Friede in Europa wieder brüchiger
Der Friede in Europa wird wieder brüchiger - und zwar sowohl im Sinn des Aufflammens konkreter kriegerischer Kampfhandlungen als auch einer insgesamt wachsenden gesellschaftlichen Spaltung. Das hat die neue OSZE-Sonderbeauftragte im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, die Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel, betont. Zum einen gebe es mit dem Konflikt in der Ostukraine erstmals seit den 1990er-Jahren wieder einen wirklichen Krieg in Europa, sagte sie in der jüngsten Ausgabe des Ö1-Radio-Religionsmagazins "Praxis". Als besorgniserregend wertete Gabriel aber auch die wachsende Polarisierung in der Gesellschaft. "Wir haben eine gesellschaftliche Situation, die noch immer friedlich ist, aber wo der Friede bröckeliger wird", warnte sie.
Phänomene wie die steigende Hass im Internet und Sozialen Netzwerken reflektierten eine gesellschaftliche Situation, "in der offenkundig vielen Menschen extreme Positionen wieder akzeptabel erscheinen", so Gabriel. Intoleranz könne man durch persönliche Kontakte und menschliche Begegnung abbauen, ist die Sozialethikerin überzeugt. Ziel müsse sein, "Menschen zusammenzubringen statt sie auseinanderdividieren zu lassen". Gabriel plädiert daher für das Schmieden einer "Allianz der Moderaten" in der Gesellschaft: "Ich glaube, die meisten Menschen neigen nicht zu Extremismus, sondern wollen mit anderen ins Gespräch kommen und gut auskommen. Diese Menschen ins Gespräch zu bringen und sie auch politisch sichtbar zu machen, ist ein Gebot der Stunde."
Gabriel ist Lehrstuhl-Inhaberin für Sozialethik an der Universität Wien. Seit Jahresbeginn amtiert sie als eine von insgesamt 15 Sonderbeauftragten der "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa", in der Österreich 2017 den Vorsitz hat. Als "Persönliche Vertreterin im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung" des amtierenden OSZE-Vorsitzenden und österreichischen Außenministers Sebastian Kurz hat die Theologin ein zweiseitiges Mandat, wie sie im ORF-Interview schilderte. Zum einen gehe es um die Auseinandersetzung mit Fragen der Toleranz in allen gesellschaftlichen Kontexten, andererseits habe ihr OSZE-Amt den Einsatz für die Bekämpfung von Intoleranz gegenüber Christen und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften im Fokus. Sowohl das Judentum als auch der Islam haben damit mit dem US-Rabbiner Andrew Baker vom "American Jewish Committee" bzw. dem türkischen Religionshistoriker Bülent Senay eigene OSZE-Sonderbeauftragte. Zusammen werden die drei Experten im OSZE-Auftrag Länder besuchen und bei Konferenzen auftreten.
Wenn es um Frieden und Sicherheit in Europa gehe, müsse man Religion mitbedenken, sagte Gabriel im ORF-Interview. In den europäischen Ländern beobachte sie allerdings eine zunehmende Skepsis gegenüber dem Christentum und Religion allgemein, schilderte die Sozialethikerin. Demgegenüber gelte es wieder vermehrt zu zeigen, wie viel von Religionsgemeinschaften im karitativen, sozialen und kulturellen Bereich geleistet wird. Man müsse sich auch die Frage stellen, wie positive Beispiele religiösen Zusammenlebens an die Öffentlichkeit gebracht werden können.
"Menschenrechte in Zeiten der Krise"
Der OSZE gehören 57 Staaten an. Sie umfasst vor allem europäische Länder, aber auch Staaten Zentralasiens, die USA und Kanada. Dazu kommen elf Partnerstaaten in Nordafrika. Gegründet wurde die OSZE im Zuge des Ost-West-Konflikts. Der Gründungsakt waren die Helsinki-Verträge 1975, die einen wesentlichen Einfluss hatten auf die weitere Entwicklung in Europa. Die Organisation hat drei Aufgabenbereich, eine politisch-militärische, mit Beobachtern etwa in der Ukraine oder im Kosovo, eine Umwelt- und Wirtschafts-Dimension und die sogenannte menschliche Dimension, die sich u.a. mit Menschenrechten befasst.
"Menschenrechte in Zeiten der Krise" stehen am Freitag auch im Zentrum einer Debatte zum Abschluss der diesjährigen Wintertagung der Parlamentarischen Versammlung der OSZE. Parlamentarier aus allen OSZE-Mitgliedsländern sind dazu seit Donnerstag am Hauptsitz der Organisation in der Wiener Hofburg versammelt. Am Freitag werden sich auch Außenminister Kurz und OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier an die Delegierten wenden.
Quelle: kathpress