Debatte um "Amoris laetitia": Das Schweigen der Kardinäle
Seit "Humanae vitae" wurde kein Papstschreiben so heftig debattiert wie "Amoris laetitia". Mit dem offenen Brief von vier Kardinälen, die von Franziskus mehr Klarheit zum Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen fordern, erreichte die zuletzt Debatte einen neuen Höhepunkt.
Einer der Unterzeichner, der US-Kardinal Leo R. Burke, ehemaliger Präfekt der Apostolischen Signatur (2008-2014), brachte sogar einen "formalen Akt der Korrektur" des Papstes ins Spiel. Trotz dieses in der jüngeren Kirchengeschichte beispiellosen Vorgangs gab es bislang jedoch nur wenige Reaktionen auf den Vorwurf, dass Papst Franziskus mit dem Lehramt von Johannes Paul II. breche.
Glaubenspräfekt Kardinal Gerhard Ludwig Müller sagte am 1. Dezember auf Kathpress-Anfrage in Rom, der Vatikan werde vorerst nicht auf den Brief von vier Kardinälen antworten. Die Glaubenskongregation handele und spreche "mit der Autorität des Papstes" und könne sich "am Streit der Meinungen nicht beteiligen".
Eine offizielle Stellungnahme Roms auf den Brief, den neben Burke auch der frühere Kölner Erzbischof Joachim Meisner, der ehemalige Vatikan-Geschichtsinstitutsleiter Walter Brandmüller und der frühere Erzbischof von Bologna Carlo Caffarra unterzeichnet haben, war allerdings ohnehin nicht zu erwarten. Aus vatikanischen Kreisen verlautete schon vor dem Statement Müllers, eine direkte Antwort sei allein schon durch die Publikmachung des Schreibens unmöglich geworden. Denn so wäre auch der Vatikan genötigt, öffentlich Stellung zu nehmen.
"Sehr gravierender Skandal"
Bemerkenswert ist, dass auch aus dem übrigen Kardinalskollegium in den vergangenen zwei Wochen kaum etwas zu hören war. Prominenteste Ausnahme war der neue US-Kardinal Blase J. Cupich. Die Zweifel der vier Purpurträger "sind nicht meine und nicht die der Universalkirche", sagte der Erzbischof von Chicago in einem Interview, das noch vor seiner Kreierung zum Kardinal am 19. November geführt wurde. Und auch der Präfekt des neuen vatikanischen Ministeriums für Familie, Laien und Lebensschutz, der irische Kardinal Kevin Farrell, verteidigte Franziskus in einem Interview gegen den Vorwurf der vier Kardinäle, er breche mit dem Lehramt von Johannes Paul II.
Deutlicher wurden allein drei Außenseiter ohne Kardinalshut. Der Dekan des vatikanischen Ehegerichts Rota Romana, Pio Vito Pinto, warf den vier Kardinälen vor, mit ihrem offenen Brief einen "sehr gravierenden Skandal" verursacht zu haben. Für internationale Schlagzeilen sorgte dabei der Hinweis des 75-jährigen Prälaten, dass Päpste in früheren Zeiten auch Purpurträgern die Kardinalswürde entzogen hätten. Den gleichzeitigen Hinweis Pintos, dass Franziskus nicht zu jener Sorte Päpste zähle und keine derartigen Maßnahmen ergreifen werde, stellte das über die Aussagen berichtende spanische Internetmagazin erst Tage später klar.
Der Vorsitzende der Griechischen Bischofskonferenz und ein Bischof aus Kasachstan meldeten sich ebenfalls zu Wort. Bischof Franghískos Papamanólis warf den Briefschreibern Häresie vor. Athanasius Schneider, Weihbischof in der Erzdiözese Astana, würdigte den Brief hingegen als "prophetische Stimme der Heiligen Kirche".
Stillschweigende Unterstützer
Wie viele stillschweigende Unterstützer die vier Kardinäle haben, ist daher schwer zu sagen. Aus dem Kreis der Briefschreiber verlautete, es habe noch viele weitere Kardinäle und Bischöfe gegeben, die bereit zur Unterschrift gewesen wären. Man habe sich jedoch bewusst auf emeritierte Würdenträger beschränkt, um Amtsträger nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
Weniger beachtet, aber in der Sache letztlich kaum weniger brisant, war ein fachtheologischer Einwand des Freiburger Dogmatikers Helmut Hoping in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der wenige Tage nach dem Kardinalsbrief publiziert wurde. Der Artikel gipfelt in der These, Thomas von Aquin (1225-1274) werde in "Amoris laetitia" zu Unrecht als Gewährsmann für eine Einzelfallprüfung angeführt.
Die in dem päpstlichen Schreiben zitierten Aussagen des Kirchenlehrers, wonach die Anwendung von absoluten Normen stets die konkrete Situation berücksichtigen müsse, gälten für Thomas von Aquin mit Blick auf die Ehe nicht, so Hoping. Dieser aber spielt in der Argumentation für mehr Barmherzigkeit im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen eine zentrale Rolle. Der Kirchenlehrer fungiert als theologischer Kronzeuge dafür, dass "Amoris laetitia" in der kirchlichen Tradition steht.
Papst: "Einige verstehen es nicht"
Zumindest indirekt antwortete Franziskus unterdessen in einem Interview mit der italienischen Zeitung "Avvenire" doch auf den Brief der vier Kardinäle: "Einige - denken Sie an gewisse Entgegnungen zu 'Amoris laetitia' - verstehen es weiter nicht." Es gebe nicht nur Schwarz oder Weiß, so der Papst, sondern es müsse "im Fluss des Lebens unterschieden" werden. So lehre es das Zweite Vatikanische Konzil.
Franziskus stellt sich offenbar auf eine längere Debatte ein. Im "Avvenire"-Interview sagte er auch: "Die Geschichtsschreiber sagen, ein Konzil braucht ein Jahrhundert, um richtig die Kirche zu durchdringen... Wir sind bei der Hälfte."
Quelle: kathpress Infodienst