Experte: Kopftuch-Streit ist Stellvertreterdebatte
Die Kritik am Vorschlag eines partiellen Kopftuch-Verbots für Beschäftigte im öffentlichen Dienst von Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) zieht weitere Kreise: So äußerte nun auch der deutsche Menschenrechtsexperte und frühere UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Heiner Bielefeldt, sowie der Pressesprecher von Kardinal Christoph Schönborn, Michael Prüller, scharfe Kritik an dem Vorschlag: "Das geht gar nicht", sagte Bielefeldt in der ORF-Sendung "Orientierung" am Sonntag. Und Prüller schreibt in seiner Kolumne "Culture Clash" in der "Presse am Sonntag": "Wenn Kurz 'Ich halte euch den Islam vom Leib!' signalisieren will, dann sollte er das auch offen sagen".
Auch wenn es einen besonderen, historisch begründeten Status des Christentums gebe, so könne daraus kein Recht auf eine Bevorzugung abgeleitet werden, sagte Bielefeldt im ORF-Fernsehen: "Der Anspruch der Gleichberechtigung ist dem Recht der Religionsfreiheit eingeschrieben. Christliche Symbole zu privilegieren ist ein Verstoß gegen die Gleichheit". Und so vermutet der Menschenrechtsexperte, dass die aktuelle Debatte einem Aktionismus geschuldet ist, der sich am symbolisch hoch aufgeladenen Kopftuch abarbeite, da man des eigentlichen Problems - der islamistischen Terroristen - kaum habhaft werde. Insofern handle es sich um eine "Stellvertreterdebatte" ähnlich jener Pseudo-Debatte um das "Burkini-Verbot" im vergangenen Jahr als Reaktion auf den Terroranschlag von Nizza.
"Wenn es um Sicherheit geht, helfen solche Debatten nicht weiter - im Gegenteil", so Bielefeldt, da etwa ein Kopftuch-Verbot für öffentlich Bedienstete "in vielen Fällen Ungerechtigkeit produziert" und die Gesellschaft spalte. Abgesehen davon wäre ein pauschales Kopftuch-Verbot ein Schlag ins Gesicht für all jene muslimischen Frauen, die das Kopftuch nicht aus Repression, sondern "selbstverständlich und selbstbewusst" als Zeichen ihres Glaubens tragen.
Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zur verpflichtenden Teilnahme von muslimischen Schülerinnen am Schwimmunterricht bewertet Bielefeldt indes positiv: Man dürfe das Recht auf Religionsfreiheit "nicht isoliert betrachten", sondern stets mit dem Recht auf Bildung zusammensehen. Eine partielle Befreiung vom Schwimmunterricht sei aus seiner Sicht "nur in extremen Fällen denkbar - etwa wenn es darum geht, eine sonst drohende existenzielle Zerreißprobe für eine junge Frau zu vermeiden". Dem generellen Urteil des Gerichts könne er jedoch "viel abgewinnen": "Wir müssen nämlich auch die Schulpflicht und die Koedukation - also den gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Jungen - hochhalten".
Prüller: "Lächerlich unangemessen"
Kritik am VP-Vorschlag kommt indes auch vom Mediensprecher der Erzdiözese Wien, Michael Prüller: Auch wenn der Vorstoß von Minister Kurz "verständlich" sei, da man so "Duftmarken" zur Markierung des eigenen "Reviers" setze, so sei er doch nicht sachlich begründet. Wenn nämlich Das Kopftuch tatsächlich eine "Flagge des Islamismus" sei und für eine "Kultur des Hasses und der Unterdrückung" stehe, so müsse es konsequenterweise gänzlich verboten werden. Ein Verbot nur aus öffentlichen Ämtern wäre "lächerlich unangemessen".
Wer sich mit der Forderung nach einem Kopftuch-Verbot auf das Argument der Liberalität berufe, stehe in der Gefahr, sich in Widersprüche zu verstricken und letztlich "antireligiös" zu agieren, wo ein solches Verbot alle Formen religiöser Präsenz im öffentlichen Raum treffen würde, so Prüller: Kopftuch-Verbote seien daher vielmehr "ein Rückschritt von jener Liberalität, die sie zu verteidigen vorgeben": "Wäre der Islam als solcher wirklich ein Feind, wären sie Augenauswischerei. Ist er es nicht, sind sie Gängelung." Daher sei mehr Aufrichtigkeit zu fordern: "Wenn Kurz 'Ich halte euch den Islam vom Leib!' signalisieren will, dann sollte er das auch offen sagen."
Mayrhofer: "Ich bin gegen das Kopftuchverbot"
Auch die Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, Sr. Beatrix Mayrhofer, erteilt dem Vorstoß zu einem Kopftuch-Verbot erneut eine strikte Absage: "Ich bin gegen das Kopftuchverbot". Wieso solle einer Muslimin verboten werden, "was einem Juden, einem Sikh oder auch mir als katholischer Ordensfrau erlaubt ist?", schreibt Mayrhofer in einem Gastbeitrag für die "Kleine Zeitung" (Ausgabe vom 15. Jänner). Die Freiheit zur Wahl der eigenen Kleidung aus religiösen Gründen sei ein "Ausdruck willkommener Vielfalt, die unsere Gesellschaft bereichert und bunt macht".
Sie schätze daher die gesellschaftliche Toleranz gerade vor dem Hintergrund der Unterdrückungs-Erfahrungen in kommunistischen Ländern: "Gerade deswegen setze ich mich dafür ein, dass Frauen und Männer (!) ihre in einer anderen Kultur oder Religion begründete Form der Kleidung wählen und auch im öffentlichen Dienst tragen dürfen". Sollte sie selbst gezwungen werden, ihren Schleier abnehmen zu müssen, würde sie dies nicht tun: "Ich würde um die Stelle kämpfen - gemeinsam mit den muslimischen Frauen und für alle, die ihr Leben in den Dienst des Friedens stellen wollen", so Mayrhofer.
Konvertitin Sabatina James für Kopftuchverbot
Zu einer gänzlich anderen Einschätzung kommt indes die zum Christentum konvertierte pakistanische ehemalige Muslimin Sabatina James: Das Kopftuch sei ein "Symbol der Unterwerfung der Frau, ihrer Sexualität und ihrer Selbstbestimmung unter die Herrschaft des Mannes", so James im Interview mit dem "Kurier" (Ausgabe vom 15. Jänner). Die Zahl jener Frauen, die das Kopftuch nicht freiwillig tragen, sei sehr groß - und eben diese Frauen brauchten Unterstützung. "Das Kopftuch ist (...) kein religiöses Zeichen, sonst müssten die Männer es ja auch tragen. Es ist vielmehr ein Zeichen der Unterwerfung der Frau unter den Mann, also ein antidemokratisches Symbol".
Quelle: Kathpress