Religionsdialog muss bei Ethikfragen ansetzen
Die Ethik ist nach der Auffassung des Wiener Theologen Matthias Beck der einzig mögliche Weg für den Dialog zwischen den Religionen sowie auch zwischen Religion und Wissenschaft. "Wir müssen lernen, religiöse Grundüberzeugungen herunterzubrechen auf die Ethik", sagte der Bioethiker und Priester am Mittwoch in Wien bei der Herbsttagung der Orden. Ein Streit zwischen Christentum und Islam um bloß theoretische Glaubensinhalte sei hingegen sinnlos. Er verschärfe nur vorhandene Vorurteile, weil die Ausgangspositionen für einen Christen und einen Muslim völlig andere seien. Beck äußerte sich vor den Verantwortlichen der Ordensschulen.
Dabei sprach er sich für einen interreligiösen Ethikunterricht aus, den er als "einzige Chance für die Integration junger Muslime" bezeichnete. Zentral gehe es beim Ethikunterricht darum, den jeweiligen Glauben argumentieren zu lernen. Ethik sei die "Hinführung zur Religion" und könne klar machen, wozu Religion im Alltag nötig sei. "Wenn wir mit den ethischen Alltagsfragen beginnen, sind wir sehr schnell bei den Gottesbildern", so der Experte.
Der Religionsunterricht sollte dabei nicht abgeschafft werden. Becks Vorschlag für die Schulen: In einer Woche zunächst zwei Stunden Ethikunterricht, dann zwei Stunden Religionsunterreicht. "Fragen werden somit aufgeworfen und beantwortet." Privatsache sei Religion auf jeden Fall nicht, sondern sie sei "höchst politisch": "Es macht einen Unterschied, ob ich Kinder zur christlichen Nächsten- oder sogar Feindesliebe hinführe oder zu den Ideen der Islamisten. So wie wir Menschen ausbilden, so ist auch die Gesellschaft."
Zug bei Ethik verpasst
Das Christentum in Österreich ist laut Becks Einschätzung allerdings 20 Jahre im Rückstand bei der Ausbildung von Ethiklehrern. "Wir haben diesen Zug verpasst. Vielleicht retten uns die Muslime und sorgen dafür, dass wir unsere christliche Fakultät wieder auf Vordermann bringen", so der Theologe mit dem Verweis auf sechs neue Lehrstühle für islamische Theologie, die laut seinen Angaben ab 2017 an der Universität Wien eröffnet werden.
Dass Christen stärker in "Wettbewerbssituation" geraten würden, beurteilte Beck positiv: "In Deutschland hat die Reformation die Katholiken letztendlich auf Trab gebracht." Rein katholische Länder seien heute in der theologischen Diskussion hingegen "weg vom Fenster".
Die vermehrte Präsenz von Muslimen in Europa sieht der Theologe als "einen der drei großen Wakeup-Calls des heiligen Geistes" - neben der Säkularisierung der naturwissenschaftlich geprägten Welt und den Kirchenaustritten aufgrund der Missbrauchskrise.
Als "großes Verdienst von Immanuel Kant" bezeichnete Beck, dass der deutsche Aufklärer christliche Werte in philosophische Sprache übersetzt habe. Das christlich geprägte Verständnis von Menschenwürde sei somit "universalisierbar" geworden, und es habe erst in der Folge zur Formulierung der Menschenrechte kommen können. Ebenso seien die Kirchen heute dazu genötigt, christliche Grundüberzeugungen in eine von allen verstandene, säkulare Sprache zu übersetzen. Schließlich sollten auch nach Europa kommende muslimische Migranten angeleitet werden, "dass auch sie argumentieren, warum es bei ihnen so ist".
Große Defizite ortete Beck allerdings beim Selbstverständnis des heutigen Christentums in Europa. "Viele Christen müssen erst lernen, woher ihre Worte kommen." Das auf Freiheit aufbauende Menschenbild, die Grundzüge der demokratischen Rechtsordnung, die soziale Marktwirtschaft sowie auch wesentliche Entwicklungen der Kunst, Kultur und Musikgeschichte etwa seien in ihrer Entstehung ohne das Christentum undenkbar. "Wir können uns freuen über unsere Religion und stolz auf sie sein, ohne dabei arrogant aufzutreten", so Beck. Souveränität bei der eigenen Position sei notwendig, um sich mit dem Fremden auseinanderzusetzen.
Quelle: kathpress