Erzdiözese Wien will verstärkt auf Nicht-Katholiken zugehen
In Zukunft sollen die Gründe für Kirchenaustritte und auch für Wiedereintritte intensiver erforscht werden, um wieder mehr Mitglieder zu gewinnen. Das hat Michael Prüller, Sprecher der Erzdiözese Wien gegenüber der "Wiener Zeitung" (Mittwoch) betont. "Wir schauen immer auf die Austritte, aber das eigentliche Problem ist, dass wir in der Stadt Wien nur noch 34 Prozent Katholiken-Anteil haben, das heißt: 66 Prozent der Wiener sind keine Katholiken, wir sind also eine Minderheit in einer Missionssituation", so Prüller.
Prüller äußerte sich anlässlich der am Dienstag bekanntgegebenen aktuellen Kirchenstatistik. Für 2016 meldete die Erzdiözese Wien 1,210.828 Katholiken (2015: 1,223.131). 15.149 Personen traten aus der Kirche aus (2015: 16.103). Zugleich konnten bislang 1.226 Neu- und Wiedereintritte verzeichnet werden (2015: 1.182). 140 Personen widerriefen ihren Austritt (2015: 170).
Das Problem sei nicht, "dass jemand, der schon in der vierten Generation kirchenfern ist, irgendwann austritt, sondern dass wir von all den rund 1,4 Millionen Menschen, die in der Erzdiözese leben und nicht katholisch sind, nur 1.500 dazu bringen, sich uns zu nähern", so Prüller. Er sei überzeugt, "dass die Sehnsucht nach einer Heimat bei mehr Menschen da ist, als tatsächlich wieder eintreten. Und dass sie oft einfach nicht wissen, dass es für diese Sehnsucht ein Zuhause gäbe: nämlich die Kirche."
Mit fast sechs Prozent weniger Austritten als 2015 hält die Erzdiözese Wien österreichweit den besten Wert. Ein Detail: Der Rückgang der Austritte betrifft vor allem das Wiener Stadtgebiet (minus 9 Prozent), während die Austritte im Weinviertel (Vikariat Nord) weit weniger stark zurückgingen und im Industrieviertel (Vikariat Süd) sogar gestiegen sind.
Hin zum "Normalmaß der Kirchlichkeit"
Eine mögliche Erklärung für den Diözesansprecher: "Die Austrittswelle hat in der Stadt früher begonnen, nämlich in den späten 1970ern, und erst in den 1990ern die ländlichen Gegenden ergriffen. Es kann sein, dass man in der Stadt jetzt langsam zum Normalmaß der Kirchlichkeit kommt. Freilich: In der Stadt gebe es immer noch mehr Austritte als auf dem Land, "nur wird dieses Mehr jetzt eben ein bisschen weniger".
Die Gründe für den Austritt seien vielfältig: "Oft ist es bloß der Vollzug einer schon viel früheren Entfremdung", so Prüller. Und nicht wenige junge Leute würden auch aus der Kirche austreten, weil ihnen der Kirchenbeitrag zu teuer erscheint: "Es ist sicher auch eine Frage der Kosten-Nutzen-Relation. Und in der Stadt ist nicht nur das Leben tendenziell weniger traditionell geprägt als auf dem Land, man tut sich auch leichter mit dem Austritt, weil ihn sonst kaum jemand bemerkt."
Ein interessantes Detail: Gerade in Dekanaten mit hohen Ausländeranteilen würden weniger Katholiken aus der Kirche austreten. Prüller liest daraus ab, dass offenbar austrittswillige Österreicher, die vielleicht schon in der dritten oder vierten Generation nicht mehr wirklich in ihrer Pfarre verwurzelt sind, allmählich durch Katholiken aus dem Ausland ersetzt werden, die oft in ihrer jeweiligen fremdsprachigen Gemeinde sehr stark eine Heimat und damit weniger Kirchenaustrittsneigung haben.
Trotzdem schrecken ihn die Zahlen nicht, im Gegenteil: Er findet den Treuegrad der Katholiken sogar ganz außerordentlich: "Die durchschnittlich 1,2 Prozent Austritte pro Jahr sind für eine Organisation mit lauter freiwilligen Mitgliedern eigentlich ein toller Wert. Kaum ein Verein behält 98,8 Prozent seiner Mitglieder."
Hinwendung zur Kirche durch Islampräsenz
Der Wiener Dompfarrer Toni Faber nahm im "Kurier" (Mittwoch) zu den leichten Anstiegen der Eintrittszahlen Stellung. "In den letzten Monaten hat die verstärkte Präsenz der muslimischen Religion vermehrt Menschen dazu bewogen, den Weg zurück zur Kirche zu finden", so Faber. Dabei seien aber nicht die öffentlich kritisierten Ausformungen des islamischen Glaubens wie das Kopftuch ein Wiedereintrittsgrund. Vielmehr könne das Vorleben einer anderen Religion zu einer "Rückbesinnung zum eigenen Glauben führen", erläuterte der Dompfarrer: "Viele Muslime zeigen, wie wichtig Familie ist, wie viel Halt der Glaube schenken kann, wie erfüllend Traditionen wie der Ramadan sein können."
Zudem habe Papst Franziskus kraft seiner Persönlichkeit und seines Wirkens eine Anziehungskraft, die sich natürlich auch auf die Kirche auswirke.
Quelle: kathpress