"Filter für Internet-Inhalte kein Verstoß gegen Meinungsfreiheit"
Das Argument von Social-Media-Betreibern, filternde Eingriffe in Internet-Inhalte würde die Meinungsfreiheit einschränken, ist für den Salzburger Kommunikationswissenschaftler Rudolf Renger nicht überzeugend. "Ist das Meinungsfreiheit, wenn ich jeden beschimpfen kann, wie ich will?", so seine rhetorische Rückfrage im Gespräch mit der Kooperationsredaktion österreichischer Kirchenzeitungen (Ausgaben 6./7. Jänner). Für ihn sei genau dies keine Meinungsfreiheit, "denn die hat auch etwas mit Moral und ethischen Grundeinstellungen zu tun, die derzeit stark wegbrechen".
Das Internet habe sich nicht nur zu einem "gigantischen Archiv des Wissens und der Informationen für das Alltagsleben, sondern in mancher Hinsicht leider auch zu einem großen Müllkübel entwickelt", so die Diagnose des Leiters der Abteilung Journalistik im Fachbereich Kommunikationswissenschaft an der Uni Salzburg. Gerade in den sozialen Medien sei eine "Entwicklung weg von Glaubwürdigkeit, Objektivität und Wahrhaftigkeit" zu beobachten, hin zur "Gier nach Aufmerksamkeit, Skandalisierung, Emotionalisierung, Personalisierung und Verkaufbarkeit", so Renger. Immer häufiger zeige sich bei Falschmeldungen: "Gute Fake News haben mehr Reichweite als Tatsachen".
In den klassischen Medien würden gute Journalisten als "Schleusenwächter" fungieren, die Inhalte verantwortungsbewusst, professionell und an ethischen Standards orientiert überprüfen. In den sozialen Medien im Internet gibt es laut Renger diese in Journalisten-Kodizes vorgegebene Kontrolle nicht. Während im Internet die Schleusen für Falschmeldungen und Hass geöffnet seien, sehe sich der Journalismus "Lügenpresse"-Vorwürfen ausgesetzt, heißt es in den Kirchenzeitungen.
Was ist wahr, was ist "fake"?
Renger verwies als Beispiel auf die Wahlkampagne zur US-Präsidentschaft: Donald Trump sei von den professionellen Redaktionen kritisch behandelt worden, seine Rundumschläge via Twitter hätten aber viele erreicht, die klassische Medien gar nicht mehr nützen. "Er oder auch populistische Bewegungen wie Pegida in Deutschland brauchen keinen Journalismus mehr, um ihre Anhänger zu erreichen", wies der Wissenschaftler hin.
Vor allem junge Internet-User könnten oft nicht mehr zwischen Informationen aus Facebook oder etablierten Medien unterscheiden. Das führe zu gezielten Falschmeldungen - oft sogar durch Computerprogramme, die als menschliche Poster auftreten und Stimmungen beeinflussen.
Den sozialen Medien, hinter denen große Internetkonzerne stünden, demokratiepolitische Verpflichtungen aufzuerlegen, ist laut Renger nicht einfach. Verantwortung werde meist mit dem Argument zurückgewiesen, dass sie nur die technischen Möglichkeiten anbieten, aber nichts mit den Inhalten zu tun haben. Derzeit bilde sich ein Netzwerk, das diese Verantwortung einfordern will. Akteure seien hier das EU-Parlament, das deutsche Justizministerium und Österreichs Medienminister Thomas Drozda.
Filter gebe es in den sozialen Medien zwar schon - allerdings unzureichende, wie Renger anmerkte: Die Betreiber griffen zum Teil sehr spät ein, und die Gewichtung sei eigenartig: "Oben-ohne-Bilder verschwinden schnell, Gewaltdarstellungen bleiben lange im Netz."
Das Internet sei einst ein "Hoffnungsmedium" gewesen, durch die Möglichkeit, dass jeder gleichberechtigt zu einer Diskussion beitragen kann. "Man ist mit großer Naivität davon ausgegangen, dass sich alle Web-User einer gewissen Ethik verpflichtet fühlen", so Renger im Rückblick. "Das ist offensichtlich nicht der Fall."
Heute wisse man mehr über Phänomene wie Internetsucht und die in diesem Zusammenhang relevante Einsamkeit in der Gesellschaft. "Die meisten Hassposter sind Männer, die viel Zeit haben und ihr halbes Leben im Internet verbringen", erklärte Renger. Bei aller Technikorientierung stelle sich somit die Aufgabe, "dass man auch bei den Menschen ansetzen muss", heißt es resümierend in den Kirchenzeitungen.
Quelle: kathpress