziskus am Freitagabend im Vatikan vor den Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten.
Zugleich mahnte der Papst mehr Solidarität der EU-Staaten untereinander. Dies sei das "wirksamste Heilmittel" gegen Populisten. Franziskus forderte die Politiker auf, "wieder europäisch zu denken, um die gegensätzliche Gefahr einer grauen Uniformität oder des Triumphs der Partikularismen abzuwehren". Eine solche Führungsrolle der Ideen sei Sache der Politik: "Diese soll vermeiden, Emotionen auszunutzen, um Zustimmung zu gewinnen, sondern vielmehr im Geist der Solidarität und Subsidiarität politische Handlungsweisen erarbeiten, welche die gesamte Union in einer harmonischen Entwicklung wachsen lassen."
Anlass der Audienz der EU-Staats- und Regierungschefs beim Papst war der 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Damit wurde am 25. März 1957 in Rom der Grundstein für die heutige EU gelegt. Auch Bundeskanzler Christian Kern war in den Apostolischen Palast des Vatikan gekommen. Im Namen der versammelten Staats- und Regierungschefs und EU-Vertreter begrüßte Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni den Papst. Im Beisein von Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk wandte sich zudem Europaparlaments-Präsident Antonio Tajani an Franziskus.
In seiner gut 30-minütigen Grundsatzrede über Europa skizzierte der Papst einen fünfteiligen "Weg der Hoffnung" für Europas Zukunft. Franziskus ging dabei von den Gründerfiguren der europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg aus. Die EU könne ihre gegenwärtige Krise überwinden, wenn sie sich auf die Ideale ihrer Gründerväter besinne, betonte der Papst. Der "Geist europäischer Solidarität" dürfe sich allerdings nicht nur auf wirtschaftliche und finanzielle Erfordernisse reduzieren.
Der Blick auf die Gründerväter erinnere daran, dass Europa nicht eine "Summe von einzuhaltenden Regeln, nicht ein Handbuch von zu befolgenden Protokollen und Verfahrensweisen" sei, so Franziskus, sondern "ein Leben; eine Art, den Menschen ausgehend von seiner transzendenten und unveräußerlichen Würde zu begreifen und nicht nur als eine Gesamtheit von zu verteidigenden Rechten oder einzufordernden Ansprüchen". Von Anfang an, sagte der Papst, "war klar, dass das pulsierende Herz des politischen Projekts Europa nur der Mensch sein konnte."
Die heutige Zeit sei zudem von einem "Erinnerungsvakuum" gekennzeichnet, in der man oft die große Errungenschaft vergesse, dass der europäische Einigungsprozess zur längste Friedensära der letzten Jahrhunderte geführte habe, erinnerte der Papst. Der Friede sei "ein kostbares und wesentliches Gut, da man ohne ihn nicht in der Lage ist, für jemanden eine Zukunft aufzubauen".
Ausdrücklich wandte sich Franziskus erneut gegen eine Abschottung vor Flüchtlingen. "Dort, wo Generationen sich sehnlichst wünschten, die Symbole einer aufgezwungenen Feindschaft fallen zu sehen, diskutiert man heute, wie man die jetzigen 'Gefahren' fernhalten kann: angefangen von dem langen Treck von Frauen, Männern und Kindern, die auf der Flucht vor Krieg und Armut sind und nur um die Möglichkeit einer Zukunft für sich und die ihnen nahestehenden Personen bitten", sagte der Papst.
Europa dürfe sich nicht in die "Angst falscher Sicherheiten einschließen", mahnte der Pontifex. Europas Geschichte sei stets von der Begegnung mit anderen Völkern und Kulturen geprägt worden, seine Identität sei stets multikulturell gewesen: "Man kann sich nicht darauf beschränken, die schwerwiegende Flüchtlingskrise dieser Jahre so zu bewältigen, als sei sie nur ein zahlenmäßiges, wirtschaftliches oder ein die Sicherheit betreffendes Problem."
Die Migrationsproblematik, so Franziskus weiter, stelle eine tiefere Frage, die vor allem kultureller Natur sei. "Welche Kultur bietet Europa heute an? Die Angst, die man häufig wahrnimmt, findet nämlich ihren tieferen Grund im Verlust der Ideale", hielt er fest. Der Reichtum Europas sei stets dessen geistige Offenheit gewesen und die Fähigkeit, sich grundlegende Fragen über den Sinnes Daseins zu stellen, sagte Franziskus. Europa habe ein ideelles und geistiges Erbe, das einzigartig sei auf der Welt, betonte der Papst. Dieses stelle "das beste Heilmittel gegen das Vakuum an Werten unserer Zeit dar, jenen fruchtbaren Boden für Extremisten aller Art".
Einheit in der Verschiedenheit
Zugleich sieht der Papst eine Distanz zwischen den europäischen Institutionen und den Bürgern. Leider habe man oft den Eindruck, dass eine "affektive Kluft" zwischen beiden bestehe. Die europäischen Institutionen würden häufig als fern und unaufmerksam gegenüber den verschiedenen Sensibilitäten innerhalb der EU wahrgenommen. "Europa findet wieder Hoffnung, wenn der Mensch die Mitte und das Herz seiner Institutionen ist", sagte der Papst. Dies bedeute auch, den Familiengeist wiederzufinden. Europa sei eine Familie von Völkern, in der es unterschiedliche Sensibilitäten gebe, "aber alle in dem Maße wachsen können, wie sie geeint sind", plädierte Franziskus für Einheit in der Verschiedenheit. Die Europäische Union müsse wieder den Sinn dafür entdecken, Gemeinschaft von Menschen und Völkern zu sein, die sich bewusst sei, dass das Ganze mehr als ein Teil oder ihre einfache Summe sei.
Wie schon in seiner Rede bei der Verleihung des Karlspreises im vergangenen Jahr, forderte Franziskus einen "neuen europäischen Humanismus". Dieser müsse aus Idealen und konkreter Umsetzung bestehen. Zudem betonte der Papst die Bedeutung der christlichen Werte für Europa. Das Christentum habe am Ursprung der europäischen Kultur gestanden. Auch heute noch lebe der Kontinent von den gleichen christlichen und humanen Werten. "In unsere multikulturellen Welt werden diese Werte weiterhin volles Heimatrecht finden, wenn sie ihre lebensnotwendige Verbindung mit der Wurzel, aus der sie hervorgegangen sind, aufrecht zu erhalten wissen", so Franziskus.
Der zentrale Festakt zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge findet am Samstag in den Kapitolinischen Museen in Rom statt. Dort waren die Verträge am 25. März 1957 unterzeichnet worden.
Quelle: kathpress