Botschaft zum Weltfriedenstag 1984
Botschaft Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. zur Feier des Weltfriedenstages
1. Januar 1984
„DER FRIEDEN ENTSPRINGT EINEM NEUEN HERZEN“
Verantwortliche des politischen Lebens der Nationen,
Gestalter des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens,
junge Menschen, die ihr eine brüderliche und solidarische Welt erhofft,
ihr alle, Männer und Frauen, die ihr den Frieden ersehnt!
An euch wende ich mich am Beginn des Jahres 1984, das sich überall voller Fragen und Sorgen, aber auch reich an Hoffnungen und Möglichkeiten ankündigt. Mein Appell für diesen 17. Weltfriedenstag kommt aus der Tiefe meines Herzens, und ich weiß, daß ich mich darin mit der Sehnsucht vieler Männer und Frauen treffe, die in einer gespaltenen Welt nach Brüderlichkeit verlangen. Die Botschaft, die ich an euch richte, ist zugleich einfach und anspruchsvoll; denn sie betrifft jeden von euch persönlich, jeden lädt sie dazu ein, seinen Anteil an Mitarbeit beim Werk des Friedens in der Welt einzubringen, ohne diese Verpflichtung auf andere abzuwälzen. Das Thema, das ich heute eurem Denken und Handeln vorlege, ist dieses: „Der Frieden entspringt einem neuen Herzen“.
1. Eine paradoxe Situation
Man kann heute nicht umhin, von den dunklen Schatten und Bedrohungen betroffen zu sein, ohne andererseits die Lichtpunkte und Hoffnungen vergessen zu wollen. Zweifellos ist der Frieden gefährdet, und die Ungerechtigkeit nimmt Überhand. In mehreren Ländern sind unerbittliche Kriege im Gang; sie ziehen sich in die Länge, obwohl die Zahl der Toten, die Leiden und Zerstörungen zunehmen und ohne daß man anscheinend auf dem Weg zu einer Lösung vorankommt. Andere Länder sind von Gewalt und fanatischem Terrorismus heimgesucht; und es sind gerade die Unschuldigen, die allzu oft den Preis dafür bezahlen, während die Leidenschaften sich verschärfen und die Angst zu extremen Folgen zu führen droht. In vielen Regionen werden die Menschenrechte verletzt und die Freiheiten verhöhnt, werden Einkerkerungen unrechtmäßig aufrechterhalten und summarische Hinrichtungen aus parteiischen Gründen durchgeführt; und die Menschheit in diesem 20. Jahrhundert, das eine Zunahme von Deklarationen und Appellationsinstanzen erlebt hat, ist darüber kaum informiert oder erweist sich, wenn sie es doch ist, als ohnmächtig, um diese Mißstände zu stoppen. Zahlreiche Länder kämpfen mühsam darum, Hunger, Krankheit und Unterentwicklung bei sich zu besiegen, während die Besitzenden ihre Positionen noch verstärken und der Rüstungswettlauf immer weiter die Hilfsmittel bedenkenlos verschlingt, die anderswo besser eingesetzt werden könnten. Die Anhäufung von konventionellen, chemischen, bakteriologischen und vor allem atomaren Waffen liegt wie eine schwere Drohung über der Zukunft der Nationen, besonders in Europa, und macht die Bevölkerung zu Recht betroffen. Man spürt in der öffentlichen Meinung eine neue tiefe Unruhe, und ich verstehe dies sehr gut.
Die heutige Welt ist gleichsam in einem Netz von Spannungen gefangen. Die Spannung zwischen Ost und West, wie sie allgemein genannt wird, beeinflußt nicht nur die Beziehungen zwischen den direkt davon betroffenen Nationen, sondern prägt auch viele andere schwierige Situationen anderswo in der Welt und verschlimmert sie sogar. In einer solchen Lage muß man sich die furchtbare Gefahr vergegenwärtigen, die diese wachsende Spannung und Polarisierung in großem Maßstab darstellen, vor allem wenn man an die Mittel von gewaltiger und unerhörter Zerstörungskraft denkt, die bereitstehen. Und obwohl die Verantwortlichen sich dieser Gefahr sehr bewußt sind, verspüren sie eine große Schwierigkeit, um nicht zu sagen ihre Ohnmacht, diese Entwicklung anzuhalten und Wege zu finden, um die Spannungen durch konkrete Schritte zur Entspannung, zur Abrüstung und zur Verständigung zu verringern, was ermöglichen würde, größere Anstrengungen auf vorrangige Ziele im Bereich des ökonomischen, sozialen und kulturellen Fortschritts zu richten.
Wenn die Spannung zwischen Ost und West mit ihren ideologischen Hintergründen alle Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt und in einer großen Zahl von Ländern vor allem der nördlichen Hemisphäre Angst erzeugt, so darf sie doch nicht eine andere, noch grundlegendere Spannung, jene zwischen Nord und Süd, verdecken, die an das Überleben selbst eines großen Teiles der Menschheit rührt. Es handelt sich um den zunehmenden Gegensatz zwischen den Ländern, die die Chance gehabt haben, ihre Entwicklung zu beschleunigen und ihren Reichtum zu mehren, und den Ländern, die in ihrer Unterentwicklung gefangen sind. Dort liegt eine weitere mächtige Quelle für Bitterkeit und Angst, für Opposition und Revolte, und das um so mehr, weil diese Quelle durch vielfältige Ungerechtigkeiten gespeist wird.
Angesichts dieser übergroßen Probleme lege ich das Thema der Erneuerung des „Herzens“ vor. Man könnte meinen, dieser Vorschlag sei zu einfach und dieses Mittel nicht angemessen. Und doch erlaubt die hier vorgelegte Analyse, wenn man sie genau bedenkt, zur Wurzel des Problems vorzudringen; sie ist von der Art, daß gerade jene Voraussetzungen, die den Frieden bedrohen, einer Prüfung unterzogen werden. Das Unvermögen, das der Menschheit nicht gestattet, die Spannungen aufzulösen, macht deutlich, daß die Hemmungen oder, auf der anderen Seite, die Hoffnungen aus einer tieferen Schicht stammen, als es die Systeme selbst sind.
2. Der Krieg entsteht im Herzen des Menschen
Es ist meine tiefe Überzeugung, es ist das Leitmotiv der Bibel und des christlichen Denkens, es ist, wie ich hoffe, die Erkenntnis vieler Menschen guten Willens, daß der Krieg im Herzen des Menschen geboren wird. Der Mensch ist es, der tötet, und nicht sein Schwert oder, heute, seine Raketen.
Das „Herz“ im Sinne der Bibel ist das Innerste der menschlichen Person in ihrer Beziehung zum Guten, zum Nächsten, zu Gott. Es handelt sich dabei nicht in erster Weltanschauung, die einer hat, wie auch die Leidenschaften, die ihn bewegen. Mit dem Herzen ist der Mensch empfänglich für die absoluten Werte des Guten, für Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Frieden.
Zu einer Entartung des Herzens kommt es besonders, wenn das Gewissen dasjenige gut oder schlecht nennt, was es seinen materiellen Interessen oder seinem Machtwillen zuliebe wählen oder ablehnen möchte. Auch die Vielschichtigkeit von Machtausübung hindert nicht, daß es bei der Vorbereitung, Auslösung und Ausbreitung eines Konfliktes stets eine Verantwortung des individuellen Gewissens gibt; daß diese Verantwortung von einer Gruppe geteilt wird, ändert nichts am Prinzip.
Dieses Gewissen ist aber oft beeinflußt, um nicht zu sagen beherrscht, von politischen und ideologischen Gesellschaftssystemen, die ebenfalls das Werk des menschlichen Geistes sind. Im Maße wie sich die Menschen von Systemen verführen lassen, die ein umfassendes Menschenbild vorlegen, das in manichäischer Weise jedes andere ausschließt, und die aus dem Kampf gegen die anderen Weltanschauungen, aus ihrer Beseitigung oder Beherrschung die Bedingung für Fortschritt machen, schließen sie sich in eine Kriegsmentalität ein, welche die Spannungen verschärft, und werden so fast unfähig für einen Dialog. Manchmal wird die unbedingte Zustimmung zu solchen Systemen zu einer Art von Anbetung der Macht, der Kraft, des Reichtums, zu einer Form von Sklaverei, die sogar den Regierenden selbst die Freiheit nimmt.
Über die eigentlichen ideologischen Systeme hinaus gibt es außerdem zahlreiche Leidenschaften, die das menschliche Herz entstellen und es zum Krieg drängen. Die Menschen können sich hinreißen lassen zu rassischer Überheblichkeit und als Folge davon zu Haß gegen andere oder auch zu Eifersucht und Begehrlichkeit angesichts des Landes oder der Schätze der anderen oder allgemein zu Machtstreben und Ehrgeiz, zum Willen, ihre Herrschaft über andere Völker auszudehnen, die sie verachten.
Gewiß, die Leidenschaften entstehen oft aus konkreten Enttäuschungen der einzelnen und der Völker, wenn ihnen von anderen die Garantie ihrer Existenz verweigert wurde oder wenn Gesellschaftssysteme hinsichtlich einer guten demokratischen Praxis und einer gerechten Verteilung der Güter in Rückstand geraten sind. Ungerechtigkeit ist bereits ein großes Laster im Herzen des Menschen, der ausbeutet. Manchmal aber werden die Leidenschaften sogar absichtlich geschürt. Ein Krieg kann schwerlich ausgelöst werden, wenn die Bevölkerung auf beiden Seiten nicht starke Gefühle der Feindschaft füreinander empfindet oder wenn sie nicht davon überzeugt wird, daß die umstrittenen Ansprüche ihre jeweiligen Lebensinteressen berühren. Das ist dann die Erklärung für ideologische Manipulationen, wie sie von einem aggressiven Willen ausgehen. Wenn erst einmal die Kämpfe ausgelöst sind, gibt es nur noch ein Ansteigen der Feindseligkeit; denn sie findet ständig Nahrung in den Leiden und Grausamkeiten, die sich auf beiden Seiten ansammeln. Es kann dann sogar zu Haßpsychosen kommen. Die Hinwendung zu Gewalt und Krieg kommt also letztlich aus der Sünde des Menschen, aus der Verblendung seines Geistes und der Entartung seines Herzens, die sich beide auf das Motiv der Ungerechtigkeit berufen, um Spannungen und Konflikte zu schaffen oder zu verschärfen.
Ja, der Krieg wird im sündigen Herzen des Menschen geboren, angefangen bei der Eifersucht und Gewalt, die das Herz des Kain bei der Begegnung mit seinem Bruder Abel nach jener alten biblischen Erzählung befallen haben. Handelt es sich aber nicht tatsächlich um einen noch tieferen Bruch, wenn die Menschen unfähig werden, sich über die Unterscheidung von Gut und Böse zu einigen und über die Werte des Lebens, dessen Quelle und Garant Gott ist? Erklärt das nicht die Irrwege des „Herzens“ des Menschen, dem es nicht mehr gelingt, mit seinen Artgenossen auf der Grundlage der Wahrheit mit aufrichtigem Geist und wohlwollendem Herzen Frieden zu schließen?
Die Wiederherstellung des Friedens wäre nur von kurzer Dauer und eine große Illusion, wenn dabei nicht eine wirkliche Änderung des Herzens stattfände. Die Geschichte hat uns gelehrt, daß sogar jene „Befreiungen“, nach denen man sich gesehnt hatte zu der Zeit, da ein Land besetzt war oder die bürgerlichen Freiheiten nicht viel galten, in dem Maße enttäuscht haben, wie die Verantwortlichen und die Bürger ihre geistige Enge und Intoleranz, ihre hartnäckige Weigerung, die Konflikte zu überwinden, beibehielten. In der Bibel selbst haben die Propheten solche oberflächlichen Befreiungen angeprangert, wenn sich das Herz nicht wirklich geändert, „bekehrt“, hatte.
3. Der Frieden entspringt einem neuen Herzen
Wenn die gegenwärtigen Systeme, die das „Herz“ des Menschen hervorgebracht hat, sich als unfähig für die Erhaltung des Friedens erweisen, dann muß eben dieses „Herz“ des Menschen erneuert werden, um die Systeme, Institutionen und Methoden erneuern zu können. Der christliche Glaube kennt ein Wort, um diese grundlegende Änderung des Herzens zu bezeichnen: es ist die „Bekehrung“. Allgemein gesprochen, handelt es sich darum, die Klarsicht und Unparteilichkeit zusammen mit der Freiheit des Geistes, den Sinn für Gerechtigkeit mit der Achtung vor den Menschenrechten, den Sinn für einen angemessenen Ausgleich mit weltweiter Solidarität zwischen den Reichen und den Armen, das gegenseitige Vertrauen und die brüderliche Liebe wiederzufinden.
Es ist vor allem nötig, daß die Personen und die Völker eine wahre Freiheit des Geistes erlangen, um sich unfruchtbarer Verhaltensweisen der Vergangenheit sowie des in sich verschlossenen und einseitigen Charakters von philosophischen und sozialen Systemen bewußt zu werden, die von fragwürdigen Voraussetzungen ausgehen und den Menschen mit seiner Geschichte auf ein begrenztes Feld von materiellen Kräften einengen, die nur auf die Macht der Waffen oder der Wirtschaft setzen, die die Menschen in Kategorien einschließen, bei denen ausschließlich das Gegeneinander vorherrscht, die einbahnige Lösungen anpreisen, die die komplexen Wirklichkeiten im Leben der Nationen mißachten und diese daran hindern, sich in Freiheit damit zu befassen. Es muß also zu einer Prüfung dieser Systeme kommen, die offenkundig in Sackgassen führen und Dialog und Verständigung einfrieren lassen, die das Mißtrauen fördern und Bedrohung und Gefahr vermehren, ohne die wirklichen Probleme zu lösen und echte Sicherheit zu bieten, ohne die Völker wirklich glücklich in Frieden und Freiheit zu machen. Diese Umwandlung in der Tiefe des Geistes und des Herzens erfordert gewiß großen Mut, den Mut der Demut und der Einsicht; sie muß, ausgehend vom Gewissen der einzelnen Personen, das kollektive Denken erreichen. Ist es eine Utopie, darauf zu hoffen? Die Ohnmacht und die Gefahr, in der sich unsere Zeitgenossen befinden, drängen sie dazu, diese Rückkehr zur Wahrheit, die allein sie befreit und befähigt, bessere Systeme zu schaffen, nicht auf später aufzuschieben. Das ist die erste Bedingung für ein „neues Herz“.
Die anderen positiven Elemente sind gut bekannt. Es genügt, sie hier kurz zu erwähnen. Der Frieden ist nur dann echt, wenn er die Frucht der Gerechtigkeit ist; „opus iustitiae pax“, sagte schon der Prophet Jesaja (vgl. Jes 32, 17): Gerechtigkeit zwischen den Sozialpartnern, Gerechtigkeit zwischen den Völkern. Eine Gesellschaft ist aber nicht gerecht, nicht menschlich, wenn sie nicht die Grundrechte der menschlichen Person achtet. Kriegerische Gesinnung dagegen entsteht und reift dort, wo die unveräußerlichen Rechte des Menschen verletzt werden. Selbst wenn die Diktatur und der Totalitarismus das Seufzen der ausgebeuteten und unterdrückten Menschen für einige Zeit ersticken, bewahrt der rechtdenkende Mensch die Überzeugung, daß nichts diese Verletzung der Menschenrechte zu rechtfertigen vermag. Er hat den Mut, für die anderen, die leiden, seine Stimme zu erheben und weigert sich, vor der Ungerechtigkeit zu kapitulieren, sich mit ihr zu kompromittieren. Derjenige, der den Frieden zutiefst will, wird sogar - so paradox dies auch klingt - jeden Pazifismus zurückweisen, der nur Feigheit oder eine simple Wahrung der Ruhe sein würde. Jene, die versuchen, anderen ihre Herrschaft auf-| zuzwingen, werden stets dem Widerstand von einsichtigen und mutigen Männern und Frauen begegnen, die bereit sind, die Freiheit zu verteidigen, um die Gerechtigkeit zu fördern.
Die Redlichkeit will auch, daß man die Gerechtigkeit und Solidarität in den Beziehungen mit den armen Ländern und vor allem mit jenen verstärkt, die Elend und Hunger erdulden. Der Ausspruch Pauls VI. ist bereits die Überzeugung vieler geworden: „Die Entwicklung ist der neue Name für den Frieden“. Die reichen Länder sollten also von ihrem kollektiven Egoismus lassen, um den gegenseitigen Austausch und die Hilfeleistungen in neuen Kategorien zu überdenken, indem man sich einer weltweiten Sicht öffnet.
Mehr noch, das neue Herz setzt sich dafür ein, daß Kriegsangst und Kriegspsychose allmählich verschwinden. Es ersetzt das Axiom, nach dem der Frieden sich aus dem Gleichgewicht der Rüstung herleitet, durch den Grundsatz, daß der wahre Frieden sich nur in gegenseitigem Vertrauen verwirklichen kann (vgl. Enzyklika Pacem in terris, Nr. 113). Gewiß, ein solches Herz wird zugleich wachsam und hellsichtig bleiben, um die Lügen und Manipulationen aufzudecken und mit Umsicht voranzugehen. Aber es wagt, unaufhörlich jenen Dialog zu führen und wieder aufzunehmen, der das Thema meiner Botschaft im vergangenen Jahr gewesen ist. Das neue Herz ist schließlich dasjenige, das sich von der Liebe inspirieren läßt. Schon Pius XI. hat gesagt, daß es „keinen wahren äußeren Frieden unter den Menschen und Völkern geben kann, wo nicht der Geist des Friedens den Verstand und die Herzen beseelt...; den Verstand, um die Forderungen der Gerechtigkeit zu erkennen und zu achten; die Herzen, damit sich zur Gerechtigkeit die Liebe gesellt und diese sogar die Gerechtigkeit übersteigt. Denn wenn der Frieden das Werk und die Frucht der Gerechtigkeit ist..., ist er doch mehr der Liebe als der Gerechtigkeit zuzuschreiben“ (Ansprache vom 24. Dezember 1930, AAS 1930, S. 535). Es geht darum, auf die Gewalt, auf Lüge und Haß zu verzichten, in den Absichten und Gefühlen und im ganzen Verhalten ein brüderlich gesinnter Mensch zu werden, der die Würde und die Bedürfnisse des anderen anerkennt und mit ihm zusammenzuarbeiten sucht, um eine Welt des Friedens aufzubauen.
4. Appell an die Verantwortlichen für Politik und öffentliche Meinung
Da man also zu einem neuen Herzen gelangen und eine neue Mentalität des Friedens schaffen muß, kann und soll jeder Mann und jede Frau, was auch immer ihr Platz in der Gesellschaft ist, bei der Errichtung eines wahrhaften Friedens in ihrem Lebensbereich, in der Familie, in der Schule, im Betrieb, in der Stadt, ihren Teil an Verantwortung wirklich übernehmen. In seinen Sorgen, seinen Gesprächen und in seinem Wirken soll sich jeder für alle seine Brüder und Schwestern verpflichtet fühlen, die zu derselben Menschheitsfamilie gehören, auch wenn sie im Widerstreit miteinander leben.
Natürlich gibt es in der Verantwortung Grade. Jene der Staatsoberhäupter, der politischen Führung, ist entscheidend für die Herstellung und Entfaltung friedlicher Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen der Nation und unter den Völkern. Mehr als andere müssen sie davon überzeugt sein, daß der Krieg in sich irrational ist und das ethische Prinzip von der friedlichen Lösung der Konflikte der einzige menschenwürdige Weg ist. Gewiß, man muß auch die Gewalt mitbedenken, die in der Geschichte der Menschen in so massiver Form auftritt. Es ist Realismus im Dienst der grundlegenden Sorge um Gerechtigkeit, der in einer solchen Geschichte die Beibehaltung des Prinzips von der legitimen Verteidigung fordert. Aber die entsetzlichen Risiken von Waffen mit ungeheurer Vernichtungskraft müssen Entwicklungen in die Wege leiten, die zu Zusammenarbeit und Abrüstung führen und den Krieg praktisch undenkbar machen. Der Frieden muß errungen werden. Um so mehr muß das Gewissen den verantwortlichen Politikern verbieten, sich in gefährliche Abenteuer ziehen zu lassen, wo Leidenschaft über die Gerechtigkeit die Oberhand gewinnt, dafür das Leben ihrer Mitbürger nutzlos zu opfern, die Konflikte bei den anderen zu schüren, die Unsicherheit des Friedens in einer Region als Vorwand zu benutzen, um ihre Hegemonie auf neue Gebiete auszudehnen. Die Verantwortlichen müssen dies alles in ihrem Herzen und Gewissen erwägen und jeden Machiavellismus verbannen; sie werden darüber ihren Völkern und Gott Rechenschaft geben.
Aber ich wiederhole, der Frieden ist die Pflicht aller. Die internationalen Organisationen haben ebenfalls eine große Bedeutung dafür, daß umfassende Lösungen gegenüber parteiischen Gesichtspunkten die Oberhand gewinnen. Mein Appell richtet sich besonders an diejenigen, die durch die Medien einen Einfluß auf die öffentliche Meinung ausüben, an alle jene, die in der Erziehungsarbeit unter den Jugendlichen und Erwachsenen tätig sind: Ihnen ist die Aufgabe anvertraut, den Geist des Friedens zu formen. Kann man in der Gesellschaft nicht in einer besonderen Weise auf die Jugendlichen bauen? Angesichts einer bedrohlichen Zukunft, die sie ahnen, sehnen sie sich ohne Zweifel mehr als andere nach dem Frieden, und viele sind bereit, sich dafür hochherzig und mit allen Kräften einzusetzen. Sie sollen ihre Erfindungsgabe hierfür unter Beweis stellen, dabei jedoch eine klare Sicht bewahren; ebenso sollen sie Mut zeigen, alle Aspekte langfristiger Lösungen zu bedenken! Alle Männer und Frauen sollen schließlich ihren Beitrag für den Frieden leisten und sich dabei entsprechend ihrer Veranlagung und ihrer jeweiligen Aufgaben gegenseitig ergänzen. So können die Frauen, die mit dem Geheimnis des Lebens eng verbunden sind, viel für die Förderung einer Friedensgesinnung tun, indem sie die Erhaltung des Lebens gewährleisten und davon überzeugt sind, daß wahre Liebe die einzige Kraft ist, die die Welt für alle bewohnbar zu machen vermag.
5. Appell an die Christen
Christen, Jünger Jesu, die inmitten der Spannungen unserer Zeit leben, wir müssen uns daran erinnern, daß es kein Glück gibt, es sei denn für die „Friedensstifter“ (vgl. Mt 5, 9).
Die katholische Kirche lebt das Heilige Jahr der Erlösung: Sie ist als ganze eingeladen, sich vom Herrn erfassen zu lassen, der im Augenblick vor der äußersten Bezeugung seiner Liebe sagt: „Meinen Frieden gebe ich euch“ (vgl. Joh 14, 27). In ihr muß jeder die Verkündigung des Heils und die Kraft der Hoffnung mit allen Brüdern teilen.
Die Bischofssynode über die Versöhnung und die Buße erinnert an das erste Wort Christi: „Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium“ (Mk l, 15). Die Botschaft der Väter der Synode zeigt uns, auf welchem Weg wir voranschreiten müssen, um wahrhaftig Friedensstifter zu sein: „Das Wort ruft uns zur Buße. „Bekehre dein Herz“, sagt es, „bitte um Vergebung und laß dich mit dem Vater versöhnen“. Der Ratschluß des Vaters für unsere Gesellschaft ist, daß wir wie eine einzige Familie in Gerechtigkeit und Wahrheit, in Freiheit und Liebe leben“ (vgl. L'Osservatore Romano, 28. Oktober 1983). Diese Familie wird nur dann in tiefem Frieden geeint sein, wenn wir den Aufruf vernehmen, zum Vater zurückzukehren, uns mit Gott selber zu versöhnen.
Auf diesen Aufruf antworten, mit Gottes Plan zusammenarbeiten, bedeutet, uns von Gott bekehren zu lassen. Wir vertrauen dabei nicht nur auf unsere Kraft, nicht nur auf unseren Willen, der allzu oft schwach ist. Möge unser Leben sich verwandeln lassen, denn „alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat“ (2 Kor S, 18).
Entdecken wir wieder neu die Macht des Gebetes: Beten heißt, mit dem in Einklang zu treten, den wir anrufen, dem wir begegnen, der uns das Leben schenkt. Die Erfahrung des Gebetes machen, bedeutet, die Gnade anzunehmen, die uns verwandelt; der Heilige Geist, der sich mit unserem Geist verbindet, veranlaßt uns, unser Leben nach dem Wort Gottes zu gestalten. Beten besagt, am Einwirken Gottes auf die Geschichte teilzunehmen: Der souveräne Herr der Geschichte, er hat die Menschen zu seinen Mitarbeitern machen wollen.
Paulus sagt uns von Christus: „Er selbst ist unser Friede. Er vereinigte Juden und Heiden und riß durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder“ (Eph 2, 14). Wir wissen, welche Macht des Erbarmens uns im Sakrament der Versöhnung verwandelt. Es schenkt sie uns in reicher Fülle. In aller Redlichkeit können wir uns darum nicht mit den Spaltungen und Zerwürfnissen abfinden, die uns entzweien, die wir denselben Glauben teilen. Wir können nicht untätig hinnehmen, daß die Konflikte fortdauern, die die Einheit der Menschheit zerstören, die doch berufen ist, ein Leib zu werden. Wenn wir uns feierlich Vergebung zusprechen, können wir uns dann noch endlos bekämpfen? Können wir noch Gegner bleiben, während wir denselben lebendigen Gott anrufen? Können wir, wenn das Liebesgebot Christi unser Gesetz ist, stumm und tatenlos bleiben, wenn die verwundete Welt erwartet, daß wir uns in die erste Reihe zu denen stellen, die den Frieden aufbauen? Demütig und im Bewußtsein unserer Schwäche treten wir an den eucharistischen Altar, wo jener, der sein Leben für die große Schar seiner Brüder hingibt, uns ein neues Herz schenkt, wo er uns einen neuen Geist eingibt (vgl. Ez 36, 26). Aus unserer tiefsten Armut und Verwirrung sagen wir durch ihn Dank, denn er vereinigt uns durch seine Gegenwart und durch das Geschenk seiner selbst; er, der „kam und Frieden verkündete: euch, den Fernen, und uns, den Nahen“ (Eph 2, 17). Und wenn es uns gegeben ist, ihn zu empfangen, so ist es unsere Aufgabe, durch unseren brüderlichen Einsatz auf allen Baustellen des Friedens seine Zeugen zu sein.
Schluß
Der Frieden hat vielfältige Formen. Es gibt den Frieden zwischen den Nationen, den Frieden in der Gesellschaft, den Frieden zwischen den Bürgern, den Frieden zwischen den religiösen Gemeinschaften, den Frieden in den Betrieben, in den Wohnvierteln und Orten und besonders den Frieden in der Familie. Während ich mich an die Katholiken und auch an die anderen christlichen Brüder und die Menschen guten Willens wende, habe ich auf eine gewisse Anzahl von Hindernissen für den Frieden hingewiesen. Sie sind schwerwiegend und ziehen ernste Gefahren nach sich. Da sie aber vom Geist, vom Willen und „Herzen“ der Menschen abhängen, können diese sie mit Gottes Hilfe überwinden. Sie müssen sich dagegen wehren, dem Fatalismus und der Mutlosigkeit zu erliegen. Positive Zeichen werden schon im Dunkel sichtbar. Die Menschheit wird sich der unumgänglichen Solidarität bewußt, die Völker und Nationen verbindet und erforderlich ist für die Lösung der meisten großen Probleme: Arbeitsbeschaffung, Nutzung der irdischen und kosmischen Schätze, Förderung der weniger begüterten Länder, Sicherheit. Die kontrollierte allgemeine Abrüstung wird von vielen als eine Lebensnotwendigkeit betrachtet. Instanzen mehren sich, um alles ins Werk zu setzen, damit der Krieg vom Horizont der Menschheit verschwindet. Die Appelle zum Dialog, zur Zusammenarbeit und zur Versöhnung nehmen ebenfalls zu, und zahlreiche Initiativen treten ans Licht. Der Papst ermutigt sie. „Selig, die Frieden stiften!“ Möge der hochherzige Einsatz stets mit einem klaren Blick verbunden sein! Der Frieden werde immer aufrichtiger und schlage Wurzeln im Herzen der Menschen! Es werde der Schrei der gequälten Menschen gehört, die auf den Frieden warten! Jeder setze alle Energien eines erneuerten und brüderlichen Herzens ein, um Frieden in der ganzen Welt zu schaffen!
Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1983.