Starke Dynamik in Kirche zu Abkehr von Klerikalismus
Die Kirche wird nach Ansicht des Pastoraltheologen Paul M. Zulehner künftig noch mehr vom Ehrenamt bestimmt sein als bisher: Derzeit finde ein "Umbau von einer Priesterkirche zu einer priesterlichen Volk-Gottes-Kirche" statt, der sich fortsetzen werde, erklärte der Theologe am Donnerstag gegenüber "Kathpress". Anlass für das Interview zum Thema Ehrenamt gab die Jugendsozialaktion "72 Stunden ohne Kompromiss", die derzeit als eines der größten Freiwilligen-Projekte Österreichs läuft.
Alle Menschen in der Kirche hätten als "Grundamt" die Berufung, "Mitarbeiter Gottes" zu sein, betonte der Wiener Theologe. "Es gibt in der Kirche keine Unberufenen und Unbegabten." Der Dienst Gottes an der Welt müsse "gratis" geschehen, da er Ausdruck eines "unverdienbaren Geschenks Gottes an die Welt" sei. Dass in der Kirche bei ihrer Institutionalisierung auch die Bezahlung eingeführt worden sei, diene dazu, jemandem mehr Zeit für seinen "im Grunde unentgeltlichen Dienst" zu verschaffen.
Als sinnvoll bezeichnete Zulehner die Aufteilung in zahlreichen katholischen Organisationen, bei denen die Vorsitzenden ehrenamtlich tätig sind, während Generalsekretäre hauptamtlich bestellt werden. Das Hauptamt erweise sich hier als "Dienst am Ehrenamt", zudem würden somit auch Kleriker an ihre pastorale Hauptaufgabe erinnert, das Ehrenamt zu fördern und dieses "in der Spur des Evangeliums zu halten" - "wiewohl manchmal auch gläubige Ehrenamtliche Priester in Glaubenskrisen stützen können", bemerkte Zulehner.
Zwar sei eine "Priesterkirche, in der Wenige das Sagen haben und das Kirchenvolk sakramental und moralisch versorgen", für Laien "viel bequemer"; ihre Aufgabe sei es hier in erster Linie "die überforderten Priester entlasten". Doch, so Zulehner, die Zukunft gehöre einer Kirche, "in der alle eine wahrhafte Gleichheit an Würde und Berufung haben" und "nicht Mitarbeiter des Klerus, sondern Mitarbeiter Gottes" sind. Auch Papst Franziskus spreche sich häufig dafür aus, wenn er heftig gegen den "Klerikalismus" predige.
Gewandelte Motive
Von den Motiven her befinde sich das Ehrenamt heute auch in der Kirche im starken Wandel, bemerkte der Religionssoziologe. Seien einst viele Dienste aus überwiegend religiösen Gründen - "um Gotteslohn" - ehrenamtlich gemacht worden, gewännen nun die Teamarbeit, das nachhaltige Mitgestalten oder die erfahrene Anerkennung an Bedeutung.
Auch die Teilnahme von tausenden Jugendlichen an der derzeitigen Sozialaktion "72 Stunden ohne Kompromiss" deutete Zulehner dahingehend: Engagement bei der Katholischen Jugend, Jungschar oder im Pfarrgemeinderat sei heute bei beruflichen Bewerbungen oft vorteilhaft, beweise es den Arbeitgebern doch soziale Kompetenz und Bereitschaft zu solidarischem Mitwirken. Bis Freitag beteiligen sich 5.000 österreichische Jugendliche in 400 Einzelaktionen an dem dreitägigen Projekt von Katholischer Jugend, "youngCaritas" und Hitradio Ö3; sie helfen dabei u.a. in Armenküchen, streichen Flüchtlingshäuser oder kochen mit unbegleiteten jungen Flüchtlingen.
Überforderungs-Gefahr
Zu anderen Entwicklungen bei Freiwilligkeit in der Kirche äußerte sich Zulehner allerdings mit Sorge: Zwar gebe es derzeit "so viele Ehrenamtliche wie wohl nie zuvor" in der Kirche, doch würden dabei "immer weniger Menschen immer mehr Aufgaben" übernehmen. Die Betroffenen seien dann "wie Christbäume in der Weihnachtszeit reich mit Aufgaben behängt", außerdem fehlten die Jüngeren.
Als Lösung schlug der Theologe das Modell der französischen Diözese Portiers vor, wo Ehrenamtliche maximal sechs Jahre in einem Dienst tätig sind. Sie suchen in dieser Zeit schon mögliche Nachfolger und schulen diese ein. Wichtig sei zudem, Talente und Fähigkeiten sorgfältig zu unterscheiden: "Junge Menschen sind eher bereit in der Flüchtlingsarbeit einer Gemeinde mitzumachen als zu Bildungsvorträgen zu gehen. Das kann man bedauern, aber auch nützen."
Quelle: kathpress