Kirchen entwickeln Zukunftsperspektiven für Religionsunterricht
Die Kirchen und Religionsgesellschaften wollen beim konfessionellen Religionsunterricht stärker als bisher kooperieren und können dabei auf bereits bestehenden Modelle aufbauen. Das ist das Ergebnis eines Studientages über "Zukunftsperspektiven des konfessionellen Religionsunterrichts", der am Donnerstag in Wien stattgefunden hat. Auf Initiative des katholischen Schulbischofs Wilhelm Krautwaschl tauschten sich erstmals Spitzenvertreter der Kirchen und Religionen mit Experten über den schulischen Religionsunterricht aus. Er habe nicht zu hoffen gewagt, dass alle der Einladung folgen werden und sei überrascht von den positiven Ergebnissen der Tagung, so der Grazer Bischof im Interview mit "Kathpress". Sie sei zweifelsohne ein "Startschuss für weitere konkrete Schritte".
Der konfessionelle Religionsunterricht habe in Österreich "eine hohe Akzeptanz und eine bewährte rechtliche Basis", so der Bischof. Gleichzeitig wollen die Kirchen "aktiv auf die Veränderungen zugehen", die durch die Pluralisierung der religiösen Landschaft und demografische Faktoren entstünden. Im urbanen Bereich komme es daher immer öfter zu Situationen, wo es "standortspezifische Lösungen" brauche, damit der konfessionelle Religionsunterricht schulorganisatorisch überhaupt durchgeführt werden könne, führte der Schulbischof weiter aus. Die Antwort darauf sei eine verstärkte Kooperation der Kirchen, wo sie möglich und sinnvoll sei.
Krautwaschl verwies dabei auf die sogenannten "religiösen Kompetenzen", die im Zuge der Reform der Reifeprüfung von Kirchen und Religionen gemeinsam erarbeitet wurden. "In den kompetenzorientierten Lernzielen haben wir eine gemeinsame Vision von Religion" und somit einen Anknüpfungspunkt für eine stärkere Zusammenarbeit über Konfessionsgrenzen hinweg, so der Bischof. Weil auch schulische Feiern immer öfter mit Schülern unterschiedlicher Bekenntnisse stattfinden, wolle man die begonnene Zusammenarbeit mit dieser Thematik weiterführen. Ziel sei ein gemeinsamer Leitfaden der Kirchen und Religionen für die religiöse Gestaltung diverser schulischer Feiern und Anlässe.
Hohe Akzeptanz
Der Studientag wurde eröffnet mit einem Blick auf die aktuelle Situation des Religionsunterrichts. Prof. Wilhelm Rees präsentierte dazu die aktuell verfügbaren Zahlen der Kirchen und Religionen, die einen konfessionellen Unterricht organisieren. Demnach besuchen an die 800.000 und somit über 70 Prozent der insgesamt 1.086.000 Schüler den konfessionellen Religionsunterricht. An erster Stelle komme der katholische Religionsunterricht mit knapp 618.000 Schülern, gefolgt vom islamischen mit rund 71.000 und dem evangelischen mit fast 37.000 Teilnehmern.
Der konfessionelle Religionsunterricht zeichnet sich nicht nur durch eine sehr hohe Zahl an Schülern aus, so Rees. Seine Erhebungen hätte zudem ergeben, dass die Kirchen und Religionen insgesamt auf seine solide Ausbildung der Lehrende setzten. Der Religionsunterricht sei insgesamt "gut organisiert und mit niveauvollen Lehrplänen und Religionsbüchern ausgestattet", so der in Innsbruck lehrende Kirchenrechtler.
Nach der Darlegung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den konfessionellen Religionsunterricht durch den Leiter des Kultusamtes, Oliver Henhapel, präsentierte der evangelische Religionspädagoge Martin Rothgangel aktuelle Untersuchungen zum Selbstverständnis des konfessionellen Religionsunterrichts. Dieser müsse "junge Menschen dazu befähigen, ausgehend von eigener Identität durch die Differenzen hindurch Gemeinsames zu finden in einer pluralen Gesellschaft". Dies spreche für eine verstärkte Kooperation der Kirchen im Rahmen des konfessionellen Religionsunterrichts, die ohnedies faktisch oft schon geschehe.
Österreich habe dafür eine ausgezeichnete Grundlage, weil es gelungen sei, dass sich alle Kirchen und Religionen gemeinsam auf insgesamt 14 Kompetenzen im Lehrplan für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe II (Oberstufe) und für die Matura geeinigt haben. "Das ist europaweit einmalig", unterstrich der Dekan der Wiener Evangelisch-Theologischen Fakultät.
Im Blick auf die mögliche Weiterentwicklung des Religionsunterrichts würden aktuelle Religionslehrerbefragungen eine sehr hohe Akzeptanz bzw. Präferenz für konfessionell geprägte Modelle mit kooperativen Elementen ergeben. Nur ein sehr geringer Prozentsatz sei für eine streng konfessionell-missionarische Ausrichtung einerseits oder einen religionskundlichen Unterricht andererseits. Und im Blick auf die Schüler würden Studien belegen, dass der gegenwärtige Religionsunterricht im Gegensatz zu den 1960er Jahren eine sehr hohe Akzeptanz habe. Religion zähle demnach heute zu den drei beliebtesten Fächern in der Grundstufe, danach rangiere es im Mittelfeld.
Konkrete Kooperationsprojekte
Wie stark bereits jetzt schon über konfessionelle Grenzen hinweg der Religionsunterricht möglich ist, wurde anhand konkreter Projekte in Wien deutlich. So hat das katholische Schulamt der Erzdiözese Wien den seit 2002 hauptsächlich für Pflichtschulen angebotenen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht (KoKoRu) weiterentwickelt. Gemeinsam mit der evangelischen, altkatholischen und orthodoxen Kirche wurde im Schuljahr 2015/16 das Projekt eines "dialogisch-konfessionellen Religionsunterrichts" (dkRU) an 29 Schulen gestartet. Mit Zustimmung von Eltern, Schülern, Schule und Kirchen werden dabei Kinder unterschiedlicher Konfession gemeinsam unterrichtet. Dies kann sowohl in Form von Teamteaching erfolgen, unterbrochen von getrennten Unterrichtsphasen, oder auch nur durch einen einzigen Religionslehrer für alle Schüler.
"Im Mittelpunkt des Projekts steht die Kooperation christlicher Konfessionen", erläuterte die Wiener Schulamtsleiterin Andrea Pinz im Gespräch mit "Kathpress". Das Projekt inszeniere konfessionelle Differenz, "um in der Begegnung das konfessionell Eigene ins Bewusstsein zu bringen und ein Miteinander und eine Gemeinschaft mit dem Anderen einzuüben".
Der dkRU bringe den Vorteil für kleine Kirchen, dass damit Kinder überhaupt erst die Möglichkeit eines Religionsunterrichts haben, was sich besonders bei einigen Standorten der Neuen Mittelschule (NMS) oder bei Berufsschulen zeige. Das erklärten die anwesenden Projektverantwortlichen sowie die durchführenden Religionslehrerinnen beim Studientag. Darüber hinaus stärke die ökumenische Zusammenarbeit die Glaubwürdigkeit des Religionsunterrichts bei den Schülern und im Lehrkörper.
Konkrete Schwierigkeiten entstünden vor allem aufgrund der unterschiedlichen Lehrpläne der Konfessionen und des fehlenden Unterrichtsmaterials. Aus organisatorischer Sicht sei es hilfreich, wenn der Religionsunterricht geblockt an einem Nachmittag stattfinden könne. Eine derzeit laufende Evaluierung des dkRU-Projekts zeige durchwegs Positives. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung sei genauso geplant wie die Publikation der Ergebnisse, erklärten die Verantwortlichen.
Teilnehmer des Studientages waren u.a. der griechisch-orthodoxe Metropolit Arsenios (Kardamakis), der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft Ibrahim Olgun, der evangelische Oberkirchenrat Karl Schiefermair, der Generalsekretär der israelitischen Kultusgemeinde, Raimund Fastenbauer, und der syrisch-orthodoxe Chorepiskopos Emanuel Aydin. Vorbereitet wurde die Tagung vom Vorsitzenden des katholischen interdiözesanen Schulamtes, Josef Rupprechter, und der Wiener Schulamtsleiterin Andrea Pinz.
Quelle: kathpress