Teil des Stephansdom-Schatzes orthodoxer Herkunft
Der Wiener Stephansdom hat bisher nicht bekannte historische Verbindungen zur Orthodoxen Kirche: So ist ein wesentlicher Teil des Reliquienschatzes des Doms orthodoxer, genauer gesagt byzantinischer Herkunft. Das geht aus einem bislang verschollenen, nun aber wieder entdeckten Dokument aus dem 14. Jahrhundert hervor. Dabei handelt es sich um eine Urkunde aus dem Jahr 1363, mit der der Verkauf von mehr als 50 Reliquien in Konstantinopel an einen italienischen Arzt namens Petrus de Pistagallis bestätigt werden. Noch unter Rudolf IV. (1339-65) dürfte der Schatz schließlich nach St. Stephan gelangt sein, wie der Wiener Byzantinist Christian Gastgeber gegenüber "Kathpress" sagte. Er hat das besagte Dokument untersucht und dazu eine Studie verfasst.
"Ein derart umfangreicher Ankauf direkt aus der Hauptstadt des byzantinischen Reiches ist bislang unbekannt. Die Spuren des Arztes verlieren sich, bis das Dokument in St. Stephan in Wien auftauchte", so Gastgeber. Man könne davon ausgehen, "dass diese Reliquien sehr bald in den Westen gelangten, und gerade Wien unter Pfalzherzog Rudolf IV., dem Stifter, hatte großes Interesse an einer Aufwertung von St. Stephan als Domkirche seiner Residenz". Erlesene Reliquien aus dem Osten seien ihm diesbezüglich wohl gerade recht gekommen. Gastgeber sprach von "einer Brücke mehr, die nun die katholische und orthodoxe Tradition in Wien verbindet".
Leider sei die Dokumentation der frühen Reliquien in den mittelalterlichen Verzeichnissen nicht mit großer Akribie geführt worden, "oft wusste man wohl wahrscheinlich selbst nicht mehr, welchem Heiligem etwas zuzuordnen ist". Erst 1502 wurden die Reliquien ausführlicher aufgelistet, soweit das noch möglich war. Dazu gebe es Zeichnungen der Reliquiare und es würden einige deutliche Parallelen zur "Einkaufsliste von Konstantinopel" auffallen. Wenn die byzantinischen Reliquien also nicht unter Rudolf IV. nach Wien kamen, dann unter einem seiner Nachfolger, so Gastgeber.
Wie der Wissenschaftler betonte, fiel der Kauf 1363 in eine Zeit der wüsten Auseinandersetzungen zwischen der römischen lateinischen Kirche und der griechischen orthodoxen Kirche. Immer wieder angestrebte Unionen scheiterten, gegenseitige Vorwürfe bestimmten die Debatten. Konstantinopel war im 14. Jahrhundert bereits massiv von den Osmanen bedroht, dennoch akzeptierte das Gros des Klerus eine Union mit Rom nicht, was die Position gegenüber den Osmanen sicherlich verbessert hätte.
Gastgeber: "Die Zeit war geprägt von heftigen Polemiken gegen die jeweils andere Konfession." Vor allem auch das Mönchtum im Osten habe eine ganz besondere Rolle der harten Opposition eingenommen, so der Byzantinist: "Just in dieser gespannten Situation wird vom Patriarchen von Konstantinopel ein derartiger Verkauf genehmigt und autorisiert; und Kleriker von griechischen Klöstern bestätigen den Verkauf, wahrscheinlich sogar derjenigen Klöster, aus denen die Reliquien stammen." Von westlicher Seite seien ebenso einige Zeugen zugegen gewesen.
Fälschung oder echt?
Dass Teile des Wiener Domschatzes byzantinischer Herkunft sind, steht zweifelsohne fest. Eine ganz andere Frage ist freilich, ob die Reliquien auch echt sind oder ob es sich um Fälschungen handelt. "Es gibt einige Verdachtsmomente, die auf Letzteres hindeuten könnten", räumte Gastgeber ein. Auf jeden Fall sei an der Urkunde manipuliert worden, "und es wurden von anderen Personen Zusätze gemacht".
Gastgeber verwies u.a. auf einen westliche Notar, der ebenfalls seine Unterschrift unter die Urkunde setzte, zugleich aber seine Zweifel an der Echtheit der Reliquien hinzufügte. Die anderen westlichen Zeugen bestätigten aber die Echtheit und besiegeln dies auch. Gastgeber: "Betrachtet man das angespannte Klima zwischen Rom und Byzanz, stellt sich zwangsläufig die Frage: Hat man also wirklich echte Reliquien übergeben, oder wurde der Käufer gar getäuscht, und Wiens St. Stephan baute mit diesem Reliquienschatz auf irgendwelchen menschlichen Knochenresten auf?" Diese Frage zu klären sei freilich nur mit naturwissenschaftlichen Methoden denkbar und betreffe wohl grundsätzlich sehr viele Reliquien, nicht nur den Wiener Domschatz.
Eine aktuelle Detailanalyse des Neufundes aus dem Jahr 1363 ist soeben im Geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften publiziert worden. Die Studie entstand im Rahmen eines Langzeitprojektes an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum griechischen Patriarchat von Konstantinopel mit der Edition des einzig erhaltenen Registers der Synode von Konstantinopel aus dem 14. Jahrhundert. Das Register gibt Einblicke in das Leben der Kirche im byzantinischen Reich, über administrative und kirchenpolitische Angelegenheiten aber auch über das tägliche Leben am Sitz des Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel.
Quelle: kathpress