Islam europäischer Prägung ist Bringschuld der Muslime
Die Ausprägung eines Islams europäischer Prägung ist eine Bringschuld hier lebender Muslime - eine "geistige Aufgabe", die von kritischem Hinterfragen nicht absehen darf, wie der islamische Religionspädagoge Ednan Aslan betont. Es gelte zu unterscheiden zwischen unverrückbaren religiösen Wahrheiten wie dem einen Gott, der sich in Mohammed offenbart hat, und der Scharia als einem "dynamischen Prozess". Sich mit "Mut und Offenheit" einer innerislamischen Debatte zu stellen und auch Kritik von außen als wertvollen Anstoß zu schätzen, würde laut Aslan den Islam auch außerhalb Europas befruchten; in vielen islamisch dominierten Ländern sei es ja verpönt, die eigene Religion auf den intellektuellen Prüfstand zu stellen.
Aslan nahm am Dienstagabend an einer vom Österreichischen Integrationsfonds veranstalteten Podiumsdiskussion unter dem Titel "Wie viel Europa braucht der Islam? Schlüsselfragen bei der Integration von Muslim/innen in Österreich" teil; weitere Diskutanten waren die Nahostexpertin Karin Kneissl, die islamischen Theologen Mouhanad Khorchide (Münster) und Zekirija Sejdini (Innsbruck) sowie die Soziologin Evrim Ersan-Akkilic (Wien). Die Diskussion im Kleinen Festsaal der Uni Wien fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt, rund 250 Interessierte waren anwesend.
Das vor zwei Jahren beschlossene Islamgesetz bietet nach Einschätzung von Aslan eine gute Grundlage für die Herausbildung eines europäisch geprägten Islams. Es bringe zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber das Thema als österreichische Aufgabe betrachte und nicht als "ausländische". Kritik übte der Wiener Theologe mit türkischen Wurzeln an der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), die sich in ihrer Stellungnahme zur laufenden Kopftuchdebatte auf ein Buch aus dem 13. Jahrhundert berufen habe: Es gelte religiöse Standpunkte im gegenwärtigen kulturellen Umfeld Europas plausibel zu machen, und das nicht mit Rückgriffen auf Quellen, auf die sich auch der IS berufe, so Aslan.
Er räumte ein, dass durch den vermehrten Zuzug von Muslimen aus Ländern wie Syrien, dem Irak und Afghanistan Menschen nach Europa kämen, die vom hier üblichen freizügigen Lebensstil schockiert seien. Das erfordere verstärktes Bemühen um Integration und innerislamische Diskussion. Kritik an religiös begründeten Kleidungsvorschriften ist nach der Überzeugung Aslans eine Herausforderung, der sich Muslime zu stellen haben; auch "Fragen, die weh tun", hätten Sinn. Nicht übersehen werden dürften auch positive Entwicklungen wie steigende Hochschulabschlüsse junger Musliminnen.
Muslimische Frauen üben "Selbstzensur"
Nahostexpertin Kneissl wies auf den Stimmungswechsel im Vergleich mit den 1980er Jahren hin: Damals habe es keine "textile Ausgrenzung" gegeben, jetzt dagegen werde Sport für islamische Mädchen problematisiert. Der türkische Staatschef Erdogan tituliere sogar das öffentliche Lachen von Frauen als "unislamisch", Muslimas in manchen Bezirken europäischer Großstädte reagierten mit "Selbstzensur".
Dass Religion unter Muslimen heute viel wichtiger für deren Identitätsbildung sei als früher, hängt nach Einschätzung Kneissls mit Entwicklungen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene zusammen. Sie nannte den Krieg in Ex-Jugoslawien, durch den Bosnier plötzlich religiös zugeordnet wurden, ebenso als Beispiel wie den lang andauernden Nahostkonflikt mit einer Reihe von "Demütigungen" für die muslimischen Nachbarn Israels. In Europa sei der "Streit um die Futternäpfe" und um Arbeitsplätze größer geworden.
Eine Öffnung des Islams für Pluralismus und "europäische Werte" erwartet sich Kneissl - wie sie sagte - weniger von Muslimen in Europa als von Bewohnern des Orients. Dort sei eine "gewaltige Ernüchterung" beobachtbar im Hinblick auf das, was zuletzt an Gewalt "im Namen Gottes angerichtet" worden sei.
Begegnung lässt Ängste schwinden
Der in Deutschland lehrende österreichische Islamwissenschaftler Khorchide forderte "Räume der Begegnung" zwischen Muslimen und Nichtmuslimen schon ab dem Kindergarten. Immer wieder zeige sich in Studien, dass wechselseitige Ängste dort am größten sind, wo kein oder kaum Kontakt besteht. Gegen ein "exklusivistisches Denken", das Andersgläubige ausschließt, habe sich bei einem Besuch in Münster auch der Großimam der einflussreichen Kairoer Al-Azhar-Universität, Scheich Ahmad Mohammad al-Tayyeb, ausgesprochen, berichtete Khorchide. Veränderung im Islam müsse von Europa ausgehen, so der Scheich, denn hier gebe es mehr Freiheit im Denken.
Die Soziologin Ersan-Akkilic äußerte sich zum jüngst veröffentlichten "Integrationsbarometer", dem eine Umfrage u.a. unter Flüchtlingen vorausging. Diese seien überdurchschnittlich religiös und skeptisch gegenüber dem westlichen Lebensstil, zugleich zu einem hohen Prozentsatz integrationswillig. Mehr Sorge als diese und andere erhobenen Flüchtlingshaltungen mache ihr, wie viele hier geborene Muslime sich mit der Politik Erdogans identifizieren, so die türkischstämmige Wissenschaftlerin.
Dass die Auseinandersetzung mit dem Islam auf akademischem Boden noch ein sehr junges Phänomen ist, betonte der Religionspädagoge Sejdini. Er präsentierte die von seinem Innsbrucker Uni-Institut betreute neue Online-Plattform "Islamportal", die allen Interessierten fundierte Informationen über den Islam bieten soll. Ziel sei es, islamische Vielfalt aufzuzeigen und zur Diskussion zu stellen, religiöse Fragen objektiv zu beantworten und so ein Gegengewicht zu den im Internet weit verbreiteten radikalislamischen Inhalten zu bilden. (Info: www.islamportal.at)
Quelle: kathpress