"Jesus sah nicht 'göttlich' aus"
"Jesus sah nicht göttlich aus": Zu diesem lapidaren Urteil kommt der Innsbrucker Bibelwissenschaftler J. Andrew Doole in einem auf der theologischen Feuilleton-Website www.feinschwarz.net veröffentlichten Aufsatz, in dem er sich dem möglichen Aussehen Jesu widmet. In der Bibel werde zwar "Vieles über Jesus erzählt, wenig aber über sein Aussehen", merkt Doole an. Für dessen äußeres Erscheinungsbild gelte: "Es gibt aber nichts, was zeigt, dass Leute, denen Jesus zufällig begegnet ist, ihn für bemerkenswert hielten... Durch sein Aussehen war nicht ersichtlich, ob er der Messias ist." Der Mann aus Nazareth sei "kein auffälliger Typ" gewesen, erklärt der gebürtige Nordire und u.a. in Oxford ausgebildete Neutestamentler.
Die gängige Vorstellung von Jesus Christus, die am häufigsten gemalte Person der westlichen Kunstgeschichte - "ein weißer Mann mit wunderschönen langen Haaren", Bart und hellem Gewand - basiere auf Einflüssen der byzantinischen Kunst. Frühere künstlerische Darstellungen Jesu waren noch anders: In den römischen Katakomben etwa ist Jesus als für diese Zeit typischer junger Mann gezeichnet - ohne lange Haare und bartlos.
Über sein im Dunkeln bleibendes Aussehen spekulierten spätere Christen wie Justin und Tertullian unter Bezugnahme die Schriften des Alten Testaments - etwa auf Jesaja (Jes 53,2b), wo es heißt: "Und als wir ihn sahen, da hatte er kein Aussehen, dass wir Gefallen an ihm gefunden hätten." Dem Schluss daraus, dass Gottes Sohn kein auffälliges Äußeres hatte, hielten Origenes und Hieronymus die Psalmen entgegen: Die Stelle "Du bist schöner als andere Menschen, Anmut ist ausgegossen über deine Lippen; darum hat Gott dich gesegnet für ewig." (Ps 45,3) wurde auf Jesus gemünzt und behauptet, dieser müsse besonders schön gewesen sein.
Langes Haar und Bart waren unüblich
Solche Vielfalt und Kreativität sei eben deswegen möglich gewesen, weil es ein konkretes Porträt Jesu von Anfang an nicht gab, so Doole. Doch die Texte des Neuen Testaments und seines Umfelds gäben einige Hinweise auf das mögliche Aussehen des historischen Jesus. Dass er lange Haare und einen Bart hatte, sei zwar nicht auszuschließen, würde laut dem Bibelwissenschaftler aber eher zu Johannes dem Täufer als einem ungekämmten wilden Wüstenbewohner passen. "In der Antike waren langes Haar und ein Bart eher ungewöhnlich". Doole sieht einen Hinweis eher darin, dass Jesus öfter bei Gastmahlen anwesend ist, sein Angesicht aber nie kommentiert wird - "er scheint normal ausgesehen zu haben", wie alle anderen im römischen Weltreich.
Als weiteres Argument dafür zitiert Doole den viel gereisten Paulus, der an die Korinther schrieb: "Lehrt euch nicht selbst die Natur, dass, wenn ein Mann langes Haar hat, es eine Schande für ihn ist?" (1 Kor 11,14). "Ein solcher Ausspruch wäre kaum möglich, hätte man damals das unsrige Jesusbild geteilt."
"Fresser und Säufer"
Darstellungen des gekreuzigten Christus als äußerst mager sollen laut dem Innsbrucker Universitätsassistenten die Verlassenheit und das Leiden betonen. Demgegenüber wird Jesus im Neuen Testament vorgeworfen, "ein Fresser und ein Weinsäufer" (Lk 7,34) zu sein. Von längerem Fasten sei nur am Anfang von Jesu Verkündung die Rede; seine Jünger fasteten laut dem Matthäusevangelium nicht (Mt 9,14-15), Jesus selbst betonte, man möge nicht viel Aufsehen um das eigene Fasten machen. In Galiläa scheint Jesus laut Doole gut versorgt gewesen zu sein, Essen und Trinken sei nie ein Problem gewesen, wie mehrere Evangelienstellen zeigten. "Von einem tödlich-mageren Jesus kann nicht die Rede sein", schrieb Doole.
Sein Fazit: "Jesus hätten Sie wohl auf der Straße verpasst. Nur die Lenkung der Aufmerksamkeit einer Gruppe hätte Ihnen verraten, hier sei etwas Sonderbares." Jesus habe offenbar "normal" ausgesehen. "Wie der himmlische Jesus aussieht, dürfen wir noch nicht wissen", so Doole abschließend.
J. Andrew Doole lehrt seit dem Vorjahr am am Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie der Universität Innsbruck. Seine Forschungsgebiete sind u.a. Fragen zu Geschlecht und Gender, "JüngerInnen in apokrypher Literatur" und Humor in den Evangelien. (www.feinschwarz.net)
Quelle: kathpress