Ökumene: Theologe warnt vor überzogenen Erwartungen
Vor überzogenen Erwartungen bei der Frage des gemeinsamen Abendmahls mit den Lutheranern warnt der Wiener katholische Theologe Jan-Heiner Tück. Die zum Reformationsgedenken am 31. Oktober im schwedischen Lund von Papst Franziskus und dem Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib Younan, unterzeichnete "Gemeinsame Erklärung" sei die "klare Markierung eines Desiderats, aber noch keine Lizenz", schreibt Tück in einem Gastbeitrag in der "Neuen Zürcher Zeitung" am Mittwoch. "Konservative Katholiken, die mit Franziskus die Ära einer nachdogmatischen Kirche angebrochen sehen, können noch einmal aufatmen, während protestantische Theologen, die eine theologische Anerkennung der Reformationskirchen durch Rom erwarten, sich weiter gedulden müssen", so Tück.
Würde Papst Franziskus trotz aller anhaltenden Differenzen in den Fragen des Amts- und Kirchenverständnisses eine Abendmahlsgemeinschaft bejahen, so wäre das "in der Tat eine kleine Revolution", da dies zugleich die "theologische Anerkennung der Reformationskirchen" bedeuten würde; eine Anerkennung, die ihnen u.a. im umstrittenen Dokument der Glaubenskongregation, "Dominus Iesus" (2000), verwehrt wurde. Die Tatsache, dass Franziskus auf eine Ökumene "jenseits der akademischen Theologie" dränge und in Lund etwa das Wort "Kirche" laut Tück "auffällig vermieden" habe, spreche dafür, dass der Papst einstweilen an der offiziellen vatikanischen Position festhalte, dass die Abendmahls- bzw. Eucharistiegemeinschaft den "sichtbaren Ausdruck der vollen Kirchengemeinschaft" darstellt und nicht als Vehikel einer noch zu erreichenden Einheit missbraucht werden dürfe.
Jenseits der Abendmahlsfrage jedoch sei es an der Zeit, so der Theologe weiter, die reformatorischen Grundanliegen auch katholischerseits anzuerkennen und das Bild Luthers als "Erzketzer" zu korrigieren. Die jüngste "Gemeinsame Erklärung" aus Lund weise deutlich in diese Richtung, ebenso das päpstliche Schreiben "Evangelii Gaudium", in dem Papst Franziskus einen ökumenischen "Austausch der Gaben" anregt und damit zu erkennen gibt, dass es auch katholischerseits zu würdigen gilt, was der Heilige Geist in und durch die evangelischen Kirchen wirke.
Tatsächlich berühre Franziskus mit dieser Formulierung von den gemeinsamen Gaben einen sensiblen Punkt, erinnere dies doch an die These des evangelischen Theologen Oscar Cullmann, der bereits in den 1980er-Jahren für ein Ökumene-Modell einer "Einheit in Vielfalt" plädiert hatte, insofern alle drei konfessionellen Ausgestaltungen - also Katholizismus, Orthodoxie und Protestantismus - die Ausformungen der einen Kirche Jesu Christi seien - mit je eigenen Charismen und Gaben. "Auch Franziskus sieht in der konfessionellen Vielgestaltigkeit de facto eine Bereicherung", so Tück - eine theologische Anerkennung Cullmanns jedoch sei dies noch nicht, denn auch diesbezüglich wartet die katholische Lehrtradition mit Fallstricken auf: Schließlich stützt sich das katholische Selbstverständnis bis heute auf die Annahme, dass die eine Kirche Christi unüberbietbar in der römisch-katholischen Kirche verwirklicht ist. Eine Anerkennung einer "Einheit in Vielfalt" käme einer Revision dieser Lehre gleich - auch dies ein Schritt, den der Papst in Lund nicht getan hat.
Quelle: Kathpress