In Kopftuch- und Kreuzdebatte "öffentliche Räume" unterscheiden
In der laufenden Kopftuch- und Kreuzdebatte gilt es auf unterschiedliche "öffentliche Räume" Bedacht zu nehmen, um der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates Genüge zu tun. Darauf hat der emeritierte Wiener Rechtsphilosoph Richard Potz am Montag in einem Gastkommentar in der "Presse" hingewiesen, die unter dem Titel "Kreuz im Klassenzimmer ja, im Gerichtssaal nein" die Haltung des Rechtswissenschaftlers auf den Punkt brachte. Für Potz gibt es gute Gründe, außerhalb "hoheitlicher Kernfunktionen" des Staates wie der Gerichtsbarkeit, also in Bereichen wie Bildung oder Sozialwesen eine offene, "mit Religionsgemeinschaften kooperierende" Form der Neutralität zu pflegen.
Für Potz ist die religiöse Neutralität des Staates ein zentraler Begriff, um das Verhältnis des modernen Verfassungsstaats zur religiösen Freiheit Einzelner oder von Gemeinschaften zu beschreiben. Geboten sei auch der Respekt vor den "Überzeugungen der Menschen, in die der Staat nicht eingreifen darf, sondern deren freiheitliche Entfaltungsbedingungen er politisch-rechtlich zu sichern hat".
Das Tragen religiöser Symbole und religiöser Kleidung auf der Straße betrachtet der Rechtsphilosoph als Manifestation von Religion als "Ausdruck der Bekenntnisfreiheit und Religionsübungsfreiheit in allgemein zugänglichen öffentlichen Räumen". Für Ganzkörperverhüllungen wie Burka oder Niqab allerdings hält Potz die niederländische Regelung, wonach das Tragen in der Öffentlichkeit der Straße zulässig ist, nicht aber in öffentlichen Gebäuden, für eine "grundsätzlich akzeptable Lösung".
Weiters gebe es den staatlich verfassten öffentlichen Raum. Hier gelte es, die individuelle Religionsausübung etwa durch Tragen von religiösen Symbolen und religiöser Kleidung - etwa Kopftuchträgerinnen ebenso wie Kippa- oder Turbanträger im öffentlichen Dienst - mit der religiösen Neutralität von staatlichen öffentlichen Räumen zu einem Ausgleich zu bringen. Potz' Empfehlung: In hoheitlichen Kernbereichen wie der Rechtsprechung ist das Tragen des islamischen Kopftuchs nicht angebracht; auch das Tragen durch Polizistinnen wie in England und Norwegen gehe "einen Schritt zu weit".
Demgegenüber sei bei einer Lehrerin von der grundsätzlichen Zulässigkeit des islamischen Kopftuchs auszugehen. Im Blick müsse vielmehr auf ihr sonstiges Verhalten und ihre Unterrichtsgestaltung sein. Einer Gefährdung des Schulfriedens wäre im Einzelfall Rechnung zu tragen, befand Potz.
Gericht anders zu bewerten als Schule
Für Zurückhaltung plädierte der Rechtswissenschaftler bei der Anbringung religiöser Symbole in Räumen, die der staatlichen Öffentlichkeit zuzurechnen sind. Hier gehe es anders als beim Tragen des islamischen Kopftuchs nicht um Religionsausübung und somit um einen allfälligen Eingriff in die Religionsfreiheit. Das Kreuz im Gerichtssaal bewertete Potz als "Verstoß gegen die in hoheitlichen Kernbereichen strikt zu handhabende Neutralitätsverpflichtung des Staates". Auch der religiöse Eid sei im Strafverfahren bereits abgeschafft worden und im Zivilverfahren weitgehend bedeutungslos geworden.
Für "verfassungsrechtlich vertretbar" hält Potz dagegen Kreuze in Klassenzimmern. Sie könnten als "positive Religionsförderung" für jene Schüler gesehen werden, für die das Kreuz als christliches Glaubenssymbol religiöse Bedeutung hat. Darüber hinaus sei es auch ein "säkulares, die abendländische Geistesgeschichte vergegenwärtigendes" Symbol. Eine Beeinträchtigung jener in der Schule, die das Kreuz ablehnen, habe der Verfassungsgerichtshof 2011 zurückgewiesen, wie Potz erinnerte, denn es sei von keinem "Bekehrungseffekt oder sonstigen nachhaltigen Einfluss auf die Kinder" auszugehen.
Quelle: kathpress