Schönborn bei Flüchtlingsthema "vorsichtiger geworden"
Kardinal Christoph Schönborn hat ein Umdenken in der Flüchtlingsfrage einbekannt. Er sei wie viele andere auch von der großen Zahl der Asylsuchenden überrascht und in den Wortmeldungen mittlerweile "vorsichtiger geworden", sagte er am Freitagabend in einem gemeinsamen Interview mit dem evangelischen Bischof Michael Bünker in der ZIB2. Statt alle Flüchtlinge aufzunehmen, müsse man zuerst auf Hilfe vor Ort schauen, damit die Flüchtlinge wieder in ihrer Heimat leben können. Zumindest Hoffnung auf Möglichkeiten der Rückkehr sehe er derzeit im Irak.
Österreich habe die Flüchtlingsnot laut dem Wiener Erzbischof in "Etappen" miterlebt. Angefangen habe es mit der starken Betroffenheit über den Tod von 71 Menschen im Kühlwagen auf einer heimischen Autobahn im Sommer 2015 und der spontanen, weit verbreiteten Reaktion der "starken Hilfsbereitschaft". Er selbst habe anfangs wie viele Experten mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel "Wir schaffen das" gesagt, sagte der Kardinal. Schließlich sei Österreich in seiner jüngeren Geschichte doch auch mit den Flüchtlingen aus Ungarn, Prag oder dem Bosnienkrieg zurechtgekommen.
Im weiteren Verlauf habe sich in der Gesellschaft jedoch ein Gefühl der Überforderung durch die "unglaubliche Zahl an Flüchtlingen" breit gemacht. Schönborn: "Wir haben erfahren müssen: Das geht über unsere Kapazitäten und Möglichkeiten hinaus." Das Problem habe eine andere Dimension bekommen, weshalb europäische Lösungen nötig seien, so der Wiener Erzbischof.
Bünker: Terror ist auch Fluchtursache
Der evangelische Bischof Bünker betonte, die Diskussion um Flüchtlinge erfordere Rationalität und Vernünftigkeit. Europäische Standards wie die Menschenrechte gelte es unbedingt zu wahren, wozu auch das Asyl gehöre. Er betonte auch, dass die Zahl der Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe nicht ab-, sondern zugenommen habe. Unterstützung für diese Engagierten sei nötig, so der Bischof. An eine Spaltung der Gesellschaft glaube er nicht: Es gebe zwar eine starke Polarisierung, aber keine tiefen Gräben.
Bünker rief weiters dazu auf, hergestellte Zusammenhänge kritisch zu hinterfragen: "Jetzt wird stark behauptet: Flüchtlinge bringen Terrorismus. Umgekehrt muss man auch sagen: Der Terrorismus bringt Flüchtlinge, denn diese fliehen ja vor dieser Art von Terrorismus, den wir in Nizza, Berlin oder anderen Teilen Europas erleben mussten." Davon betroffen seien auch viele christliche Gemeinden in Syrien, die zwischen die Fronten geraten oder Opfer von Terror geworden seien. Das Thema sei auch in der Weihnachtsbotschaft gegenwärtig, konkret im Kindermord von Bethlehem oder in der Flucht nach Ägypten.
Schönborn sah angesichts des Terrors eine allgemeine "große Verunsicherung", verwies aber auf "unvergleichlich schlimmere Verhältnisse" vor 70 Jahren. "Vielleicht müssen wir lernen in unserer friedensgewohnten Zeit, dass es nicht selbstverständlich ist, das es Sicherheit, einen Rechtsstaat und einen Sozialstaat gibt", so der Kardinal. Das Leben insgesamt sei unsicher, könnten doch jederzeit Krankheiten eintreten oder Unfälle oder auch ein Terroranschlag passieren. Dies zu sehen, gebe die Chance, Dankbarkeit zu pflegen und Solidarität mit jenen, die ein schweres Schicksal trifft.
"Guter gemeinsamer Weg" bei Ökumene
Die Kirchenführer kamen auch auf die Fortschritte in der Ökumene 500 Jahre nach der Reformation zu sprechen. Auf beiden Seiten seien im 16. Jahrhundert Möglichkeiten der Verständigung verspielt und somit die Religionskriege in Europa heraufbeschworen worden, sagte Bünker. Heute ziehe man Konsequenzen daraus: Von einem Gegeneinander sei man zu einem Nebeneinander und miteinander gekommen, "und heute können wir immer mehr sagen, zu einem Füreinander", so der evangelische Bischof. Diese Lehre könne auch für Europa wichtig sein. Unterschiede müssten nicht zwingend trennen oder spalten; vielmehr sei es den Kirchen möglich, sich "in der Vielfalt miteinander für die gemeinsame Zukunft einzusetzen".
Schönborn berichtete von einer "ganz großen Einheit und Einmütigkeit in der Überzeugung, dass wir für denselben Glauben, dieselben Werte stehen, und dass wir auch profitieren davon, dass wir verschieden sind". Einen "Einheitsbrei" wolle man nicht. Vielmehr hätten die katholische und evangelische Kirche viel voneinander gelernt und bereichere sich gegenseitig. "Die Bibel habt ihr besser kultiviert als wir in der katholischen Kirche", bekannte der Erzbischof. Für den guten gemeinsamen Weg spreche auch die enge Zusammenarbeit der beiden kirchlichen Hilfsorganisationen Caritas und Diakonie.
Quelle: kathpress