Missbrauch hat auch geistliche Dimension
Die Diskussion um Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen hat bislang die geistliche Dimension des Verbrechens völlig übersehen: Das hat der Jesuit Hans Zollner, Mitglied der päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und Leiter des Kinderschutz-Zentrum CCP in Rom, am Mittwoch bei einem Wiener Symposium über die Prävention von Missbrauch dargelegt. Der Theologe, Philosoph und Therapeut bezeichnete den Kinderschutz dabei als "bleibende Aufgabe", da Missbrauch trotz aller Prävention nie völlig ausgeschlossen werden könne.
Wenn Missbrauch in der Kirche stattfinde, komme zum physischen und psychischen Trauma auch ein spirituelles Trauma hinzu, sagte Zollner. "Eine geistliche Person wird mit der Kirche identifiziert. Geschieht durch sie ein Missbrauch, dann steht dahinter noch eine weitere Dimension, denn sie repräsentiert Gott." Opfer von Missbrauch seien in Gefahr einer "spirituellen Verwundung", die den Glauben zerstören könne. Dies sei vielen in der Kirche nicht klar. "Es gibt keine Theologie angesichts des Missbrauchs", stellte der vatikanische Top-Experte für Kinderschutz fest.
Zollner sprach von einer "besonderen Verantwortung" aller Kirchenmitarbeiter, die als Einzelpersonen wie auch als Institution die Kirche repräsentierten. Von ihnen hänge die Authentizität und Glaubwürdigkeit ab. Präventionsarbeit müsse darauf abzielen, sexuelle Gewalt von vorne herein zu unterbinden - durch Verminderung von Risikofaktoren und Erhöhung von Schutzfaktoren. Nötig seien dafür solide Basisinformationen, die klare, kompetente und konsequente Einführung eines Präventionsprogramms und der Einbezug von Kontaktpersonen wie Eltern, Angehörige, Lehrer oder Gleichaltrige.
Der Ordensmann empfahl, Betroffenen auch in den Pfarren eine Stimme zu geben. Im Vatikan werde dies bereits umgesetzt, sei die Präsenz von Betroffenen in der päpstlichen Kommission doch schon von Anfang an klar gewesen. "Ihre Stimmen waren wichtig und mussten laut hörbar sein, denn sonst würde das Fundament fehlen", sagte Zollner.
Papst Franziskus liege das Thema sehr am Herzen, berichtete der Jesuit. Bei einem Treffen mit Betroffenen habe er "sichtlich bewegt" reagiert, als einer der Runde sein Gefühl ausdrückte, die "Mutter Kirche" würde ihn im Stich lassen. "Die Worte hinterließen bei ihm einen tiefen Eindruck und gingen ihm seither nicht mehr aus dem Sinn." Es sei vielleicht kein Zufall gewesen, dass ein im September 2015 veröffentlichtes Motu proprio dann den Titel "Wie eine liebende Mutter" erhielt. Diese neuen Rechtsbestimmungen gaben dem Papst neue Möglichkeiten in die Hand, Bischöfe, die im Kampf gegen sexuellen Missbrauch zu nachlässig waren, zu entlassen.
Rahmen für Zollners Äußerung bildete ein Symposium, das von der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems gemeinsam mit dem Bildungsreferat der Ordensgemeinschaften, den Jesuiten, der Stabsstelle für Missbrauchs- und Gewaltprävention der Erzdiözese Wien und der Verein "die möwe" veranstaltet wurde.
Rechtsanwalt Johannes Öhlböck, Vertreter der Opfer von Missbrauch und Gewalt, bezeichnete bei der Veranstaltung die bestehenden zivil- und strafrechtlichen Verjährungsfristen nach schwerem sexuellen Missbrauch von Minderjährigen als "nicht zeitgemäß": Täter sollten sich nicht schon nach zehn Jahren in Sicherheit wiegen dürfen, weshalb eine Abschaffung sinnvoll sei.
Quelle: kathpress