Caritas-Generalsekretär Schwertner warnt vor "sozialem Tsunami"
Caritas-Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner sieht den sozialen Frieden in Österreich ernsthaft gefährdet und warnt gar vor einem "sozialen Tsunami". Viele Menschen im Land hätten das Gefühl, "alles wird schlechter, alles wird schwieriger", so Schwertner im "Kurier"-Interview (Montag-Ausgabe): "Es gibt immer mehr arme Menschen, die noch ärmer werden und immer mehr reiche Menschen, die noch reicher werden." Das werde zu Recht als unfair empfunden.
Die politisch Verantwortlichen probierten, unterschiedliche von Armut betroffene Gruppen gegeneinander auszuspielen, kritisierte Schwertner weiter unter Verweis auf die Mindestsicherung. "Hier wurde so getan, als ginge es einer Supermarktkassiererin besser, wenn ein Mindestsicherungsbezieher weniger bekommt", so Schwertner: "So eine Politik ist erstens falsch und zweitens gefährlich."
Es sei ein Durchbruch gewesen, als man sich 2010 österreichweit darauf verständigt hatte, dass niemand unter den Standard der Mindestsicherung fallen soll. Dieses soziale Netz sei nun aber massiv löchrig geworden. In den Bundesländern würden mit den Kürzungen weitere Menschen durch dieses Netz fallen. Schwertner: "Der Sozialstaat zieht sich zurück und überlässt es der Zivilgesellschaft, den NGOs und Nachbarschaftsinitiativen, das abzufedern. Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung."
Das reichste Prozent der Menschen in Österreich besitze mittlerweile 37 Prozent des Gesamtvermögens. Deshalb müsse man eindeutig von einer "Schieflage in unserem Land" sprechen. Schwertner: "Wenn man armutsbetroffene Menschen so unterstützt, dass sie die Armutsspirale durchbrechen können, dann trägt das insgesamt zum sozialen Frieden in Österreich bei. Wenn man das nicht macht, das muss man ganz klar sagen, dann droht ein sozialer Tsunami."
Er habe großes Verständnis dafür, "dass Menschen, die in schwierigen Lebenssituationen sind, in den letzten eineinhalb Jahren zum Teil das Gefühl hatten, es wird auf sie vergessen." Das merke die Caritas auch bei vielen, die sich an sie wenden. Hier gelte es "für uns als Caritas, wie auch für die Politiker, genau hinzusehen und diesen Menschen zu sagen, dass auf sie nicht vergessen wird".
Die Caritas kümmere sich nicht nur um Flüchtlinge. "Wir haben in der Zeit der Flüchtlingshilfe auch die Angebote im Bereich der Pflege, bei Menschen mit Behinderung, in der Hospiz und in der Obdachlosenhilfe ausgebaut", stellte der Generalsekretär klar.
Caritas-Projekt "Le+O"
Eine Million Menschen leben in Österreich an oder unter der Armutsgrenze und können sich viele grundlegende Dinge wie Lebensmittel nicht leisten. Allein in Wien sind 270.000 Menschen von Armut betroffen. Hier hilft die Caritas u.a. mit dem Projekt "Le+O" mit Lebensmitteln und einem individuellen, kostenlosen Beratungs- und Orientierungsgespräch. In bestimmten Pfarren erhalten Menschen mit niedrigem Einkommen einmal pro Woche Lebensmittel zu einem sehr niedrigen Preis, zusätzlich werden individuelle und kostenlose Beratungs- und Orientierungsgespräche angeboten.
Schwertner: "In den letzten Jahren haben wir 80.000 Menschen über die direkte Lebensmittelhilfe unterstützt. Das sind 25.000 Haushalte. Wir geben Woche für Woche 14 Tonnen Lebensmittel in den Pfarren aus. Früher waren es zwischen sechs und acht Tonnen und voriges Jahr waren es zwölf Tonnen." Bei "Le+O" würden aktuell 950 Freiwillige mitarbeiten.
Zur Bemerkung, dass gleichzeitig immer noch pro Jahr 760.000 Tonnen Lebensmittel im Müll landen, wies Schwertner gesetzliche Auflagen, die es etwa der Gastronomie schwer machen, Lebensmittel zu spenden, vor allem wenn es Gekochtes ist. Die gelte es zu ändern. Gleichzeitig müssten sich auch die Konsumenten ihrer Verantwortung bewusst sein, wenn sie am Abend in einen Supermarkt gehen und erwarten, frisch gebackenes Brot zu erhalten.
Vor mehr als einem Jahr hatte die Regierung einen Runden Tisch zum Thema Lebensmittelverschwendung angekündigt, der habe aber bis heute nicht stattgefunden, merkte der Caritas-Generalsekretär kritisch an: "Es wäre gut, wenn sich die politisch Verantwortlichen mit Unternehmen und NGOs an einen Tisch setzen und schauen, wie die Zusammenarbeit besser funktionieren kann."
Quelle: kathpress