Kritik von Ex-Traiskirchen-Chef unberechtigt
Die Caritas und zahlreiche Hilfsorganisationen wehren sich gegen die Vorwürfe des früheren Leiters des Flüchtlingslagers Traiskirchen und bewerten diese "Generalabrechnung" als "zynisch und realitätsfremd". "Jeder, der die Bilder von obdachlosen Menschen in der Erstaufnahmestelle Traiskirchen gesehen hat, weiß: Hier herrschte dringender Handlungsbedarf", betonte der Wiener Caritas-Generalsekretär am Samstag im "Ö1-Morgenjournal" und gegenüber anderen Medien. Die von Tausenden unterstützte "Hilfe im Nachhinein als Teil des Problems zu beschreiben und nicht als Teil der Lösung zu benennen, ist beispiellos", so Klaus Schwertner im Interview mit "Kathpress". Amnesty International-Generalsekretär Heinz Patzelt sprach im "Morgenjournal" von "schlampiger Recherche und haltlosen Vorwürfen".
Auslöser der breiten Kritik aus dem Bereich der NGOs war das von Franz Schabhüttl gemeinsam mit dem "Presse"-Journalisten Andreas Wetz verfasste und am Freitag präsentierte Buch "Brennpunkt Traiskirchen". Darin kritisiert der frühere Traiskirchen-Leiter u.a. das Verhalten der Caritas und anderer Hilfsorganisationen als aktionistisch. Die Botschaft der Hilfsorganisationen, dass Traiskirchen im Sommer 2015 überbelegt gewesen wäre und unter den Asylwerbern Not, Hunger und medizinische Unterversorgung geherrscht hätte, sei zu jedem Zeitpunkt falsch gewesen. Dieses Bild habe in der Bevölkerung zutiefst menschliche, aber objektiv nicht notwendige Hilfsreflexe ausgelöst. "Wir mussten durch die so ausgelöste Spendenflut auf Kosten der Steuerzahler wöchentlich bis zu 50 Tonnen an brauchbaren Waren entsorgen", so Schabhüttl.
Republik war auf Hilfsbereitschaft angewiesen
Im Gegensatz zu dieser Sichtweise betonte Schwertner gegenüber "Kathpress", dass in Traiskirchen sehr wohl "dringender Handlungsbedarf" geherrscht habe: "Hunderte obdachlose Menschen mussten über mehrere Wochen bei jedem Wetter unter freiem Himmel am nackten Boden schlafen. Gemeinsam mit freiwilligen Helfern haben wir in Traiskirchen in wenigen Tagen mehr als 1.000 Schlafsäcke verteilt - an Männer, Frauen und auch an sehr viele Kinder." Diese Hilfe sei "ohne Alternative" gewesen. "Sich rückwirkend über die Entsorgung von Müll und das Engagement von tausenden Freiwilligen zu beschweren anstatt darüber, dass es nicht gelang, obdachlose Kinder und Erwachsene unterzubringen, macht deutlich, dass hier bis heute nichts verstanden wurde", so Schwertner an die Adresse von Schabhüttl. Die Republik sei in diesen Monaten auf die Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft angewiesen gewesen, nicht nur in Traiskirchen, sondern in ganz Österreich.
Der Sommer 2015 sei "unglaublich fordernd" gewesen, so Schwertner im Rückblick. Es sollte heute "nicht um Schuldzuweisungen" gehen, sondern um die Frage, ob bereits alles unternommen werde, um Obdachlosigkeit von Kindern in Österreich künftig zu vermeiden. Das müsse das Ziel sein.
Deutliche Worte zu den Vorwürfen Schabüttls fand AI-Generalsekretär Patzelt: Es sei ein "unfassbarer Zynismus", wenn man als Lagerleiter verantwortet, dass Frauen, Schwangere und kleine Kinder am Boden im Freien schlafen und man gleichzeitig noch freie Betten im Haus hatte, die aus politischen Gründen nicht freigegeben werden. Das unter dem Begriff "Zeltromantik zu subsumieren, macht sprachlos."
Ärzte ohne Grenzen wies zudem den Vorwurf zurück, die Kritik an der medizinischen Versorgung sei überzogen gewesen. Die Versorgung sei völlig unzureichend und die sanitären Bedingungen seien erschütternd schlecht gewesen. Rückwirkend Freiwillige und Hilfsorganisationen für das eigene Versagen verantwortlich zu machen, bedürfe keines weiteren Kommentars, so die Hilfsorganisation in einer Stellungnahme.
Peter Wesely, Sprecher des einstigen Flüchtlingskoordinators der Bundesregierung, Christian Konrad, sagte im "Morgenjournal": "Wenn Franz Schabhüttl der Meinung ist, dass die Versorgung der Flüchtlinge damals nicht zu beanstanden war, dann irren offenbar alle - von der Bundesregierung abwärts."
Damit sprach Wesely die Lagebeurteilung der Regierung im Sommer 2015 an. So hatte der damalige Bundeskanzler Werner Faymann nach einem Besuch in Traiskirchen im August 2015 festgehalten, dass die Situation dort "humanitär nicht tragbar" sei. In der Folge setzte das zuständige Innenministerium mit Walter Ruscher und Erich Prenner zwei Generalkoordinatoren ein, die zwischen Juli und September 2015 die Leitung des Lagers übernahmen.
Wie der jetzige Bundeskanzler das Wirken der Caritas und anderer kirchlicher Einrichtungen beurteilt, hat dieser am Dienstag im Anschluss an ein Treffen mit den Vertretern aller anerkannten Religionsgemeinschaften deutlich gemacht: Christian Kern dankte diesen "für ihr soziales, humanitäres Engagement". Besonders hob er den Beitrag bei der Flüchtlingsbetreuung hervor: "Die vielen tausenden Freiwilligen haben hier tatsächlich Unschätzbares geleistet. Ich bin davon überzeugt, dass die staatlichen Institutionen bei weitem nicht diese Aufgabe so gut absolvieren hätten können, ohne diesen ganz entscheidenden Beitrag", so der Bundeskanzler.
Quelle: kathpress