"Ich bitte um Vergebung"
Kathpress dokumentiert im Folgenden den Wortlaut der Rede von Kardinal Christoph Schönborn beim Staatsakt "Geste der Verantwortung" am 17. November 2016 im Parlament in Wien:
Ich stehe hier als Vertreter jener Einrichtung, die für viele von Ihnen mit schlimmsten Erinnerungen verbunden ist. Ich bin in einer Landschule aufgewachsen, Volksschule und dann ein Gymnasium, in denen die schwarze Pädagogik selbstverständlich war. Das war in den Nachkriegsjahren, in den 1950er-Jahren. Es wurde sehr viel geprügelt, auch in der öffentlichen Schule. Aber, das was Sie erlebt haben, das konnte ich mir nicht vorstellen. Und das was in kirchlichen Einrichtungen geschehen ist, das was Priester und auch Nonnen Menschen, Jugendlichen angetan haben, das konnte ich mir nicht vorstellen.
Als zum ersten Mal laut und deutlich von kirchlichem Missbrauch die Rede war, ich gestehe es, habe ich das als böse Erfindung der Medien empfunden, bis ich sehr bald gemerkt habe, erfahren habe, durch Gespräche, durch Begegnungen: Es ist bittere Wahrheit. Und es hat mich und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Überzeugung gebracht: Nur eines hilft: die Wahrheit.
"Die Wahrheit wird euch frei machen", hat Jesus gesagt. Auch wenn es schwer fällt auf sie hinzuschauen: Wir haben in der Kirche, wie auch im Staat, zu lange weggeschaut. Wir haben vertuscht, wir haben, wenn Missbrauch bekannt geworden ist, Leute versetzt und nicht abgesetzt. Für diese Schuld der Kirche stehe ich heute vor Ihnen und sage: Ich bitte um Vergebung.
Die Wahrheit macht frei - nur die Wahrheit! Sie ermöglicht es, nach vorne zu schauen. Sie ermöglicht es, die Vergangenheit ehrlich anzuschauen und dann Schritte zu setzen in eine bessere Zukunft. Deshalb danke ich der Frau Präsidentin des Nationalrates für die mutige Geste dieses Staatsaktes. Wir können Verantwortung nur gemeinsam übernehmen. Es ist ein starkes Zeichen, dass die höchsten Repräsentanten des Staates sich zu der Schuld, die an Ihnen und an vielen anderen geschehen ist, bekennen - und ich stehe nicht an, dass die Kirche hier ihr Versagen genauso einbekennen muss.
Ich bin überzeugt, dass das was heute hier geschieht, ein Signal ist, dass solches Schlimmes, Schreckliches, was wir nur in kleinen Auszügen heute gehört haben, der Vergangenheit angehört.
Ich habe vor diesem Staatsakt mit einem Opfer schweren kirchlichen Missbrauches gesprochen und sie gefragt: Was wäre Deine Botschaft heute an die Menschen, die hier versammelt sind? Und sie, die sehr viel mitgemacht hat, hat mir gesagt - ich traue mir das nicht von mir aus zu sagen, ich sage es als eine Botschaft von ihr -: "Man kann uns alles nehmen, aber unsere Würde kann uns niemand nehmen!"
Ich gebe Ihnen dieses Wort weiter, das mir heute gesagt worden ist, und ich glaube, dass dieser Staatsakt genau das sagen will. Ihnen allen. Es ist Ihnen viel an menschlicher Würde genommen worden, aber letztlich kann niemand Ihnen Ihre persönliche Würde nehmen. Das will heute dieser Staatsakt bekunden. In diesem Sinne verbeuge mich vor Ihnen und vor dem, was Sie gelitten haben.