Sr. Mayrhofer kritisiert verantwortungslose Politik
Ein deutliches Missverhältnis zwischen Integrationsbemühungen an der Basis und der Politik ortet Sr. Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs (VFÖ). An der Basis sehe sie viel Engagement und Bemühen, Menschen aufzufangen und zu integrieren, so Mayrhofer. Die Politik sei allerdings säumig. "Es gelingt nicht, den großen Gewinn von Zuwanderung zu vermitteln. Da werden lieber Menschen durch das Schüren von Angst abhängig gemacht", kritisierte Mayrhofer im "Standard"-Weihnachtsinterview. Abhängige Menschen seien aber bereit, "sich etwas einreden zu lassen". Mayrhofer: "Wir brauchen Politiker, die nicht auf Wählbarkeit schauen, sondern auf Verantwortung. Die gibt es zu wenig. Wir müssen beide Seiten ernst nehmen - die der Österreicher und jene der Flüchtlinge. Einseitige Lösungsvorschläge bringen uns nicht weiter."
Unter solchen einseitigen Lösungsvorschlägen verstehe sie etwa auch die Einschränkungen bei der Mindestsicherung. Mayrhofer sprach sich für eine "Mindestsicherung ohne Abstufungen" aus. Natürlich sei auch die Kritik berechtigt, dass Menschen, die 40 Jahre arbeiten, dann nicht genug zum Leben hätten. "Da muss ich dann fragen: Wie gibt's denn das? Was läuft da falsch im System?" so die Ordensfrau.
Zur Debatte über verpflichtendes Deutsch als Schul- und Pausensprache meinte die VFÖ-Präsidentin, dass sie dies so nicht für sinnvoll erachte: "Wenn ich mir vorstelle, ich sitze in Schanghai, und dort gibt es einen zweiten Österreicher, dann würde ich sehr gerne mit ihm oder ihr Deutsch in der Pause reden." Sind viele Kinder derselben Muttersprache in einer Klasse, dann bestehe freilich die Gefahr, "dass die nur untereinander reden und die anderen Kinder außen vor sind. Da würde ich sehr genau drauf schauen und mich fragen, wie wir eine Pausensituation schaffen, in der alle mitreden können". Die Schulpolitik müsse auf die richtige Durchmischung achten.
Das sei auch eine Anfrage an die Wohnbaupolitik: "Wo schaffen wir durch die Gestaltungen der Wohnbausituation und die Immobilienpreise indirekt Ghettosituationen? Schraube ich in bestimmten Gegenden die Preise hoch, habe ich dort nur Menschen, die sich das leisten können - die Armen bleiben draußen."
Mayrhofer forderte im "Standard"-Interview weiters eine intensive Schulung der Imame, "denn wer vermittelt den muslimischen Menschen ihre Identität?" Es brauche "gute muslimische Lehrer, die den jungen Menschen helfen, den Islam zu reflektieren und die Botschaft des Koran in den europäischen Kontext zu übersetzen". Die Frage, "ob es einen europäischen Islam gibt, ist eine zentrale Frage unserer Gesellschaft. Wie kommen wir mit Muslimen ins Gespräch, die ihren Glauben und unsere Grundgesetze reflektieren?"
Zum viel diskutierten bzw. angedachten Verschleierungsverbot und dass dieses dann auch Ordensfrauen betreffen könnte, meinte Mayrhofer wörtlich: "Nicht alle Ordensfrauen tragen Schleier. Aber ich selbst habe damit viele sehr persönliche Erfahrungen." Wer heute mit einem Schleier durch die Gegend geht, werde oft mit einer Muslima verwechselt, zumindest in Wien. "Die Leute kennen keine Ordensfrauen mehr. Wenn sie mich sehen, ist das für manche seltsam." Sie wolle aber den Schleier tragen, "und ich will nicht in einer Gesellschaft leben, die mir verbietet, als Ordensfrau den Schleier zu tragen". Warum sollte es sich dann aber eine muslimische Frau verbieten lassen? Mayrhofer: "Was wir brauchen, ist, Frauen Zugang zur Bildung zu vermitteln und ihnen zu helfen, selbstverantwortete Entscheidungen zu treffen."
Den Hinweis auf die stark zurückgehende Zahl an Ordensleuten nahm die VFÖ-Präsidentin gelassen entgegen: "Wir sehen diese Entwicklung in ganz Westeuropa. Aber nachdem es uns Orden durch die Jahrhunderte in neuen Formen immer wieder gegeben hat, mach ich mir keine Sorgen. Und: Totgesagte leben länger."
Traditionelle Ordenseinrichtungen wie Schulen oder Spitäler "haben wir mangels Novizinnen zum Großteil an Trägergesellschaften übergeben. Was aber auch gute Seiten hat: Es macht uns frei für neue Aufgaben." Im Übrigen gebe es durchaus nach wie vor Interesse am Ordensleben, wie die neue Initiative "Freiwilliges Ordensjahr" zeigt, die "begeistert aufgenommen wird".
Quelle: kathpress