Religion nur nachrangig Gewalt-Ursache
Mit einem Appell zum Abbau von "kultureller und struktureller Gewalt" als Beitrag zum Frieden in der Gesellschaft ist am Samstag das "Symposion Dürnstein" zu Ende gegangen. "Gewalt ist nicht unvermeidlich, weil biologisch bedingt, sondern immer eine Folge sozialer Ursachen. Egal ob schlecht organisierte staatliche Verwaltung oder ökonomische Ungleichheit: Jede Zerstörung von Integrität wird von Menschen als Gewalt erfahren, die sie zur Gegengewalt motiviert", so das Resümee von Kuratorin Ursula Baatz zu der dreitägigen Veranstaltung im ehemaligen Stift direkt am Wachau-Donauufer.
Das hochkarätig besetzte Symposion widmete seine sechste Auflage dem Thema Gewalt und Gesellschaft. Die Veranstalter verzeichneten das bisher höchste Publikumsinteresse seit seiner Gründung.
Hinter Aggression steckt in den meisten Fällen das Gefühl von Ausgrenzung, welches im Gehirn das Schmerzzentrum aktiviert, legte der Neurobiologe Joachim Bauer in seinem Eröffnungsvortrag dar. Menschen seien bis hin zur Gewaltanwendung bereit, um diesen Schmerz zu bekämpfen und das Gefühl von Akzeptanz zu erreichen. Akzeptanz und Anerkennung durch andere Menschen seien im Gegensatz zu Ausgrenzung wiederum wesentliche Auslöser für Wohlbefinden, so der Erfolgsautor und Oberarzt an der Universitätsklinik Freiburg.
Um Jugendliche auf der Suche nach Gruppenzugehörigkeit anzusprechen, nutzen radikale Islamisten nicht zuletzt Werkzeuge der Popkultur, zeigte der Psychologe und Autor Ahmad Mansour auf. Als Ursachen von Radikalisierung von Jugendlichen im Islam nannte der Experte u.a. ein problematisches grundsätzliches Verständnis des Islam als Aufforderung zu Schwarz-Weiß-Denken im Sinne von Verbot und Erlaubnis, fehlendes Reflektieren von Entscheidungen sowie eine vorherrschende "Geschlechterapartheid". Zu suchen gelte es nach den Kriterien für einen "zukunftsfähigen Islam", so Mansour. Dafür sei eine innerislamischen Debatte notwendig, sowie weitere Maßnahmen bis hin zur Vermittlung der Inhalte verschiedener Religionen in Schulen.
Jeder ist zu Gewalt und Frieden fähig
Religion sollte jedoch in der Diskussion um Gewalt nicht per se an den Pranger gestellt werden, da Gewalt letztendlich von Menschen selbst komme, mahnte der Innsbrucker Theologe Wolfgang Palaver. In jedem Menschen stecke das Potenzial sowohl für Gewalt als auch für Frieden, wobei die Motivation zu Gewalt vielfältig sei. Eine davon sei freilich religiöser Fanatismus, wobei der Ausgangspunkt meist ein "Begehren, das über Erreichbares hinausgeht" sei.
Religion spiele umgekehrt jedoch auch bei der staatlichen Gewalteindämmung eine Rolle, sagte der Theologe. Sie biete mit dem Verzicht auf egoistische Motivation - der sogenannten "kenotischen Heiligkeit" - eine Alternative zur Gewalt.
Am konkreten Beispiel machte dies der nigerianische Philosoph Jonathan Chimakonam Okeke fest: Auch wenn die Gewalt in seinem Heimatland religiös motiviert sei, lägen die Gründe dafür woanders. Wichtige Faktoren dafür seien die enorme ethnische Diversität Nigerias, das Fehlen eines einigenden nationalen Bewusstseins, Armut und mangelnde Bildung. Dies werde von Clan-Führern durch religiöse Mobilisierung zum eigenen Vorteil ausgebeutet. Okeke plädierte daher für mehr Bildung, für Wege aus der Armut, eigenständiges Denken und eine Weltsicht, die statt Isolation wechselseitige Verbundenheit betont.
Konfliktbeladene Religions-Identität
Über die Beziehungen zwischen Zivilgesellschaft und Militär bzw. der Friedenserziehung in Israel sprachen die Beiratsvorsitzende von "Women in International Security Israel", Lea Landman, und die Politikberaterin Jumana Jaouni. Landman berichtete vom zunehmend wahrgenommenen Problem sexueller Übergriffe auf Frauen im Militärdienst durch teils hohe Offiziere, während Jaouni vor dem Zerfall der palästinensischen Gesellschaft seit 2006 warnte: Die Menschen verstünden sich nicht mehr wie einst vorrangig als Palästinenser, sondern zuerst als Muslime oder Christen, was Konflikte verschärfe und den Friedensprozess ins Hintertreffen bringe.
Strategien und Gegenstrategien von Populismus in der Politik beleuchtete der an der Princeton University lehrende Politologe Jan-Werner Müller. Bei dem Phänomen gehe es stets um den Ausschluss bestimmter Gruppen und Menschen, so seine These. Populismus sei somit antipluralistisch. Falsch sei jedoch das von den betreffenden Politikern verbreitete Bild einer "unaufhaltsamen Welle" oder eines Domino-Effekts, der sich weiterentwickeln würde. Ereignisse wie die Bundespräsidentenwahl in Österreich hätten gezeigt, dass durch starkes Engagement der Zivilgesellschaft auch andere Ergebnisse möglich seien.
Vertrauen, Versöhnung und Feindesliebe
Eingebettet waren die drei Tage im ehemaligen Stiftsgebäude von Morgenimpulsen mit Prälat Maximilian Fürnsinn, der Mitveranstalter des Symposions und als Herzogenburger Propst auch "Hausherr" in Dürnstein ist. Themen seiner Beiträge waren das Hassen, Töten, Zurechtweisen und Versöhnen. Angesichts heutiger Bedrohungen müssten die Glaubensgemeinschaften eine "Botschaft des Vertrauens und der Versöhnung" liefern, da von diesen Grundhaltungen die Zukunft in hohem Maße abhänge. Liebe und Feindesliebe zählten hier zu den "großen Momenten", so die Überzeugung des Propstes.
Das Symposion Dürnstein ist eine Kooperation der NÖ Forschungs- und Bildungsgesellschaft, der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems und der Donau-Universität Krems. Seit 2010 widmet es sich jedes Jahr im März mit hochkarätigen Referenten der Auseinandersetzung über aktuelle Fragestellungen. Themen waren zuvor Risiko und Sicherheit, das gute Leben, Utopien sowie das Vertrauen.
(Infos: www.symposionduernstein.at)