Botschaft zum Weltfriedenstag 1985
Botschaft Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. zur Feier des Weltfriedenstages
1. Januar 1985
„FRIEDEN UND JUGEND, ZUSAMMEN UNTERWEGS“
An euch alle, die ihr an die Dringlichkeit des Friedens glaubt,
an euch, Eltern und Erzieher, die ihr danach verlangt, den Frieden zu fördern,
an euch, Politiker, die ihr für die Sache des Friedens unmittelbar Verantwortung tragt,
an euch, Männer und Frauen im Dienst der Kultur, die ihr in der heutigen Zivilisation Frieden zu schaffen sucht,
an euch alle, die ihr um des Friedens und der Gerechtigkeit willen leidet,
und vor allem an euch junge Menschen in aller Welt, deren Entscheidungen im eigenen Leben und deren Aufgaben in der Gesellschaft die Aussichten für den Frieden heute und morgen bestimmen werden,
an euch alle und an alle Menschen guten Willens richte ich meine Botschaft zum 18. Weltfriedenstag; denn Frieden ist ein entscheidendes Anliegen, eine unausweichliche Herausforderung, eine große Hoffnung.
1. Die Probleme und die Hoffnungen der Welt begegnen uns täglich
Es ist wahr: Die Herausforderung des Friedens begleitet uns fortwährend. Wir leben in einer schwierigen Zeit, unter vielfältiger Bedrohung durch Krieg und zerstörerische Gewalt. Tiefe Meinungsverschiedenheiten richten verschiedene soziale Gruppen, Völker und Nationen gegeneinander. So viele ungerechte Situationen gibt es, die nur deshalb nicht in offene Konflikte ausbrechen, weil die Gewalt derer, die die Macht innehaben, so groß ist, daß sie den Machtlosen alle Kraft und Gelegenheit nimmt, ihre Rechte einzufordern. Ja, es gibt heute Menschen, die durch totalitäre Regime und ideologische Systeme daran gehindert werden, das Grundrecht auszuüben, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden. Männer und Frauen erleiden heutzutage unerträgliche Beleidigungen ihrer Menschenwürde durch Rassendiskriminierung, Verbannung und Tortur. Sie sind Opfer von Hunger und Krankheit. Sie werden daran gehindert, ihren religiösen Glauben auszuüben oder ihre eigene Kultur zu entwickeln. Es ist wichtig, die tiefsten Ursachen dieser Konfliktsituation zu erkennen, die den Frieden unsicher und anfällig macht. Eine wirksame Förderung des Friedens verlangt, daß wir uns nicht darauf beschränken, die schlimmen Folgen der gegenwärtigen Situation von Krise, Konflikt und Unrecht nur zu beklagen; was wir tatsächlich tun müssen, ist, die Wurzeln dieser Folgen zu beseitigen. Diese Ursachen finden wir vor allem in den Ideologien, die unser Jahrhundert beherrscht haben und dies immer noch tun: Sie zeigen sich in politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen und haben die Kontrolle darüber, wie die Menschen denken. Diese Ideologien sind von einer totalitären Einstellung gekennzeichnet, welche die Würde und die transzendentalen Werte der menschlichen Person und ihrer Rechte mißachtet und unterdrückt. Eine derartige Einstellung sucht sich auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene mit einer solchen Härte in Ziel und Methode durchzusetzen, daß sie sich jedem echten Dialog und wirklichen Austausch von Ideen verschließt. Einige dieser Ideologien sind sogar zu einer Art von falscher, weltlicher Religion geworden, die beansprucht, der ganzen Menschheit das Heil zu bringen, ohne jedoch irgendeinen Beweis ihrer Wahrheit vorzulegen. Gewalt und Ungerechtigkeit haben aber auch tiefe Wurzeln im Herzen jeder Person, jedes einzelnen von uns, im täglichen Denken und Verhalten der Menschen. Wir brauchen nur zu denken an Konflikte und Entzweiungen in den Familien, zwischen Eheleuten, zwischen Eltern und Kindern, in der Schule, im Beruf, in den Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und zwischen den Generationen. Denken wir auch an die Fälle, wo das grundlegende Lebensrecht der schwächsten und schutzlosesten Menschen verletzt wird.
Angesichts dieser und zahlreicher anderer Übel ist es dennoch nicht berechtigt, die Hoffnung aufzugeben - so stark sind die Energien, welche fortwährend in den Herzen der Menschen aufbrechen, die an Gerechtigkeit und Frieden glauben. Die gegenwärtige Krise kann und muß eine Gelegenheit zur Umkehr und zur Erneuerung der Einstellungen werden. Die Zeit, in der wir leben, ist nicht nur eine Periode der Gefahren und Sorgen; sie ist auch eine Stunde der Hoffnung.
2. Frieden und Jugend, zusammen unterwegs
Die augenblicklichen Schwierigkeiten sind wirklich ein Test für unsere Menschlichkeit. Sie können Wendepunkte auf der Straße zu einem dauerhaften Frieden werden; denn sie wecken die kühnsten Träume und entbinden die besten Kräfte in Geist und Herz. Schwierigkeiten sind eine Herausforderung für alle; Hoffnung ist das Gebot für jeden. Heute aber möchte ich euch auf die Rolle aufmerksam machen, die die Jugend im Bemühen um den Frieden übernehmen sollte. Da wir uns darauf vorbereiten, in ein neues Jahrhundert und ein neues Jahrtausend einzutreten, müssen wir uns bewußt werden, daß die Zukunft des Friedens und darum auch die Zukunft der Menschheit in besonderer Weise den moralischen Grundentscheidungen anvertraut ist, die eine neue Generation von Männern und Frauen zu fällen berufen ist. In nur wenigen Jahren werden die jungen Menschen von heute die Verantwortung für das Leben der Familien und der Völker, für das Gemeinwohl aller und für den Frieden in ihren Händen halten. Jugendliche in aller Welt haben bereits begonnen, sich zu fragen: Was kann ich tun? Was können wir tun? Wohin führt uns der Weg? Sie möchten ihren Beitrag leisten, um die verwundete und geschwächte Gesellschaft zu heilen. Sie wollen neue Lösungen für alte Probleme anbieten. Sie möchten eine neue Zivilisation brüderlicher Solidarität errichten. Indem ich mich von solchen jungen Menschen anregen lasse, möchte ich jedermann dazu einladen, über diese Dinge nachzudenken. In besonderer und direkter Weise aber will ich mich an die Jugendlichen von heute und von morgen wenden.
3. Junge Menschen, habt keine Angst vor eurer eigenen Jugend
Dies ist der erste Appell, den ich an euch, junge Männer und Frauen von heute, richten möchte: Habt keine Angst! Habt keine Angst vor eurer eigenen Jugend und vor jener tiefen Sehnsucht nach Glück und Wahrheit, nach Schönheit und bleibender Liebe! Manchmal wird gesagt, die Gesellschaft habe Angst vor dieser mächtigen Sehnsucht junger Menschen, ja ihr selbst hättet Angst davor. Habt aber keine Angst! Wenn ich auf euch Jugendliche schaue, empfinde ich große Dankbarkeit und Hoffnung. Die Zukunft bis weit in das nächste Jahrhundert hinein liegt in euren Händen. Die Zukunft des Friedens liegt in euren Herzen. Um die Geschichte so, wie ihr es könnt und müßt, zu gestalten, müßt ihr sie von den falschen Wegen befreien, denen sie folgt. Um dies zu tun, müßt ihr Menschen sein mit einem tiefen Vertrauen in den Menschen und einem tiefen Vertrauen in die Größe menschlicher Berufung - einer Berufung, der man mit Respekt vor der Wahrheit sowie vor der Würde und den unverletzlichen Rechten der menschlichen Person entsprechen muß.
Was ich in euch aufbrechen sehe, ist ein neues Bewußtsein für eure Verantwortung und ein frisches Gespür für die Bedürfnisse eurer Mitmenschen. Zusammen mit vielen anderen seid ihr erfüllt vom Hunger nach Frieden. Ihr seid beunruhigt durch soviel Ungerechtigkeit um euch herum. Ihr verspürt eine ungeheure Gefahr in den gigantischen Waffenvorräten und in der Bedrohung durch einen Atomkrieg. Ihr leidet darunter, wenn ihr den weitverbreiteten Hunger und die Unterernährung seht. Ihr sorgt euch um die Umwelt für heute und für die kommenden Generationen. Ihr fühlt euch bedroht durch Arbeitslosigkeit, und viele von euch leben bereits ohne Arbeit und ohne Aussicht auf eine sinnvolle Tätigkeit. Ihr seid empört über die große Zahl von Menschen, die politisch und geistig unterdrückt werden und ihre grundlegenden Menschenrechte als einzelne oder als Gemeinschaft nicht ausüben können. All dies kann das Gefühl aufkommen lassen, das Leben habe wenig Sinn.
In dieser Lage können einige von euch versucht sein, vor ihrer Verantwortung zu fliehen: in die Traumwelt von Alkohol und Drogen, in kurzlebige sexuelle Beziehungen ohne Verpflichtung zu Ehe und Familie, in Gleichgültigkeit, Zynismus und sogar Gewalt. Seid wachsam gegenüber einer betrügerischen Welt, die euch ausbeuten und eure kraftvolle, energische Suche nach Glück und Sinn fehlleiten möchte. Zieht euch aber nicht zurück von der Suche nach wahren Antworten auf die Fragen, vor denen ihr steht! Habt keine Angst!
4. Die unausweichliche Frage: Was denkt ihr vom Menschen?
Die erste und vordringliche unter den Fragen, die ihr euch stellen müßt, ist diese: Was denkt ihr vom Menschen? Worin besteht für euch die Würde und Größe des Menschen? Das sind Fragen, die ihr jungen Leute euch selbst stellen sollt, die ihr aber auch der vorhergehenden Generation, euren Eltern und all denjenigen stellt, die auf verschiedenen Ebenen die Verantwortung für die Sorge um die Güter und Werte der Welt gehabt haben. Der Versuch, diese Fragen offen und ehrlich zu beantworten, kann alt und jung dazu bringen, ihr eigenes Handeln und ihren Lebensweg zu überdenken. Haben nicht tatsächlich die Menschen, vor allem in den entwickelteren und reicheren Staaten, sehr oft einer materialistischen Sicht des Lebens nachgegeben? Meinen Eltern nicht mitunter, ihre Verpflichtungen gegenüber ihren Kindern erfüllt zu haben, wenn sie ihnen über die Grundbedürfnisse hinaus noch mehr materielle Güter als Antwort auf ihre Lebenswünsche geboten haben? Geben sie dadurch nicht an die jungen Generationen eine Welt weiter, die arm sein wird an wesentlichen geistigen Werten, arm an Frieden und Gerechtigkeit? Hat nicht ebenso in anderen Nationen die Faszination gewisser Ideologien den jungen Generationen ein Erbe an neuen Formen von Versklavung hinterlassen, ohne die Freiheit, jenen Werten zu folgen, die das Leben in all seinen Aspekten wahrhaft vervollkommnen? Fragt euch, was für eine Art von Menschen ihr selbst und eure Mitmenschen sein wollen, welche Art von Kultur ihr errichten möchtet. Stellt euch diese Fragen und fürchtet euch nicht von den Antworten, selbst wenn diese von euch eine Änderung in der Richtung eurer Gedanken und Bindungen fordern.
5. Die Grundfrage: Wer ist euer Gott?
Jene erste Frage führt zu einer noch tieferen und grundlegenderen: Wer ist euer Gott? Wir können unseren Begriff vom Menschen nicht definieren, ohne ein Absolutes, eine Fülle der Wahrheit, der Schönheit und des Guten zu bestimmen, von der wir unser Leben leiten lassen. So ist es wahr, daß der Mensch, „das sichtbare Abbild des unsichtbaren Gottes“, die Frage danach, wer er oder sie ist, nicht beantworten kann, ohne gleichzeitig zu erklären, wer sein oder ihr Gott ist. Es ist unmöglich, diese Frage auf die Privatsphäre des Menschen zu beschränken. Es ist unmöglich, diese Frage von der Geschichte der Völker zu trennen. Heutzutage ist man der Versuchung ausgesetzt, Gott im Namen des eigenen Menschseins zurückzuweisen. Wo immer es eine solche Zurückweisung gibt, fällt ein immer dunklerer Schatten tödlicher Furcht nieder. Furcht entsteht, wo immer Gott im Gewissen der Menschen stirbt. Jedermann weiß, wenn auch nur dunkel und mit Schaudern, daß, wo immer Gott im Gewissen der menschlichen Person stirbt, daraus unvermeidlich der Tod des Menschen als Abbild Gottes folgt.
6. Eure Antwort: Entscheidungen auf der Grundlage von Werten
Welche Antworten ihr auch immer auf diese beiden miteinander verbundenen Fragen gebt, sie werden für den Rest eures Lebens die Richtung bestimmen. Jeder von uns mußte während seiner Jugendzeit mit diesen Fragen ringen und an einem bestimmten Punkt zu einem gewissen abschließenden Urteil hierüber kommen, das dann unsere folgenden Entscheidungen und Wege, unser ganzes künftiges Leben geformt hat. Die Antworten, die ihr jungen Menschen auf diese Fragen gebt, werden ebenso bestimmen, wie ihr auf die großen Herausforderungen von Frieden und Gerechtigkeit antwortet. Wenn ihr euch dafür entschieden habt, daß ihr selbst euer eigener Gott sein wollt ohne Rücksicht auf andere, dann werdet ihr Werkzeuge von Spaltung und Feindschaft, Werkzeuge sogar von Krieg und Gewalt. Indem ich dies betone, möchte ich euch auf die Bedeutung von Entscheidungen hinweisen, die Werte beinhalten. Werte sind die Grundlagen von Entscheidungen, die nicht nur euer eigenes Leben bestimmen, sondern auch die Politik und die Strategien, die das Leben in der Gesellschaft formen. Und denkt daran, daß es nicht möglich ist, die gesellschaftlichen von den personalen Werten zu trennen. Auch geht es nicht an, in diesem Widerspruch zu leben: an andere und an die Gesellschaft Forderungen zu stellen und selbst ein persönliches Leben in Zügellosigkeit zu führen.
Ihr müßt euch also entscheiden, auf welchen Werten ihr die Gesellschaft erbauen wollt. Eure Wahl jetzt wird darüber entscheiden, ob ihr in Zukunft die Tyrannei ideologischer Systeme erleiden werdet, welche das gesellschaftliche Kräftespiel auf die Logik des Klassenkampfes einschränkt. Die Werte, die ihr heute wählt, werden darüber entscheiden, ob die Beziehungen zwischen den Völkern weiterhin überschattet bleiben von bedrohlichen Spannungen, die eine Auswirkung sind von heimlichen oder offen propagierten Plänen, alle Völker Regimen zu unterwerfen, wo Gott nicht zählt und wo die Würde der menschlichen Person den Forderungen einer Ideologie geopfert wird, die versucht, das Kollektiv absolut zu setzen. Die Werte, denen ihr euch in der Jugend verpflichtet, werden darüber bestimmen, ob ihr euch zufriedengebt mit dem Erbe einer Vergangenheit, in der Haß und Gewalt die Liebe und Versöhnung ersticken. Von den heutigen Entscheidungen eines jeden von euch wird die Zukunft eurer Brüder und Schwestern abhängen.
7. Der Wert des Friedens
Die Sache des Friedens, die beständige und unausweichliche Herausforderung unserer Tage, hilft euch, euch selbst und eure Werte zu entdecken. Die Tatsachen sind offenkundig und erschreckend. Millionen ausgegeben für Waffen; materielle Mittel und geistige Talente ausschließlich eingesetzt, um Waffen herzustellen; politische Instanzen, die zuweilen nicht aussöhnen und Völker einander näherbringen, sondern eher noch Barrieren errichten und Nationen voneinander trennen. Unter diesen Umständen kann ein sinnvoller Patriotismus einer fanatischen Parteinahme zum Opfer fallen, und ein lobenswerter Dienst für die Verteidigung des eigenen Landes kann zum Gegenstand von Mißdeutung und sogar von Spott werden (vgl. Gaudium et spes, Nr. 79). Inmitten von vielen verführerischen Einladungen, nur den eigenen Vorteil zu suchen, müssen Männer und Frauen, die den Frieden wollen, lernen, zunächst auf die Werte des Lebens zu achten und dann zuversichtlich daranzugehen, diese Werte konkret zu verwirklichen. Der Ruf zum Friedensstifter hat als feste Grundlage den Ruf zur Bekehrung des Herzens, wie ich in der Botschaft zum letzt jährigen Weltfriedenstag dargelegt habe. Er gewinnt dann weiter Kraft aus der Verpflichtung zu einem aufrichtigen Dialog und zu ehrlichen Verhandlungen, die auf gegenseitigem Respekt beruhen, verbunden mit einer realistischen Einschätzung der gerechten Forderungen und legitimen Interessen aller Partner. Der Wille zum Frieden wird danach trachten, die Waffen zu verringern, deren ungeheure Zahl den Herzen der Menschen Angst macht. Er wird darangehen, Brücken zu bauen - von kultureller, wirtschaftlicher, sozialer und politischer Art -, die einen stärkeren Austausch unter den Völkern erlauben. Er wird den Frieden fördern als eine Sache, die auch der andere möchte, nicht durch Parolen, die trennen, oder durch Aktionen, die unnötigerweise Leidenschaften wecken, sondern mit einem ruhigen Vertrauen, das die Frucht ist aus einer Entscheidung für wahre Werte und für das Wohl der Menschheit.
8. Der Wert der Gerechtigkeit
Das Wohl der Menschheit ist letztlich der Grund, warum ihr die Sache des Friedens zu eurer eigenen machen müßt. Indem ich dies sage, fordere ich euch auf, euch von der ausschließlichen Konzentration auf die Friedensbedrohung, wie sie gewöhnlich als das Ost-West-Problem angeführt wird, abzuwenden und stattdessen die ganze Welt ins Auge zu fassen und ebenso an die sogenannten Nord-Süd-Spannungen zu denken. Wie früher schon möchte ich auch heute betonen, daß diese beiden Ziele - Frieden und Entwicklung - voneinander abhängen und deshalb zusammen angestrebt werden müssen, wenn die jungen Menschen von heute eine bessere Welt von morgen erben sollen.
Ein Aspekt dieser Abhängigkeit ist der Einsatz von Mitteln für einen Zweck, die Rüstung, anstatt für einen anderen, die Entwicklung. Aber die wirkliche Verbindung ist hierbei nicht einfach der Einsatz von Mitteln, so wichtig dies auch sein mag; sie besteht vielmehr zwischen den Werten, die jemanden für den Frieden, und den Werten, die jemanden für eine echte Entwicklung verpflichten. Denn so gewiß wie der wahre Frieden mehr erfordert als nur die Abwesenheit von Krieg oder den bloßen Abbau von Waffensystemen, so kann auch Entwicklung in ihrem wahren und vollen Sinne niemals allein auf einen Wirtschaftsplan oder eine Reihe von technischen Projekten beschränkt werden, so wertvoll diese auch sein mögen. Im gesamten Bereich des Fortschritts, den wir Gerechtigkeit und Frieden nennen, müssen jeweils dieselben Werte zugrunde gelegt werden, die sich aus der Vorstellung ergeben, die wir vom Menschen und von Gott in seiner Beziehung zur ganzen Menschheit haben. Dieselben Werte, die jemanden dazu bringen, ein Friedensstifter zu sein, sind auch die Werte, die jemanden bewegen, die allseitige Entwicklung jedes Menschen und aller Völker zu fördern.
9. Der Wert, mitwirken zu können
Eine Welt von Gerechtigkeit und Frieden kann nicht durch Worte allein geschaffen werden, und sie kann auch nicht durch äußere Kräfte auferlegt werden: Sie muß gewollt und herbeigeführt werden durch die Mitarbeit aller. Es gehört wesentlich zum Menschen, einen Sinn für Mitwirkung zu haben, um teilzunehmen an den Entscheidungen und Bemühungen, die das Geschick der Welt bestimmen. Gewalt und Ungerechtigkeit haben in der Vergangenheit oft ihre tiefsten Ursachen im Gefühl der Menschen gehabt, des Rechtes beraubt zu sein, ihr Leben selbst zu gestalten. Und auch in Zukunft lassen sich Gewalt und Ungerechtigkeit nicht vermeiden, wenn und wo das Grundrecht auf Mitwirkung in den gesellschaftlichen Entscheidungen bestritten wird. Dieses Recht aber muß mit Klugheit ausgeübt werden. Das komplizierte Leben in der modernen Gesellschaft erfordert, daß die Menschen die Entscheidungsvollmacht ihren Anführern übertragen. Sie müssen aber darauf vertrauen können, daß ihre Führer Entscheidungen treffen zum Wohl ihres Volkes und aller Völker. Mitwirkung ist ein Recht, aber es bringt auch Verpflichtungen mit sich: nämlich dieses Recht auszuüben in Achtung vor der Wunde des Menschen. Das gegenseitige Vertrauen zwischen den Bürgern und ihren Führern ist die Frucht praktizierter Mitwirkung, und solche Mitwirkung ist ein Grundstein für die Errichtung einer friedlichen Welt.
10. Das Leben: ein Weg voller Entdeckungen
Euch alle, junge Menschen in der Welt, lade ich ein, in diesem größten geistigen Abenteuer, vor dem eine Person stehen kann, eure Verantwortung zu übernehmen: das Abenteuer, menschliches Leben zu gestalten, im persönlichen wie im gesellschaftlichen Bereich, und dabei die Berufung des einzelnen zu achten. Denn zu Recht sagt man, das Leben sei ein Weg voller Entdeckungen: die Entdeckung eures eigenen Wesens, die Entdeckung der Werte, die euer Leben formen, die Entdeckung der Völker und Nationen, denen alle in Solidarität verbunden sind. Wenn auch diese Entdeckungsfahrt in der Jugendzeit stärker zutage tritt, so ist sie doch eine Fahrt, die kein Ende kennt. Während eurer ganzen Lebenszeit müßt ihr die Werte bejahen und immer wieder neu bejahen, die euch selbst und die Welt formen: die Werte, die das Leben fördern, die die Würde und Berufung des Menschen wiedergeben, die eine Welt in Frieden und Gerechtigkeit erbauen.
Es gibt unter den jungen Menschen eine erstaunliche weltweite Einmütigkeit über die Notwendigkeit des Friedens, und dies stellt eine mächtige Kraftquelle dar zum Besten aller. Junge Menschen sollten sich aber nicht zufriedengeben mit einer nur instinktiven Sehnsucht nach Frieden: Diese Sehnsucht muß in eine feste moralische Überzeugung umgewandelt werden, welche die volle Breite menschlicher Probleme umfaßt und sich auf Werte stützt, die mit ganzem Herzen bejaht werden. Die Welt braucht junge Menschen, die reichlich aus den Quellen der Wahrheit getrunken haben. Ihr müßt auf die Wahrheit hören, und dafür braucht ihr ein reines Herz; ihr müßt die Wahrheit verstehen, und dafür braucht ihr tiefe Demut; ihr müßt euch der Wahrheit unterstellen und sie annehmen, und dafür braucht ihr die Kraft, den Versuchungen des Stolzes, der Selbstsucht und der Manipulation zu widerstehen. Ihr müßt in euch ein tiefes Gespür für Verantwortung entwickeln.
11. Die Verantwortung christlicher Jugend
Dieses Gespür für Verantwortung und für die Bejahung moralischer Werte möchte ich euch nachdrücklich ans Herz legen, euch christlichen Jugendlichen und, zusammen mit euch, allen unseren Brüdern und Schwestern, die sich zu unserem Herrn Jesus Christus bekennen. Als Christen seid ihr euch bewußt, Kinder Gottes zu sein, Anteil am göttlichen Wesen zu haben und in Christus von der Fülle Gottes umfangen zu sein (vgl. l Joh 3, 2; 2 Petr l, 4; Eph 3, 19). Der auferstandene Herr schenkt euch als seine erste Gabe Frieden und Versöhnung. Gott, der ewige Frieden, hat durch Christus, den Fürsten des Friedens, mit der Welt Frieden geschlossen. Dieser Frieden ist uns ins Herz gegeben, und er reicht tiefer als alle Unrast eures Geistes, als alle Angst eures Herzens. Gottes Frieden nimmt sich eures Geistes und eures Herzens an. Gott gibt euch seinen Frieden jedoch nicht wie einen Besitz, den ihr horten könntet, sondern wie einen Schatz, den ihr nur dann besitzt, wenn ihr ihn mit anderen teilt.
In Christus könnt ihr an die Zukunft glauben, auch wenn ihr ihre Gestalt noch nicht erkennen könnt. Ihr dürft euch dem Herrn der Zukunft anvertrauen und so eure Mutlosigkeit überwinden, die ihr vor der Größe der Aufgabe und dem zu zahlenden Preis empfindet. Den niedergeschlagenen Jüngern auf dem Weg nach Emmaus sagt der Herr: „Mußte nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“ (Lk 24, 26). Der Herr spricht dieselben Worte zu einem jeden von euch. Habt also keine Angst, euer Leben für Frieden und Gerechtigkeit einzusetzen; denn ihr wißt, daß der Herr mit euch ist auf all euren Wegen.
12. Internationales Jahr der Jugend
In diesem Jahr, das die Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der Jugend erklärt haben, ist es mein Wunsch gewesen, meine jährliche Botschaft zum Weltfriedenstag an euch, an die jungen Menschen in aller Welt, zu richten. Möge dieses Jahr für jeden ein Jahr tieferen Einsatzes für Frieden und Gerechtigkeit sein. Welche Entscheidungen auch immer ihr trefft, tut es mit Mut und lebt danach in Treue und Verantwortung. Welche Wege auch immer ihr beschreitet, tut es mit Hoffnung in die Zukunft, die ihr mit Gottes Hilfe gestalten könnt; Vertrauen auf Gott, der auf euch schaut in allem, was ihr sagt und tut. Diejenigen von uns, die euch vorangegangen sind, möchten mit euch die tiefe Verpflichtung für den Frieden teilen. Eure Alterskameraden werden sich euren Bemühungen anschließen. Die euch nachfolgen, werden bei euch Anregung finden, solange ihr die Wahrheit sucht und nach echten moralischen Werten lebt. Die Herausforderung des Friedens ist groß, noch größer aber ist der Lohn; denn im Einsatz für den Frieden werdet ihr das Beste für euch selbst entdecken, wenn ihr das Beste für alle anderen sucht. Ihr wachst heran, und mit euch wächst auch der Frieden.
Möge dieses Internationale Jahr der Jugend auch für Eltern und Erzieher eine Gelegenheit sein, ihre Verantwortung für die jungen Menschen neu in den Blick zu nehmen. Allzu oft werden ihre Führung zurückgewiesen und ihre Leistungen in Frage gestellt. Und doch haben sie so viel an Weisheit, Kraft und Erfahrung zu bieten. Ihre Aufgabe, die Jugend auf der Suche nach Lebenssinn zu begleiten, kann von niemandem anders übernommen werden. Die Werte und Modelle, die sie den Jugendlichen vor Augen stellen, müssen aber auch in ihrem Leben deutlich sichtbar werden; sonst überzeugen ihre Worte nicht, und ihr Leben ist ein innerer Widerspruch, den die jungen Menschen mit Recht zurückweisen.
Am Ende dieser Botschaft verspreche ich mein tägliches Gebet während dieses Internationalen Jahres der Jugend, daß die jungen Menschen auf den Ruf zum Frieden antworten. Ich bitte alle meine Brüder und Schwestern eindringlich, sich meinem Gebet zu unserem Vater im Himmel anzuschließen, daß er uns alle, die wir Verantwortung für den Frieden tragen, vor allem aber die jungen Menschen erleuchte, so daß Jugend und Frieden tatsächlich gemeinsam voranschreiten können!
Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1984.