Ein Papst der Anstöße
Als am 13. März 2013 der frisch gewählte Papst Franziskus die Welt mit einem schlichten "Guten Abend" begrüßte und die Gläubigen um Gebetsbeistand bat, witterten viele eine neue Epoche. Der Bruch mit höfischen Traditionen, die Forderung nach einer armen Kirche und die Weigerung, den Stab über einen Homosexuellen zu brechen - "Wer bin ich, ihn zu verurteilen?" -, all das nährte Hoffnungen oder Befürchtungen, Franziskus werde die Lehre der katholischen Kirche revolutionieren. Was hat sich wirklich getan?
Beispiel Homosexualität: Der Katechismus, das Handbuch des katholischen Glaubens, nennt homosexuelle Handlungen "in sich nicht in Ordnung", betont aber, Personen mit dieser Neigung sei "mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen". Franziskus verwahrt sich dagegen, Menschen nach ihrer sexuellen Orientierung zu etikettieren; auf seiner USA-Reise 2015 begrüßte er herzlich einen ehemaligen Schüler und dessen gleichgeschlechtlichen Partner. Aber an der geltenden Lehre hat er kein Jota geändert. Für eine auch nur ansatzweise Gleichordnung homosexueller Gemeinschaften und der Ehe gebe es "keinerlei Fundament", schrieb er in "Amoris laetitia".
Gerade dieses Dokument vom April 2016 wird als Beleg für einen liberaleren Kurs unter dem derzeitigen Papst angeführt. In der Tat eröffnet Franziskus dort die Möglichkeit, wiederverheirateten Geschiedenen nach einer Einzelfallprüfung die Kommunion zu gewähren. Die Unauflöslichkeit der Ehe tastet er allerdings nicht an. Er unterscheidet zwischen Sachverhalten, die moralisch gut oder schlecht sein können, und Personen, die stets der Barmherzigkeit bedürfen.
Das gilt auch für seine jüngste Forderung an kirchliche Eherichter, Paare ohne Trauschein mit dem "Blick des Mitgefühls und der Zärtlichkeit" zu begleiten. Für Frauen, die abgetrieben haben, erleichterte er die Aussöhnung mit der Kirche; im gleichen Zug betonte er, "dass Abtreibung eine schwere Sünde ist, da sie einem unschuldigen Leben ein Ende setzt".
Gefühlte und reale Veränderung
Bei einer ersten Reform-Bilanz des aktuellen Pontifikats ergibt sich ein gewisser Abstand zwischen gefühlter und tatsächlicher Veränderung. Eigentlich könnten alle zufrieden sein: die Konservativen, weil die Lehre bestehen bleibt, die Aufbruchswilligen, weil die Worte und Gesten dieses Papstes einen neuen Stil von Kirche setzen. Dennoch rumort es auf beiden Seiten. Vielleicht weil sie ahnen, dass eine kirchliche Praxis auf Dauer nicht ohne Rückwirkung auf die Theologie bleiben kann.
"Frau und Amt" ist so ein Gelände, auf dem Überraschungen lauern. Einerseits verneinte Franziskus kategorisch, Frauen könnten jemals Priester werden: "Diese Tür ist zu." Andererseits will er die Rolle der Frau in der Kirche stärken, und er richtete eine Kommission zur Erforschung des Frauendiakonats in der frühen Kirche ein - zunächst nur zur historischen Bestandsaufnahme. Auch im Blick auf eine mögliche Priesterweihe für verheiratete Männer kündigte er an, "nachdenken" zu wollen. Es gehe darum, "den richtigen Augenblick zu erkennen, wann der Heilige Geist nach etwas verlangt", sagte er in einem Interview.
Mit der ökumenischen Theologie ließ Franziskus es etwas langsam angehen. Wohl fehlte es nicht an Kontakten, bis hin zum diplomatischen Meisterstück des Treffens mit dem russischen Patriarchen und dem Auftritt beim Lutherischen Weltbund zum Reformationsgedenken. Aber keine bahnbrechenden Einigungspapiere gab es. Stattdessen Gesten, Fragen.
Kirche in Bewegung - doch wohin?
Im November 2015, als man ihn in der lutherischen Gemeinde in Rom auf eine mögliche Abendmahlsgemeinschaft von Eheleuten unterschiedlicher Konfession ansprach, antwortete er, er "würde es nie wagen, dazu eine Erlaubnis zu geben". Doch er äußerte - Verständnis. Auch dies ein Wink, dass Dogmatik und Kirchenrecht nicht für alle menschlichen Nöte Lösungen parat halten.
Den Franziskus-Stil zeichnet aus, dass er eher Dilemmata aufzeigt als Lehrsätze formuliert. So ist, ohne große theologische Würfe, die Kirche unter Franziskus in Bewegung geraten. Selbst eine Einigung mit den traditionalistischen Piusbrüdern steht im Raum. Sie sollen eine eigene Organisationsform innerhalb der Kirche erhalten, wenn sie denn auch die anderen nach deren Fasson selig werden lassen wollen. Franziskus hat ihnen einen Ball zugespielt; jetzt liegt es an ihnen.
Quelle: kathpress