Diskussion über Arbeitslose wichtiger als über Burka
Das Thema Burka-Verbot ist für die Politiker "eine exzellente Ablenkung. Das erspart ihnen die Diskussion über die hohen Arbeitslosenraten": Mit diesen Worten hat der Wiener Theologe Paul Zulehner am Wochenende Kritik an der momentanen Überbewertung einer "Quantité négligeable" geübt: "Wir haben in Österreich zirka 160 Burka-Trägerinnen. Davon kommen 140 aus dem Hotel Imperial, die dann auf der Kärntner Straße einkaufen gehen. Die Burka-Debatte ist von Quantität völlig zu vernachlässigen." Dagegen wäre mehr Augenmerk auf politisch relevantere Probleme zu richten, empfahl Zulehner in der Samstag-Ausgabe des "Kurier". (Interview)
Auch dem Vorstoß von Außenminister Sebastian Kurz für ein Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen kann der Werteforscher wenig abgewinnen: "Warum soll sich die Frauen nicht kleiden dürfen, wie es unsere Großmütter getan haben?" Eine Frau mit Kopftuch stelle keine Aggression dar, betonte Zulehner. "Das Problem sind nicht die Kopftuchträgerinnen, sondern die Angst vor ihnen, die politisch geweckt wird." Sinnvoller als gegen das Kopftuch sein sei jedenfalls, für die Bildung von jungen muslimischen Frauen einzutreten. Diese wollten "keine Fußnoten in den Lebensläufen ihrer Männer sein".
Er wünsche heutigen Politikern auch so viel Weitblick wie ihn "intelligente Habsburger" 1908 nach der Annexion Bosnien-Herzegowinas zeigten, sagte Zulehner: Die Errichtung einer theologischen Fakultät für islamische Theologie sei erste Maßnahme gewesen. Das heutige Islamgesetz sei zwar eines der modernsten Europas, "aber was nun bei der Durchführung passiert, hat nur am Rand mit dem Islamgesetz zu tun", kritisierte Zulehner: "Man bewirtschaftet die Gefühle der Bürger, nicht weil einem etwas am Glauben liegt, sondern weil der politischen Mitte ein Machtverlust ins Haus steht."
Auf die Frage zur Stimmung in Österreich - "Burka-Verbot ja, aber das Kreuz muss bleiben" - antwortete Zulehner mit dem Verweis auf eine Studie von 2012, die zeige: 80 Prozent der Österreicher ist es wichtig, dass Europa ein christlicher Kontinent bleibt. "Ich denke, wir unterschätzen die Anhänglichkeit der Österreicher an die christliche Kultur."
"Die Falschen kämpfen fürs Christentum"
Zugleich ist es laut dem Theologen "auch hochinteressant, dass nun Menschen für das christliche Abendland kämpfen, die gar nicht gläubig sind". Zulehner verwies auf die Pegida in Ostdeutschland, einem "atheistischen Kernland in Europa". Nachsatz: "Es kämpfen die Falschen für den christlichen Glauben. Denn sie kämpfen nicht für das Christentum, sondern gegen eine fremde Kultur."
Gewinner dieser Auseinandersetzung sei nicht das Christentum, sondern die "konfessionsfreien Aktivisten wie ein Niko Alm", die sich auf die Debatte um religiösen Symbole "draufsetzen", wie Zulehner sagte: "Aber mit dem Ziel, dass es am Ende gar keine mehr gibt."
Quelle: kathpress