Botschaft zum Weltfriedenstag 1983
Botschaft Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II. zur Feier des Weltfriedenstages
1. Januar 1983
„DER DIALOG FÜR DEN FRIEDEN: EINE FORDERUNG AN UNSERE ZEIT“
1. Für den 16. Weltfriedenstag am Beginn des neuen Jahres 1983 lege ich euch diese Botschaft vor zum Thema „Der Dialog für den Frieden: eine Forderung an unsere Zeit“. Ich richte sie an alle, die teilhaben an der Verantwortung für den Frieden: an die Regierungen der Völker, an die Beamten internationaler Gremien, an die Politiker und die Diplomaten, aber auch an die Bürger eines jeden Landes. Alle sind sie ja von der Notwendigkeit betroffen, den wahren Frieden vorzubereiten, ihn zu erhalten oder wiederherzustellen, und dies auf fester und gerechter Grundlage. Nun bin ich aber zutiefst davon überzeugt, daß der Dialog - ein echter Dialog - eine wesentliche Bedingung für einen solchen Frieden ist. Ja, dieser Dialog ist notwendig, nicht nur opportun; er ist schwierig, aber möglich, trotz der Hindernisse, die wir, realistisch gesehen, dabei beachten müssen. Er stellt deshalb eine echte Herausforderung dar, die ich Euch bitte anzunehmen. Ich tue das in der alleinigen Absicht, um selbst und zusammen mit dem Heiligen Stuhl einen Beitrag zum Frieden zu leisten; denn als dem erstverantwortlichen Erben der Botschaft Christi, die vor allem eine Botschaft des Friedens für alle Menschen ist, liegt mir das Geschick der Menschheit sehr am Herzen.
Sehnsucht der Menschen nach Frieden und Dialog
2. Ich bin sicher, hiermit die grundlegende Sehnsucht der Männer und Frauen unserer Zeit zu treffen. Wird dieses Verlangen nach dem Frieden nicht von allen Regierenden in ihren Wünschen an ihre Nation oder in ihren Erklärungen an die Adresse anderer Staaten feierlich bekräftigt? Welche politische Partei würde es wagen, die Suche nach dem Frieden nicht in ihr Programm aufzunehmen? Und was die internationalen Organisationen betrifft, so sind sie doch gegründet worden, um den Frieden zu fördern und zu sichern; und sie behalten dieses Ziel trotz aller Mißerfolge bei. Auch die öffentliche Meinung entscheidet sich für friedliche Lösungen, wenn sie nicht durch Leidenschaften wie Stolz und ungerechtfertigte Verbitterung künstlich aufgeputscht ist. Ja, immer zahlreichere Bewegungen setzen sich dafür ein, wenn auch nicht immer mit der wünschenswerten Klarheit und Aufrichtigkeit, das Bewußtsein dafür zu wecken, daß nicht nur jeder Krieg, sondern auch alles, was zum Krieg führen kann, beseitigt werden muß. Die Bürger im allgemeinen wünschen sich, daß ein Klima des Friedens ihr Bemühen um Wohlergehen sichert, vor allem wenn sie zu ringen haben mit einer wirtschaftlichen Krise, die alle Werktätigen bedroht.
Man muß jedoch mit dieser zum Glück weitverbreiteten Sehnsucht bis zur letzten Konsequenz gehen: den Frieden erreicht man nicht, den Frieden behält man nicht, ohne die entsprechenden Mittel dafür anzuwenden. Das allesüberragende Mittel ist aber, den Weg des Dialogs zu beschreiten, das heißt, überall dort, wo der Frieden bedroht oder schon gebrochen ist, in den Familien, in der Gesellschaft, zwischen den Staaten oder zwischen den Blöcken von Staaten, in aller Geduld die Methoden und Phasen des Dialogs einzubringen.
Die Erfahrung der Vergangenheit zeigt die hohe Bedeutung des Dialogs
3. Die Erfahrung der Geschichte, auch aus jüngster Zeit, bezeugt tatsächlich, daß der Dialog für einen wirklichen Frieden unerläßlich ist. Mit Leichtigkeit könnte man Fälle aufzählen, in denen der bewaffnete Konflikt unausweichlich erschien, wo aber der Krieg dennoch vermieden oder abgebrochen wurde, weil die streitenden Parteien an den Wert des Dialogs geglaubt und ihn auch miteinander über lange und ehrliche Verhandlungen hinweg geführt haben. Wenn es demgegenüber zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen ist - entgegen einer ziemlich verbreiteten Meinung kann man leider mehr als einhundertfünfzig bewaffnete Konflikte nach dem Zweiten Weltkrieg aufzählen -, dann deshalb, weil ein Dialog tatsächlich nicht stattgefunden hat oder weil er verfälscht, hinterhältig geführt oder bewußt eingeschränkt worden ist. Das Jahr, das gerade zu Ende geht, hat einmal mehr das traurige Schauspiel von Gewalt und Krieg geboten; Menschen haben gezeigt, daß sie es vorziehen, Waffen zu gebrauchen, anstatt eine Verständigung zu suchen. Ja, neben einigen Hoffnungszeichen wird das Jahr 1982 für viele Familien Trauer und Zerstörung hinterlassen, ein bitteres Gefühl von Tränen und Tod.
Der Dialog für den Frieden ist notwendig
4. Wer wollte es also wagen, solche Kriege, von denen einige noch im Gange sind, oder solche Kriegszustände oder die Bitterkeit, welche die Kriege zurücklassen, als Kleinigkeit anzusehen? Wer hätte den Mut, sich ohne Zittern noch viel ausgedehntere und schrecklichere Kriege, wie sie fortwährend drohen, vorzustellen? Muß man nicht alles tun, um den Krieg zu vermeiden, auch den „begrenzten Krieg“, wie er von denjenigen beschönigend genannt wird, die nicht direkt davon betroffen sind, angesichts des Übels, das jeder Krieg darstellt, seines Preises an Menschenleben, an Leiden, an Zerstörung von all dem, was für das Leben und die Entwicklung des Menschen notwendig wäre, ohne die Störung der unerläßlichen Ordnung und des sozialen Gefüges zu rechnen, die Vertiefung von Mißtrauen und Haß gegen den Nächsten, wie sie die Kriege mit sich bringen? Und heute, da selbst die konventionellen Kriege so mörderisch werden und man die dramatischen Folgen kennt, die ein Atomkrieg haben würde, ist die Notwendigkeit, den Krieg abzubrechen oder jede Kriegsdrohung zu beseitigen, noch drängender. Um so grundlegender erscheint folglich die Notwendigkeit, zum Mittel des Dialogs zu greifen und die dafür geforderte politische Tugend zu üben, um so den Einsatz der Waffen zu vermeiden.
Der Dialog für den Frieden ist möglich
5. Es gibt jedoch heute Menschen, die sich für Realisten halten und deshalb bezweifeln, daß der Dialog möglich und wirksam ist, wenigstens solange die Positionen so extrem und unvereinbar sind, daß sie ihnen keinen Raum für eine Verständigung zu lassen scheinen. Wie viele negative Erfahrungen und wiederholte Mißerfolge scheinen eine solche von Enttäuschung geprägte Sicht zu stützen! Und dennoch, der Dialog für den Frieden ist möglich, immer wieder möglich. Das ist keine Utopie. Selbst wo er unmöglich erschien und man zu einer kriegerischen Auseinandersetzung gekommen ist, ist es dann nicht auf jeden Fall nötig gewesen, nach den Zerstörungen des Krieges, der zwar die Stärke des Siegers gezeigt, aber im Bereich der umstrittenen Rechte nichts gelöst hat, sich erneut um einen Dialog zu bemühen? Um es klar zu sagen: die Überzeugung, die ich hier ausspreche, beruht nicht auf diesem fatalen Umstand, sondern gründet auf einer Wirklichkeit, auf der tiefsten Natur des Menschen. Wer den christlichen Glauben teilt, ist davon noch leichter überzeugt, auch wenn er zugleich an die angeborene Schwäche und Sünde glaubt, die des Menschen Herz von Anfang an prägen. Jeder Mensch aber, ob gläubig oder nicht, kann und soll sich bei allem klaren Wissen um eine mögliche Verhärtung seines Bruders genügend Vertrauen bewahren in den Menschen und seine Fähigkeit, vernunftgemäß zu handeln, in seinen Sinn für das Gute, für Recht und Gerechtigkeit, auf seine Fähigkeit, zu hoffen und den Bruder zu lieben - die niemals vollständig entstellt werden -, um auf das Mittel des Dialogs und seine mögliche Wiederaufnahme zu setzen. Ja, die Menschen sind letztlich durchaus fähig, Spaltungen, Interessenkonflikte und sogar Gegensätze zu überwinden, die tiefgreifend zu sein scheinen, vor allem wenn jede Seite davon überzeugt ist, eine gerechte Sache zu verteidigen, wenn sie nur an die Tugend des Dialogs glauben und bereit sind, sich als Menschen zu begegnen, um eine friedliche und vernünftige Lösung ihrer Konflikte zu suchen. Ferner dürfen sie sich nicht durch wirkliches oder nur scheinbares Scheitern entmutigen lassen. Schließlich müssen sie sich dazu bereitfinden, immer wieder neu einen wirklichen Dialog anzubieten - wobei sie die Hindernisse aus dem Weg schaffen und die Fehler beim Dialog, von denen ich später noch sprechen werde, vermeiden - und diesen einzigen Weg, der zum Frieden führt, mit all seinen Anforderungen und Bedingungen bis zum Ende zu durchschreiten.
Die Tugenden des wahren Dialogs
6. Ich halte es darum für nützlich, an dieser Stelle die Eigenschaften eines wahren Dialogs in Erinnerung zu rufen. Sie gelten vor allem für den Dialog zwischen einzelnen Personen; aber ich denke auch und besonders an den Dialog zwischen sozialen Gruppen, zwischen politischen Kräften in einer Nation, zwischen Staaten innerhalb der internationalen Gemeinschaft. Sie gelten aber ebenso für den Dialog zwischen den umfangreichen Gruppierungen von Menschen, die sich im ethischen, kulturellen, ideologischen oder religiösen Bereich unterscheiden und einander gegenüberstehen. Denn die Analytiker der Kriegsursachen geben zu, daß in diesen Bereichen die meisten Konflikte ihre Wurzeln haben, wobei sich diese Konflikte dann auch mit den gegenwärtigen großen Spannungen zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd verbinden.
Der Dialog ist ein zentrales und unerläßliches Element im ethischen Denken der Menschen, wie auch immer sie geartet sein mögen. Unter dem Aspekt von Austausch und Mitteilung unter den Menschen, wie die Sprache sie ermöglicht, ist der Dialog in der Tat ein gemeinsam erstrebtes Ziel.
- Im Grunde geht er aus von der Suche nach dem Wahren, dem Guten und dem Gerechten für jeden Menschen, für jede Gruppe und jede Gesellschaft, sei es auf der Seite, mit der sich jemand solidarisiert, oder auch auf der sogenannten Gegenseite.
- Er verlangt also in erster Linie Offen-sein und Annehmen, das heißt, daß jeder seine Lage darlegt, aber auch die Darlegung der Situation, wie der andere sie gibt, anhört und aufrichtig nachfühlt, und zwar mit seinen Problemen, mit seinen Rechten, mit den Ungerechtigkeiten, die er empfindet, und den vernünftigen Lösungen, die er vorschlägt. Wie könnte sich Frieden einstellen, wenn eine der Seiten sich nicht einmal die Mühe macht, sich die Lebensbedingungen der anderen vor Augen zu halten?
- Dialog setzt also voraus, daß jeder auf dieses Anders-sein, diese Besonderheit des anderen eingeht, daß er genau erfaßt, inwieweit er sich vom anderen unterscheidet, und dem Rechnung trägt, auch wenn das zu Spannungen führen sollte. Dabei darf man natürlich nicht aus Feigheit oder Zwang das aufgeben, was man als wahr und gerecht erkennt; das gäbe einen schlechten Kompromiß. Erst recht darf man den anderen nicht zu einem Objekt machen; vielmehr ist er als ein Subjekt mit Verstand, Freiheit und Verantwortung zu achten.
- Dialog ist zugleich die Suche nach dem, was den Menschen immer gemeinsam ist - auch in Spannungen, Gegensätzen und Konflikten. In diesem Sinne macht er den anderen zum Nächsten. Er läßt dessen Beitrag annehmen, die Verantwortung vor Wahrheit und Gerechtigkeit mit ihm teilen. Er läßt alle sinnvollen Formeln einer ehrenhaften Verständigung vorschlagen und studieren und dabei die gerechte Verteidigung der Interessen und der Ehre der eigenen Seite verbinden mit dem von der Gerechtigkeit ebenso geforderten Verstehen und Achten .der Gründe der anderen sowie mit den Forderungen des beiden gemeinsamen allgemeinen Wohls. Wird es übrigens nicht immer deutlicher, daß sich alle Völker der Erde wirtschaftlich, politisch und kulturell in gegenseitiger Abhängigkeit befinden? Wer sich dieser Solidarität entziehen wollte, würde bald sich selber schaden.
- Schließlich ist der wahre Dialog die Suche nach dem Guten mit friedlichen Mitteln; er ist der unbeirrbare Wille, alle Möglichkeiten von Verhandlung, Vermittlung oder Schiedsspruch zu versuchen und das Verbindende über das Trennende und über den Haß siegen zu lassen. Er ist Anerkennung der unveräußerlichen Würde des Menschen. Er beruht auf der Achtung des menschlichen Lebens. Er setzt alles auf die Sozialnatur der Menschen, auf ihre Berufung, fortwährend unter wachsender Annäherung in Verstand, Wille und Herz gemeinsam unterwegs zu sein zu ihrem vom Schöpfer gegebenen Ziel: die Erde zu einer würdigen Heimat für alle zu machen.
Als politische Tugend geübt, würde ein solcher Dialog ganz gewiß Früchte des Friedens bringen. Mein verehrter Vorgänger Papst Paul VI. hat dem Dialog einen großen Abschnitt seiner ersten Enzyklika „Ecclesiam suam“ gewidmet. Er schrieb dort: „Wer einen Dialog beginnt..., der unparteiisch, objektiv und redlich ist, erklärt sich eben dadurch für einen freien und ehrenhaften Frieden. Verstellung, Rivalität, Trug und Verrat sind dabei ausgeschlossen“. (Vgl. AAS 56, 1964, S. 654). Diese Tugend des Dialogs verlangt von den verantwortlichen Politikern unserer Tage viel Klarheit, Redlichkeit und Mut - nicht nur anderen Völkern gegenüber, sondern auch gegenüber der öffentlichen Meinung ihres eigenen Volkes. Oft wird sie eine wahre Bekehrung voraussetzen. Aber es gibt angesichts der Kriegsgefahr keine andere Wahl. Und noch einmal: sie ist keine Illusion. Es wäre leicht, Zeitgenossen zu nennen, die sich in der praktischen Übung dieser Tugend ausgezeichnet haben.
Hindernisse für den Dialog, falsche Formen von Dialog
7. Es scheint mir hilfreich, nun gleichsam als Gegenstück einige besondere Schwierigkeiten zu nennen, die sich dem Friedensdialog entgegenstellen können. Ich meine hier nicht die Schwierigkeiten, die naturgemäß mit dem politischen Dialog gegeben sind, wie zum Beispiel die häufige Schwierigkeit, entgegengesetzte konkrete Interessen miteinander zu vereinbaren; oder jene andere, unzumutbare Lebensbedingungen bewußt zu machen, ohne daß man die andere Seite eines regelrechten Unrechts bezichtigen könnte. Ich denke vielmehr an das, was den normalen Dialogprozeß verhärtet. Ich gab schon zu verstehen, daß der Dialog blockiert wird durch die Vorentscheidung, kein Zugeständnis machen zu wollen, durch den Mangel an Zuhören, durch die Anmaßung, man selbst sei das alleinige Maß der Gerechtigkeit. Hinter dieser Haltung kann sich ganz einfach der blinde und taube Egoismus eines Volkes verbergen oder - häufiger - der Machtwille seiner Führer. Manchmal fällt sie übrigens mit einer übertriebenen und überholten Auffassung von der Souveränität und Sicherheit des Staates zusammen. Dieser droht dabei zum Objekt eines Kultes zu werden, der nicht mehr diskutiert werden darf und der die verwerflichsten Maßnahmen rechtfertigt. Gestützt auf die mächtigen Instrumente, über welche die Propaganda verfügt, kann dieser Kult - nicht zu verwechseln mit einer wohlverstandenen Vaterlandsliebe - das Urteilsvermögen und sittliche Empfinden auch der wachsten Bürger trüben und zum Krieg verführen. Erst recht ist hier die bewußte taktische Lüge zu nennen, welche die Sprache mißbraucht, raffinierteste Techniken der Propaganda einsetzt, den Dialog zu Fall bringt und die Aggressionen anheizt.
Solange schließlich heute manche Beteiligten von Ideologien leben, die allen Bekundungen zum Trotz im Widerspruch stehen zur Würde der menschlichen Person, zu ihren gerechten Ansprüchen nach den gesunden Prinzipien der Vernunft, des Naturrechts und des ewigen Gesetzes, von Ideologien, die im Kampf die Triebkraft der Geschichte sehen, in der Gewalt die Quelle des Rechts, in Feindbildern das Abc der Politik, solange verläuft der Dialog stockend und steril, oder ist, wenn er überhaupt nach stattfindet, in Wirklichkeit nur äußerlich und sinnentleert. Er wird dann äußerst schwierig, um nicht zu sagen, unmöglich. Eine weitgehende Kommunikationssperre zwischen den Ländern und Blöcken ist die Folge; sogar die internationalen Gremien sind gelähmt; das Scheitern des Dialogs droht zum Rüstungswettlauf zu führen.
Aber selbst beim Eindruck einer solchen Blockierung im Maße, wie sich die Beteiligten mit solchen Ideologien identifizieren, erscheint der Versuch eines vernünftigen Dialogs zur Entkrampfung der Situation und zur Arbeit an möglichen Friedensschritten in einzelnen Punkten immer noch notwendig. Dabei sollte man mit dem gesunden Empfinden rechnen, mit der Einsicht in die Gefahr für alle und mit den Idealen, welche großenteils die Völker selbst bewegen.
Der Dialog auf nationaler Ebene
8. Der Friedensdialog muß zunächst auf nationaler Ebene geführt werden. Er soll soziale Konflikte lösen und das Gemeinwohl fördern. Unter Achtung der Interessen der verschiedenen Gruppen ist durch den Dialog in der Ausübung der demokratischen Freiheiten und Pflichten aller ein dauerndes friedliches Zusammenwirken möglich, gestützt auf Strukturen der Beteiligung und auf vielfältige Instanzen des Ausgleichs zwischen Unternehmern und Arbeitern. Die kulturellen, völkischen und religiösen Gruppen, die eine Nation bilden, sind dabei zu beachten und einzubeziehen. Wo der Dialog zwischen Regierung und Volk unglücklicherweise fehlt, ist der soziale Frieden bedroht oder sogar abwesend; das ist wie ein Kriegszustand. Aber Geschichte und Gegenwart zeigen, daß es vielen Staaten gelang und immer wieder gelingt, sich wirkungsvolle Mittel des Dialogs zu schaffen und damit ein echtes und dauerhaftes Zusammenwirken zu erreichen, das die bei ihnen entstehenden Konflikte löst oder gar verhindert. Sie geben sich im übrigen Gesetze in stetiger Entwicklung, für deren Beachtung geeignete, dem Gemeinwohl entsprechende Behörden sorgen.
Der Dialog auf internationaler Ebene
9. Wenn sich der Dialog auf nationaler Ebene als fähig erwiesen hat, zu Ergebnissen zu führen, warum sollte es nicht auch auf internationaler Ebene so sein? Sicher, die Probleme sind dort komplizierter, die Beteiligten und die Interessen, um die es geht, sind zahlreicher und verschiedenartiger. Aber auch hierfür ist und bleibt der redliche und geduldige Dialog das vorrangige Mittel. Wo er zwischen den Nationen fehlt, muß man alles daransetzen, ihn zu beginnen. Wo er schwach ist, muß man ihn verbessern. Niemals dürfte man den Dialog abtun und sich zur Lösung von Konflikten der Gewalt der Waffen anvertrauen. Schwere Verantwortung liegt dabei nicht nur auf den sich feindlich gegenüberstehenden Parteien, deren Leidenschaften schwer zu meistern sind, sondern ebenso und noch mehr auf den mächtigeren Staaten, die jenen nicht helfen, den Dialog wieder aufzunehmen, sie geradezu zum Kriege drängen oder durch den Waffenhandel dazu verführen.
Dem Dialog zwischen den Nationen muß die starke Überzeugung zugrunde liegen, daß das Wohl eines Volkes letztlich nicht gegen das Wohl eines anderen Volkes zu erreichen ist. Alle haben ja dieselben Rechte, dieselben Ansprüche auf ein würdiges Leben für ihre Bürger. Wesentlich ist auch, weitere Fortschritte zu machen im Überbrücken der überkommenen künstlichen Klüfte und Gegensätze zwischen den Blöcken. Vor allem aber muß man der wachsenden gegenseitigen Abhängigkeit der Nationen Rechnung tragen.
Der Gegenstand des internationalen Dialogs
10. Wenn man den Gegenstand des internationalen Dialogs näher bestimmen will, so kann man sagen, daß er sich besonders auf die Menschenrechte, auf die Gerechtigkeit unter den Völkern, auf die Wirtschaft, die Abrüstung und das internationale Gemeinwohl beziehen muß.
So soll der Dialog darauf ausgerichtet sein, daß die Menschen und die menschlichen Gruppen in ihrer Besonderheit, in ihrer Ursprünglichkeit - mit dem dafür geforderten Freiraum - und vor allem in der Ausübung ihrer Grundrechte anerkannt werden. Man kann in dieser Hinsicht auf eine internationale Rechtsordnung hoffen, die auf den Hilferuf jener besser hört, deren in dieser Hinsicht auf eine internationale Rechtsordnung die über die wirksamen und geeigneten Mittel verfügt, um sich Achtung zu verschaffen.
Wenn Ungerechtigkeit in all ihren Formen die erste Quelle für Gewalt und Krieg ist, dann ist natürlich der Dialog für den Frieden grundsätzlich vom Dialog für die Gerechtigkeit nicht zu trennen, der zugunsten jener Völker geführt wird, die von anderen benachteiligt und beherrscht werden.
Der Dialog für den Frieden schließt mit moralischer Notwendigkeit auch eine Diskussion über die Regeln ein, die das Wirtschaftsleben bestimmen. Denn die Versuchung zu Gewalt und Krieg wird stets in den Gesellschaften vorhanden sein, in denen die Habgier und der Wettlauf um die materiellen Güter eine wohlhabende Minorität dazu bringen, der großen Mehrheit der Menschen die Erfüllung ihrer elementarsten Rechte auf Nahrung, Erziehung, Gesundheit und Leben zu verweigern (vgl. II. Vatikan. Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 69). Dies gilt auf der Ebene jedes einzelnen Landes, aber auch in den Beziehungen zwischen den Ländern, vor allem wenn die bilateralen Beziehungen vorherrschend bleiben. Hier ermöglicht die Öffnung zu multilateralen Beziehungen, besonders im Rahmen der internationalen Organisationen, einen Dialog, der weniger von Ungleichheit belastet ist und somit besser zur Gerechtigkeit führen kann.
Natürlich umfaßt der Gegenstand des internationalen Dialogs auch den gefährlichen Rüstungswettlauf mit dem Ziel, ihn schrittweise zu verringern, wie ich es in meiner Botschaft an die UNO im vergangenen Juni angeregt habe und wie es auch jener anderen Botschaft entspricht, welche die Gelehrten der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften in meinem Namen den Verantwortlichen der Nuklearmächte überreicht haben. Statt den Menschen zu dienen, richtet sich die Wirtschaft auf militärische Zielsetzungen aus. Entwicklung und Wohlstand werden der Sicherheit untergeordnet. Wissenschaft und Technik degradieren sich zu Gehilfen des Krieges. Der Heilige Stuhl wird nicht aufhören, mit Nachdruck auf die Notwendigkeit hinzuweisen, den Rüstungswettlauf durch fortschreitende Verhandlungen unter Wahrung der Gegenseitigkeit zu verlangsamen. Er wird weiter alle Schritte, selbst die kleinsten, ermutigen, die in diesem so entscheidenden Bereich einen vernünftigen Dialog bilden.
Der Gegenstand des Dialogs für den Frieden darf sich aber nicht auf die Anprangerung des Rüstungswettlaufs beschränken. Es geht vielmehr darum, eine gerechtere internationale Ordnung zu suchen, einen Konsens über die gleichmäßigere Verteilung der Güter, der Dienstleistungen, des Wissens und der Information sowie die feste Entschlossenheit herbeizuführen, all dies auf das Gemeinwohl hinzuordnen. Ich bin mir bewußt, daß ein solcher Dialog, zu dem auch der Nord-Süd-Dialog gehört, sehr komplex ist; er muß aber entschlossen fortgeführt werden, um die Bedingungen für einen wahren Frieden an der Schwelle des 3. Jahrtausends vorzubereiten.
Aufruf an die Verantwortlichen
11. Nach diesen Überlegungen möchte meine Botschaft vor allem ein Aufruf sein, die Herausforderung des Friedensdialogs anzunehmen.
Ich richte ihn zuerst an euch, die Leiter von Staaten und Regierungen! Ermöglicht, damit euer Volk einen wahren sozialen Frieden kenne, alle Bedingungen für den Dialog und für ein geordnetes Vorgehen, die - wenn einmal richtig verwirklicht - das Gemeinwohl der Nation in Freiheit und Unabhängigkeit nicht behindern, sondern es im Gegenteil auf lange Sicht hin fördern! Führt diesen Dialog mit den anderen Ländern von gleich zu gleich und helft den Konfliktparteien, die Wege des Dialogs, einer vernünftigen Aussöhnung und eines gerechten Friedens zu finden! Meinen Aufruf richte ich zugleich an euch Diplomaten, deren vornehme Aufgabe unter anderem darin besteht, die strittigen Fragen zu erörtern und sie durch Dialog und Verhandlungen zu lösen zu versuchen, um zu verhindern, daß man zu den Waffen greift, oder um an die Stelle der Militärs zu treten. Eine Arbeit von Geduld und Ausdauer, die der Heilige Stuhl um so mehr schätzt, als auch er diplomatische Beziehungen unterhält, in denen er sich darum bemüht, daß der Dialog als das geeignetste Mittel zur Überwindung der Schwierigkeiten angenommen wird. Vor allem möchte ich euch, den Verantwortlichen und Mitgliedern der internationalen Organisationen, und euch, die ihr in internationalen Gremien arbeitet, erneut mein Vertrauen bekunden! Im Lauf des letzten Jahrzehnts sind eure Organisationen allzu oft zum Gegenstand von Manipulationsversuchen durch Nationen geworden, die solche Einrichtungen auszunutzen trachten. Dennoch bieten die zahlreichen gegenwärtigen gewalttätigen Zusammenstöße, Spaltungen und Blockierungen, auf die die bilateralen Beziehungen stoßen, den großen internationalen Organisationen den Anlaß, in ihrer eigenen Tätigkeit eine qualitative Veränderung vorzunehmen, eventuell sogar in einigen Punkten ihre Strukturen zu erneuern, um so den neuen Realitäten Rechnung zu tragen und eine wirkliche Kraft zu werden. Seien eure Organisationen regional oder weltweit, sie haben eine außergewöhnliche Chance, die genutzt werden muß, nämlich jene Aufgabe in ihrer ganzen Fülle zurückzugewinnen, die ihnen von ihrem Ursprung, ihrer Charta und ihrem Mandat her zukommt: auf vorrangige Weise Ort und Instrument für einen wahren Friedensdialog zu werden. Statt sich von Pessimismus und Entmutigung bestimmen zu lassen, welche die Kräfte lahmen, haben sie die Möglichkeit, sich vielmehr als Orte der Begegnung zu erweisen, wo in kühnster Weise die Praktiken diskutiert werden können, die gegenwärtig in den politischen, wirtschaftlichen, monetären und kulturellen Beziehungen vorherrschen.
Ebenso richte ich einen besonderen Aufruf an euch, die ihr in den Massenmedien arbeitet! Die schmerzlichen Ereignisse, die die Welt in der letzten Zeit erlebt hat, haben die Bedeutung einer gut orientierten öffentlichen Meinung dafür bekräftigt, daß ein Konflikt nicht in einen Krieg ausartet. Denn die öffentliche Meinung kann kriegerische Bestrebungen bändigen oder im Gegenteil diese bis zur Verblendung steigern. Als Gestalter von Radio- und Fernsehsendungen sowie von Zeitungen spielt ihr in diesem Bereich eine immer einflußreichere Rolle. Ich ermutige euch, das Gewicht eurer Verantwortung zu sehen und die Rechte und Probleme und die Einstellung jeder Seite mit größter Objektivität aufzuzeigen, um dadurch das Verständnis und den Dialog unter den Gruppen, den Ländern und den Kulturen zu fördern.
Schließlich muß ich mich an jeden einzelnen Mann und an jede einzelne Frau sowie auch an euch Jugendliche wenden: Ihr habt vielfältige Gelegenheiten, die Barrieren des Egoismus, des Unverständnisses und der Aggression durch die Art und Weise abzubauen, wie ihr täglich den Dialog pflegt in euren Familien, eurem Dorf, eurem Wohnviertel, in den Vereinen eurer Stadt, eurer Region, wobei ich die nichtstaatlichen Organisationen eigens erwähnen möchte. Der Friedensdialog ist die Aufgabe aller.
Besondere Beweggründe für den Christen, die Herausforderung des Friedensdialogs anzunehmen
12. Und nun ermahne ich besonders euch Christen, euch entsprechend eurer jeweiligen Verantwortung an diesem Dialog voll zu beteiligen, ihn im Geist der Bereitschaft, der Freimütigkeit und der Gerechtigkeit, den die Liebe Christi verlangt, fortzusetzen und ihn mit Ausdauer und Hoffnung, die euch der Glaube möglich macht, immer wieder neu aufzugreifen. Ihr wißt auch um die Notwendigkeit der Bekehrung und des Gebetes; denn das Haupthindernis für die Verwirklichung von Gerechtigkeit und Frieden findet sich im Herzen des Menschen, in der Sünde (vgl. Gaudium et spes, Nr. 10), so wie im Herzen des Kain, der sich dem Dialog mit seinem Bruder Abel verweigert hat (vgl. Gen 4, 6-9). Jesus hat uns gelehrt, wie wir hören und teilen und auch für die anderen das tun sollen, was wir für uns selbst wünschen, ferner wie wir die Differenzen beilegen sollen, solange wir noch zusammen auf dem Wege sind (vgl. Mt 5, 25) und wie wir verzeihen sollen. Vor allem aber, er ist gekommen, um uns durch seinen Tod und seine Auferstehung von der Sünde zu befreien, die sich uns entgegenstellt, uns seinen Frieden zu geben und die Mauer niederzureißen, die die Völker trennt. Aus diesem Grund hört die Kirche nicht auf, den Herrn darum zu bitten, daß er den Menschen seinen Frieden schenke, wie es die Botschaft des letzten Jahres hervorgehoben hat. Die Menschen sind jetzt nicht mehr dazu verurteilt, einander unverständlich gegenüberzustehen oder sich sogar zu entzweien wie in Babel (vgl. Gen 11, 7-9). Beim Pfingstfest in Jerusalem läßt der Heilige Geist die ersten Jünger des Herrn, ungeachtet der Verschiedenheit ihrer Sprache, den königlichen Weg des Friedens in der Brüderlichkeit wiederfinden. Die Kirche bleibt der Zeuge für diese große Hoffnung.
Mögen die Christen sich immer mehr ihrer Berufung bewußt werden, gegen Sturm und Brandung die demütigen Hirten jenes Friedens zu sein, den Gott den Menschen in der Weihnacht anvertraut hat.
Mögen zusammen mit ihnen alle Menschen guten Willens diese Herausforderung für unsere Zeit annehmen, selbst in schwierigsten Situationen alles zu tun, um den Krieg zu vermeiden und sich darum mit wachsender Überzeugung für den Weg einzusetzen, auf dem die Bedrohung abgewendet werden kann: den Dialog für den Frieden!
Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 1982.