Botschaft zum Weltfriedenstag 2010
BOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT PAPST BENEDIKT XVI. ZUR FEIER DES WELTFRIEDENSTAGES
1. JANUAR 2010
WILLST DU DEN FRIEDEN FÖRDERN, SO BEWAHRE DIE SCHÖPFUNG
1. Zu Beginn des Neuen Jahres möchte ich allen christlichen Gemeinschaften, den Verantwortlichen der Nationen und den Menschen guten Willens in aller Welt aus ganzem Herzen den Frieden wünschen. Für den 43. Weltfriedenstag habe ich das Motto gewählt: Willst du den Frieden fördern, so bewahre die Schöpfung. Der Achtung vor der Schöpfung kommt große Bedeutung zu, auch deshalb, weil »die Schöpfung der Anfang und die Grundlage aller Werke Gottes«[1] ist und sich ihr Schutz für das friedliche Zusammenleben der Menschheit heute als wesentlich erweist. Aufgrund der Grausamkeit des Menschen gegen den Menschen gibt es in der Tat zahlreiche Gefährdungen, die den Frieden und die authentische ganzheitliche Entwicklung des Menschen bedrohen, wie Kriege, internationale und regionale Konflikte, Terrorakte und Menschenrechtsverletzungen. Nicht weniger besorgniserregend sind jedoch jene Gefahren, die vom nachlässigen – wenn nicht sogar mißbräuchlichen – Umgang mit der Erde und den Gütern der Natur herrühren, die uns Gott geschenkt hat. Darum ist es für die Menschheit unerläßlich, »jenen Bund zwischen Mensch und Umwelt zu erneuern und zu stärken, der ein Spiegel der Schöpferliebe Gottes sein soll – des Gottes, in dem wir unseren Ursprung haben und zu dem wir unterwegs sind«.[2]
2. In der Enzyklika Caritas in veritate habe ich unterstrichen, daß die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in enger Verbindung mit den Pflichten steht, die sich aus der Beziehung des Menschen zu Umwelt und Natur ergeben. Die Umwelt muß als eine Gabe Gottes an alle verstanden werden, und ihr Gebrauch bringt eine Verantwortung gegenüber der ganzen Menschheit mit sich, insbesondere gegenüber den Armen und gegenüber den zukünftigen Generationen. Ich habe zudem darauf hingewiesen, daß in den Gewissen der Menschen das Verantwortungsbewußtsein abzunehmen droht, wenn die Natur und allem voran der Mensch einfach als Produkt des Zufalls oder des Evolutionsdeterminismus angesehen werden.[3] Wenn wir in der Schöpfung hingegen eine Gabe Gottes an die Menschheit sehen, so hilft uns das, die Berufung und den Wert des Menschen zu verstehen. Mit dem Psalmisten können wir in der Tat voll Staunen ausrufen: »Seh’ ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst, des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst?« (Ps 8, 4-5). Die Betrachtung der Schönheit der Schöpfung spornt dazu an, die Liebe des Schöpfers zu erkennen, jene Liebe, welche »die Sonne und die übrigen Sterne bewegt«.[4]
3. Vor zwanzig Jahren hat Papst Johannes Paul II. die Botschaft zum Weltfriedenstag dem Thema Friede mit Gott, dem Schöpfer, Friede mit der ganzen Schöpfung gewidmet und damit die Aufmerksamkeit auf die Beziehung gelenkt, die wir als Geschöpfe Gottes mit all dem haben, was uns umgibt. »In unseren Tagen bemerkt man«, schrieb er, »ein wachsendes Bewußtsein dafür, daß der Weltfriede ... auch durch den Mangel an der gebührenden Achtung gegenüber der Natur ... bedroht ist«. Und er fügte hinzu, daß das Umweltbewußtsein »nicht geschwächt werden darf, sondern vielmehr gefördert werden muß, so daß es sich entwickelt und reift und in Programmen und konkreten Initiativen einen angemessenen Ausdruck findet«.[5] Schon andere meiner Vorgänger haben auf die Beziehung zwischen dem Menschen und der Umwelt verwiesen. Im Jahre 1971 zum Beispiel, anläßlich des 80. Jahrestages der Enzyklika Rerum Novarum von Papst Leo XIII., hat Papst Paul VI. hervorgehoben, daß die Menschen »die Natur so unbedacht ausgeschlachtet haben, daß Gefahr besteht, sie zu zerstören, und daß der in solchem Mißbrauch liegende Schaden wieder auf sie selbst zurückfällt«. Und er führte weiter aus: »Aber nicht nur die Umwelt des Menschen wird für diesen stets feindlicher, wie zum Beispiel Umweltverschmutzung und Abfälle, neue Krankheiten, totale Vernichtungsgewalt. Der Mensch hat auch die menschliche Gesellschaft selbst nicht mehr im Griff, so daß er für seine Zukunft Lebensbedingungen herbeiführen kann, die für ihn ganz und gar unerträglich sind. Es handelt sich um die Soziale Frage, die so weite Dimensionen hat, daß sie die gesamte Menschheitsfamilie erfaßt«.[6]
4. Auch wenn die Kirche es vermeidet, sich zu spezifischen fachlichen Lösungen zu äußern, so bemüht sie sich als »Expertin in Menschlichkeit«, mit aller Kraft die Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen dem Schöpfer, dem Menschen und der Schöpfung zu lenken. Papst Johannes Paul II. hat 1990 von einer »Umweltkrise« gesprochen, und unter dem Hinweis, daß diese in erster Linie ethischer Natur sei, hob er »die dringende moralische Notwendigkeit einer neuen Solidarität«[7] hervor. Dieser Aufruf ist heute angesichts der zunehmenden Zeichen einer Krise noch dringlicher, und es wäre unverantwortlich, dieser Krise keine ernsthafte Beachtung zu schenken. Wie könnte man gleichgültig bleiben angesichts von Phänomenen wie dem globalen Klimawandel, der Desertifikation, der Abnahme und dem Verlust der Produktivität von großen landwirtschaftlichen Gebieten, der Verschmutzung von Flüssen und Grundwasser, dem Verlust der Biodiversität, der Zunahme von außergewöhnlichen Naturereignissen und der Abholzung in tropischen Gebieten. Wie könnte man das wachsende Phänomen der sogenannten »Umweltflüchtlinge« übergehen: Menschen, die aufgrund der Umweltschäden ihre Wohngebiete – oft auch ihr Hab und Gut – verlassen müssen und danach den Gefahren und der ungewissen Zukunft einer zwangsmäßigen Umsiedlung ausgesetzt sind? Wie könnte man untätig bleiben angesichts der schon bestehenden und der drohenden Konflikte um den Zugang zu den natürlichen Ressourcen? All diese Fragen haben einen weitreichenden Einfluß auf die Umsetzung der Menschenrechte, wie zum Beispiel das Recht auf Leben, auf Nahrung, Gesundheit und Entwicklung.
5. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß die Umweltkrise nicht unabhängig von anderen Fragen bewertet werden kann, die mit ihr verknüpft sind, da sie eng mit dem Entwicklungsbegriff selbst und mit der Sicht des Menschen und seiner Beziehung zu seinen Mitmenschen und zur Schöpfung zusammenhängt. Daher ist es sinnvoll, eine tiefgehende und weitblickende Prüfung des Entwicklungsmodells vorzunehmen sowie über den Sinn der Wirtschaft und über ihre Ziele nachzudenken, um Mißstände und Verzerrungen zu korrigieren. Das verlangen der ökologische Zustand des Planeten sowie auch und vor allem die kulturelle und moralische Krise des Menschen, deren Symptome schon seit längerer Zeit in allen Teilen der Welt offensichtlich sind.[8] Die Menschheit braucht eine tiefe kulturelle Erneuerung; sie muß jene Werte wiederentdecken, die ein festes Fundament darstellen, auf dem eine bessere Zukunft für alle aufgebaut werden kann. Die Krisensituationen, die sie heute erlebt – sei es im Bereich der Wirtschaft, in der Nahrungsmittelversorgung, der Umwelt oder der Gesellschaft –, sind im Grunde genommen auch moralische Krisen, die alle miteinander verknüpft sind. Sie machen eine Neuplanung des gemeinsamen Wegs der Menschen notwendig. Sie erfordern insbesondere eine durch Maßhalten und Solidarität gekennzeichnete Lebensweise mit neuen Regeln und Formen des Einsatzes, die zuversichtlich und mutig die positiven Erfahrungen aufgreifen und die negativen entschieden zurückweisen. Nur so kann die derzeitige Krise Gelegenheit zur Unterscheidung und zu einem neuen Planen werden.
6. Stimmt es etwa nicht, daß am Ursprung dessen, was wir in einem kosmischen Sinn »Natur« nennen, ein »Plan der Liebe und der Wahrheit« steht? Die Welt »ist nicht das Ergebnis irgendeiner Notwendigkeit, eines blinden Schicksals oder des Zufalls. ... Sie geht aus dem freien Willen Gottes hervor, der die Geschöpfe an seinem Sein, seiner Weisheit und Güte teilhaben lassen wollte«.[9] Das Buch Genesis stellt uns auf seinen ersten Seiten das weise Projekt des Kosmos vor Augen, das eine Frucht der Gedanken Gottes ist und an dessen Spitze Mann und Frau stehen, die als Abbild des Schöpfers und ihm ähnlich geschaffen wurden, damit sie »die Erde bevölkern« und über diese als von Gott selbst eingesetzte »Verwalter« »herrschen« (vgl. Gen 1, 28). Die von der Heiligen Schrift beschriebene Harmonie zwischen Gott, der Menschheit und der Schöpfung wurde durch die Sünde Adams und Evas zerbrochen, durch die Sünde des Mannes und der Frau, die die Stelle Gottes einnehmen wollten und sich weigerten, sich als seine Geschöpfe zu sehen. Konsequenz dessen ist, daß auch die Aufgabe, über die Erde zu »herrschen«, sie zu »bebauen« und zu »hüten«, Schaden genommen hat und es zu einem Konflikt zwischen ihnen und der übrigen Schöpfung gekommen ist (vgl. Gen 3, 17-19). Der Mensch hat sich vom Egoismus beherrschen lassen und die Bedeutung von Gottes Gebot aus dem Blick verloren, und in seiner Beziehung zur Schöpfung hat er sich wie ein Ausbeuter verhalten, der über sie eine absolute Dominanz ausüben will. Die wahre Bedeutung des anfänglichen Gebots Gottes bestand aber, wie es das Buch Genesis deutlich zeigt, nicht bloß in einer Übertragung von Autorität, sondern vielmehr in einer Berufung zur Verantwortung. Übrigens erkannte die Weisheit der Antike, daß die Natur uns nicht wie »ein Haufen von zufällig verstreutem Abfall«[10] zur Verfügung steht, während uns die biblische Offenbarung verstehen ließ, daß die Natur eine Gabe des Schöpfers ist, der ihr eine innere Ordnung gegeben hat, damit der Mensch darin die notwendigen Orientierungen finden kann, um sie »zu bebauen und zu hüten« (vgl. Gen 2, 15).[11] Alles, was existiert, gehört Gott, der es den Menschen anvertraut hat, aber nicht zu ihrer willkürlichen Verfügung. Wenn der Mensch nicht seine Rolle als Mitarbeiter Gottes erfüllen, sondern die Stelle Gottes einnehmen will, ruft er dadurch schließlich die Auflehnung der Natur hervor, die von ihm »mehr tyrannisiert als verwaltet wird«.[12] Der Mensch hat also die Pflicht, in verantwortlicher Weise über die Natur zu herrschen, sie zu hüten und zu bebauen.[13]
7. Leider muß man feststellen, daß eine große Zahl von Personen in verschiedenen Ländern und Regionen der Erde aufgrund der Nachlässigkeit oder Verweigerung vieler, verantwortungsbewußt mit der Natur umzugehen, wachsende Schwierigkeiten erfährt. Das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil hat daran erinnert, daß »Gott die Erde und was sie enthält zum Gebrauch für alle Menschen und Völker bestimmt hat«.[14] Das Schöpfungserbe gehört somit der gesamten Menschheit. Dagegen bringt das derzeitige Tempo der Ausbeutung die Verfügbarkeit einiger natürlicher Ressourcen nicht nur für die gegenwärtige, sondern vor allem für die zukünftigen Generationen in Gefahr.[15] Es ist dann nicht schwer festzustellen, daß die Umweltschäden oft ein Ergebnis des Fehlens weitblickender politischer Programme oder auch der Verfolgung kurzsichtiger wirtschaftlicher Interessen sind, die sich leider zu einer ernsten Bedrohung für die Schöpfung entwickeln. Um diesem Phänomen auf der Grundlage der Tatsache, daß »jede wirtschaftliche Entscheidung eine moralische Konsequenz«[16] hat, zu begegnen, ist es auch nötig, daß die wirtschaftlichen Aktivitäten um so mehr auf die Umwelt Rücksicht nehmen. Wenn man sich der natürlichen Ressourcen bedient, muß man sich um ihre Bewahrung kümmern, indem man auch die Kosten – was die Umwelt und den Sozialbereich betrifft – veranschlagt und als eine wesentliche Position der Kosten der wirtschaftlichen Aktivität selbst bewertet. Es kommt der internationalen Gemeinschaft und den nationalen Regierungen zu, rechte Signale zu setzen, um effektiv jenen Modalitäten der Nutzung der Umwelt entgegenzutreten, die sich als umweltschädigend erweisen. Um die Umwelt zu schützen und die Ressourcen und das Klima zu bewahren, muß man einerseits unter Beachtung von – auch unter rechtlichem und wirtschaftlichem Gesichtspunkt – recht definierten Normen handeln, und andererseits die Solidarität im Blick haben, die denen, die in den ärmsten Gebieten der Erde leben, wie auch den zukünftigen Generationen geschuldet ist.
8. In der Tat scheint es an der Zeit, zu einer aufrichtigen Generationen übergreifenden Solidarität zu gelangen. Die Kosten, die sich aus dem Gebrauch der allgemeinen Umweltressourcen ergeben, dürfen nicht zu Lasten der zukünftigen Generationen gehen: »Erben unserer Väter und Beschenkte unserer Mitbürger, sind wir allen verpflichtet, und jene können uns nicht gleichgültig sein, die nach uns den Kreis der Menschheitsfamilie weiten. Die Solidarität aller, die etwas Wirkliches ist, bringt für uns nicht nur Vorteile mit sich, sondern auch Pflichten. Es handelt sich um eine Verantwortung, die die gegenwärtigen für die zukünftigen Generationen übernehmen müssen und die auch eine Verantwortung der einzelnen Staaten und der internationalen Gemeinschaft ist«.[17] Der Gebrauch natürlicher Ressourcen müßte dergestalt sein, daß die unmittelbaren Vorteile nicht negative Folgen für die Menschen und andere Lebewesen in Gegenwart und Zukunft mit sich bringen; daß der Schutz des Privateigentums nicht den universalen Bestimmungszweck der Güter beeinträchtigt;[18] daß der Eingriff des Menschen nicht die Fruchtbarkeit der Erde gefährdet – zum Wohl der Welt heute und morgen. Neben einer aufrichtigen Generationen übergreifenden Solidarität muß die dringende moralische Notwendigkeit einer erneuerten Solidarität innerhalb einer Generation, besonders in den Beziehungen zwischen den Entwicklungsländern und den hochindustrialisierten Staaten, betont werden: »Die internationale Gemeinschaft hat die unumgängliche Aufgabe, die institutionellen Wege zu finden, um der Ausbeutung der nicht erneuerbaren Ressourcen Einhalt zu gebieten, und das auch unter Einbeziehung der armen Länder, um mit ihnen gemeinsam die Zukunft zu planen«.[19] Die ökologische Krise zeigt die Dringlichkeit einer Solidarität auf, die sich über Raum und Zeit erstreckt. Es ist in der Tat wichtig, unter den Ursachen der aktuellen ökologischen Krise die historische Verantwortung der Industrieländer zuzugeben. Aber die Entwicklungsländer und besonders die Schwellenländer sind dennoch nicht von der eigenen Verantwortung gegenüber der Schöpfung befreit, weil die Verpflichtung, Schritt für Schritt wirksame umweltpolitische Maßnahmen zu ergreifen, allen zukommt. Dies könnte leichter verwirklicht werden, wenn es weniger eigennützige Rechnungen bei den Hilfeleistungen sowie in der Weitergabe von Wissen und sauberen Technologien gäbe.
9. Zweifellos besteht einer der grundlegenden Kernpunkte, die von der internationalen Gemeinschaft anzugehen sind, darin, für die energetischen Ressourcen gemeinsame und vertretbare Strategien zu finden, um dem Energiebedarf der gegenwärtigen und der zukünftigen Generationen Genüge zu leisten. Zu diesem Zweck müssen die technologisch fortgeschrittenen Gesellschaften bereit sein, Verhaltensweisen zu fördern, die von einem Maßhalten geprägt sind, indem sie den eigenen Energiebedarf reduzieren und die Nutzungsbedingungen verbessern. Zugleich ist es notwendig, die Erforschung und Anwendung von umweltverträglicheren Energien und die »weltweite Neuverteilung der Energiereserven« zu fördern, »so daß auch die Länder, die über keine eigenen Quellen verfügen, dort Zugang erhalten können«.[20] Die ökologische Krise bietet daher die historische Gelegenheit, eine kollektive Antwort zu erarbeiten, die darauf abzielt, das Modell globaler Entwicklung in eine Richtung zu lenken, die der Schöpfung und einer ganzheitlichen Entwicklung des Menschen größeren Respekt zollt, weil es sich an den typischen Werten der Nächstenliebe in der Wahrheit orientiert. Ich erhoffe deshalb die Annahme eines Entwicklungsmodells, das auf der Zentralität der menschlichen Person gegründet ist, auf der Förderung des gemeinsamen Wohls und der Teilhabe daran, auf der Verantwortlichkeit, auf dem Bewußtsein der notwendigen Änderung des Lebensstils und auf der Klugheit, jener Tugend, welche die heute auszuführenden Handlungen anzeigt mit Rücksicht darauf, was morgen geschehen kann.[21]
10. Um die Menschheit zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Umwelt und der Ressourcen der Erde zu führen, ist der einzelne dazu berufen, seine Intelligenz im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Technologie sowie in der Anwendung der daraus resultierenden Entdeckungen einzusetzen. Die »neue Solidarität«, die Papst Johannes Paul II. in der Weltfriedensbotschaft von 1990 [22] anmahnte, und die »weltweite Solidarität«, die ich selbst in der Weltfriedensbotschaft von 2009 [23] in Erinnerung gerufen habe, erweisen sich als grundlegende Haltungen, um den Einsatz für die Erhaltung der Schöpfung durch ein System des Gebrauchs der Ressourcen der Erde, welches auf internationaler Ebene besser koordiniert wird, zu lenken. Dies gilt vor allem für die augenblickliche Situation, in der in immer deutlicherer Weise die starke Wechselbeziehung zum Vorschein kommt, die zwischen der Bekämpfung von Umweltschäden und der Förderung der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen besteht. Es handelt sich um eine unabdingbare Dynamik, insofern »die volle Entwicklung nur in einer solidarischen Entwicklung der Menschheit geschehen«[24] kann. Mit den vielen wissenschaftlichen Möglichkeiten und den potentiellen innovativen Prozessen, die es heute gibt, können befriedigende Lösungen geliefert werden, welche die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt harmonisch gestalten. Zum Beispiel ist es nötig, die Forschungen zu fördern, die darauf abzielen, die wirksamsten Modalitäten zur Nutzung der großen Kapazität der Solarenergie zu ermitteln. Ebenso ist die Aufmerksamkeit auf die mittlerweile weltweite Problematik des Wassers und auf das globale hydrogeologische System zu richten, dessen Kreislauf von primärer Bedeutung für das Leben auf der Erde ist und dessen Stabilität durch klimatische Veränderungen stark bedroht wird. Gleichermaßen sind geeignete Strategien der ländlichen Entwicklung zu suchen, welche die Kleinbauern und ihre Familien in den Mittelpunkt stellen. Es ist auch nötig, geeignete Maßnahmen zur Bewirtschaftung der Wälder wie auch zur Abfallentsorgung bereitzustellen und die vorhandenen Synergien zwischen den Maßnahmen gegen den Klimawandel und der Armutsbekämpfung zur Geltung zu bringen. Hierzu sind engagierte nationale Maßnahmen notwendig, und diese sind durch einen unerläßlichen internationalen Einsatz zu ergänzen, der vor allem mittel- und langfristig bedeutende Vorteile mit sich bringen wird. Insgesamt ist es erforderlich, die Logik des bloßen Konsums hinter sich zu lassen, um landwirtschaftliche und industrielle Produktionsformen zu fördern, die die Schöpfungsordnung achten und den primären Bedürfnissen aller Rechnung tragen. Die ökologische Frage ist nicht nur im Hinblick auf die fürchterlichen Perspektiven anzugehen, die sich durch die Umweltschäden am Horizont abzeichnen. Sie muß vor allem von der Suche nach einer echten Solidarität in weltweitem Umfang getragen sein, die durch die Werte der Liebe, der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls inspiriert wird. Im übrigen habe ich bereits daran erinnert, daß »die Technik niemals nur Technik ist. Sie zeigt den Menschen und sein Streben nach Entwicklung, sie ist Ausdruck der Spannung des menschlichen Geistes bei der schrittweisen Überwindung gewisser materieller Bedingtheiten. Die Technik fügt sich daher in den Auftrag ein, „die Erde zu bebauen und zu hüten“ (vgl. Gen 2, 15), den Gott dem Menschen erteilt hat, und muß darauf ausgerichtet sein, jenen Bund zwischen Mensch und Umwelt zu stärken, der Spiegel der schöpferischen Liebe Gottes sein soll«.[25]
11. Es zeigt sich immer deutlicher, daß das Thema der Umweltverschmutzung das Verhalten eines jeden von uns sowie die heute gängigen Lebensstile und Modelle des Konsums und der Produktion, die oft aus sozialer Sicht, aus Umweltschutzgründen und sogar aus wirtschaftlichen Überlegungen untragbar sind, zur Rechenschaft ruft. Es ist mittlerweile unerläßlich, daß es zu einem tatsächlichen Umdenken kommt, das alle zur Annahme neuer Lebensweisen führt, »in denen die Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten und die Verbundenheit mit den anderen für ein gemeinsames Wachstum jene Elemente sind, die die Entscheidungen für Konsum, Sparen und Investitionen bestimmen«.[26] Es muß immer mehr dazu erzogen werden, den Frieden durch weitsichtige Optionen auf persönlicher, familiärer, gemeinschaftlicher und politischer Ebene zu fördern. Wir alle sind für den Schutz und die Bewahrung der Schöpfung verantwortlich. Diese Verantwortung kennt keine Einschränkungen. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips ist es bedeutsam, daß sich jeder auf der ihm entsprechenden Ebene dafür einsetzt, daß das Übergewicht der Partikularinteressen überwunden wird. Eine Aufgabe der Sensibilisierung und der Schulung kommt besonders den verschiedenen Einrichtungen der Zivilgesellschaft und den Nicht-Regierungs-Organisationen zu, die sich entschieden und großzügig für die Verbreitung einer ökologischen Verantwortung einsetzen. Diese müßte immer mehr in der Achtung der »Humanökologie« verankert sein. Es sei auch an die Verantwortung der Medien in diesem Bereich erinnert, die positive Beispiele als Anregung vorstellen können. Der Einsatz für die Umwelt erfordert also eine weite und globale Sicht der Welt; eine gemeinsame und verantwortungsvolle Anstrengung, um von einer auf das selbstsüchtige nationalistische Interesse konzentrierten Denkweise zu einer Vision zu gelangen, die stets die Bedürfnisse aller Völker in den Blick nimmt. Wir können gegenüber dem, was um uns geschieht, nicht gleichgültig bleiben; denn die Schädigung irgendeines Teils des Planeten würde auf alle zurückfallen. Die Beziehungen zwischen den Personen, den gesellschaftlichen Gruppen und den Staaten, sowie jene zwischen Mensch und Umwelt, müssen sich den Stil der Achtung und der »Liebe in der Wahrheit« aneignen. In diesem weiten Zusammenhang ist es um so wünschenswerter, daß die Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaft umgesetzt und erwidert werden, welche auf eine fortschreitende Abrüstung und auf eine Welt ohne Atomwaffen abzielen, die schon allein durch ihr Vorhandensein das Leben des Planeten und den Prozeß der ganzheitlichen Entwicklung der Menschheit in Gegenwart und Zukunft bedrohen.
13. Die Kirche trägt Verantwortung für die Schöpfung und ist sich bewußt, daß sie diese auch auf politischer Ebene ausüben muß, um die Erde, das Wasser und die Luft als Gaben Gottes, des Schöpfers, für alle zu bewahren und vor allem um den Menschen vor der Gefahr der Selbstzerstörung zu schützen. Die Schädigung der Natur hängt nämlich eng mit der Kultur zusammen, die das Zusammenleben der Menschen prägt; denn »wenn in der Gesellschaft die „Humanökologie“ respektiert wird, profitiert davon auch die Umweltökologie«.[27] Man kann von den jungen Menschen nicht verlangen, daß sie vor der Umwelt Achtung haben sollen, wenn ihnen in der Familie und in der Gesellschaft nicht geholfen wird, vor sich selbst Achtung zu haben: Das Buch der Natur ist einmalig sowohl bezüglich der Umwelt wie der persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Ethik.[28] Die Pflichten gegenüber der Umwelt leiten sich von den Pflichten gegenüber der Person an sich und in ihren Beziehungen zu den anderen ab. Ich ermutige daher gerne zu einer Erziehung zu einem Umweltbewußtsein, das, wie ich in der Enzyklika Caritas in veritate geschrieben habe, eine authentische »Humanökologie« einschließt und folglich mit erneuerter Überzeugung sowohl die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens in jeder Phase und jeder Lage wie auch die Würde des Menschen und die unerläßliche Aufgabe der Familie, in der zur Nächstenliebe und zur Schonung der Natur erzogen wird, bekräftigt.[29] Das menschliche Erbe der Gesellschaft muß bewahrt werden. Dieser Schatz von Werten hat seinen Ursprung und seinen Rahmen im natürlichen Sittengesetz, das der Achtung vor dem Menschen und vor der Schöpfung zugrunde liegt.
13. Es darf schließlich nicht die vielsagende Tatsache vergessen werden, daß sehr viele Menschen Ruhe und Frieden finden und sich erneuert und gestärkt fühlen, wenn sie in enger Berührung mit der Schönheit und mit der Harmonie der Natur sind. Es besteht daher eine Art gegenseitiger Austausch: Wenn wir für die Schöpfung sorgen, erfahren wir, daß Gott durch die Natur auch für uns sorgt. Andererseits führt eine korrekte Sicht der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt nicht dazu, die Natur zu verabsolutieren oder sie für wichtiger als den Menschen selbst zu halten. Wenn das Lehramt der Kirche gegenüber einer Sicht der Umwelt, die vom Öko- und vom Biozentrismus geprägt ist, Befremden äußert, so tut sie dies, weil eine solche Sicht den Seins- und Wertunterschied zwischen der menschlichen Person und den übrigen Lebewesen eliminiert. Damit wird de facto die höhere Identität und Rolle des Menschen verneint und einer egalitären Sicht der »Würde« aller Lebewesen Vorschub geleistet. Das öffnet einem neuen Pantheismus mit neuheidnischen Akzenten, die das Heil des Menschen allein von einer rein naturalistisch verstandenen Natur herleiten, die Türen. Die Kirche lädt hingegen dazu ein, die Frage auf sachliche Weise anzugehen, in der Achtung der »Grammatik«, die der Schöpfer seinem Werk eingeschrieben hat, indem er dem Menschen die Rolle eines Hüters und verantwortungsvollen Verwalters der Schöpfung übertragen hat. Diese Rolle darf der Mensch gewiß nicht mißbrauchen, aber auch nicht von sich weisen. Denn die gegenteilige Position der Verabsolutierung der Technik und der menschlichen Macht wird letztendlich nicht nur zu einem schweren Angriff auf die Natur, sondern auch auf die Würde des Menschen selbst.[30]
14. Willst du den Frieden fördern, so bewahre die Schöpfung. Das Streben nach Frieden seitens aller Menschen guten Willens wird gewiß dadurch erleichtert, daß sie gemeinsam die untrennbare Beziehung zwischen Gott, den Menschen und der ganzen Schöpfung anerkennen. Von der göttlichen Offenbarung geleitet und im Einklang mit der Tradition der Kirche leisten die Christen dazu ihren Beitrag. Sie sehen den Kosmos und seine Wunder im Licht des Schöpfungswerks des Vaters und des Erlösungswerks Christi, der mit seinem Tod und seiner Auferstehung »alles im Himmel und auf Erden« (Kol 1, 20) mit Gott versöhnt hat. Der gekreuzigte und auferstandene Christus hat der Menschheit die Gabe seines heiligmachenden Geistes geschenkt, der den Lauf der Geschichte leitet in Erwartung des Tages, an dem mit der Wiederkunft des Herrn in Herrlichkeit »ein neuer Himmel und eine neue Erde« (2 Petr 3, 13) hervortreten werden, in denen für immer die Gerechtigkeit und der Friede wohnen. Natur und Umwelt zu schützen, um eine Welt des Friedens aufzubauen, ist daher Pflicht eines jeden Menschen. Es ist eine dringende Herausforderung, die mit einem erneuerten und von allen mitgetragenen Einsatz angegangen werden muß; es ist eine willkommene Gelegenheit, um den zukünftigen Generationen die Perspektive einer besseren Zukunft für alle zu geben. Dessen mögen sich die Verantwortlichen der Nationen bewußt sein und alle auf jeder Ebene, denen das Los der Menschheit am Herzen liegt: Die Bewahrung der Schöpfung und die Verwirklichung des Friedens sind eng miteinander verbunden! Darum lade ich alle Gläubigen ein, mit Eifer zu Gott, dem allmächtigen Schöpfer und barmherzigen Vater, zu beten, damit im Herzen jedes Menschen dieser nachdrückliche Appell Widerhall finde, angenommen und gelebt werde: Willst du den Frieden fördern, so bewahre die Schöpfung.
Aus dem Vatikan, am 8. Dezember 2009
BENEDICTUS PP. XVI
[1] Katechismus der Katholischen Kirche, 198.
[2] Benedikt XVI., Botschaft zum Weltfriedenstag 2008, 7.
[3] Vgl. Nr. 48.
[4] Dante Alighieri, Göttliche Komödie, Paradies, XXXIII, 145.
[5] Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 1.
[6] Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens, 21.
[7] Botschaft zum Weltfriedenstag 1990, 10.
[8] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate, 32.
[9] Katechismus der katholischen Kirche, 295.
[10] Heraklit von Ephesus (ca. 535 - 475 v. Chr.), Fragment 22B124, in: H. Diels – W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, Weidmann, Berlin 19526.
[11] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate, 48.
[12] Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 37.
[13] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate, 50.
[14] Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 69.
[15] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis, 34.
[16] Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate, 37.
[17] Päpstlicher Rat für Gerechtigkeit und Frieden, Kompendium der Soziallehre der Kirche, 467;vgl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 17.
[18] Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 30-31.43.
[19] Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate, 49.
[20] Ebd.
[21] Vgl. hl. Thomas von Aquin, S. Th. II-II, q. 49, 5.
[22] Vgl. Nr. 9.
[23] Vgl. Nr. 8.
[24] Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 43.
[25] Enzyklika Caritas in veritate, 69.
[26] Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 36.
[27] Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate, 51.
[28] Vgl. ebd., 15.51.
[29] Vgl. ebd., 28.51.61; Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus, 38.39.
[30] Vgl. Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate, 70.