Polak zu Radikalisierungsstudie: Müssen um Jugendliche kämpfen
Vor einer politischen Instrumentalisierung der neuen Studie zur wachsenden Radikalisierungsgefährdung von Jugendlichen aus sozial schwächeren Milieus in Wien warnt die Pastoraltheologin Regina Polak. Man dürfe die Ergebnisse keinesfalls verharmlosen, die auch gesamtgesellschaftlich wahrzunehmende Radikalisierung "macht mir Sorge", sagte sie am Montag auf "Kathpress"-Anfrage.
Gleichzeitig mahnte Polak zu einer differenzierten Ursachenanalyse und warnte vor Lösungsvorschlägen, die einzelne Gruppen wie etwa Muslime stigmatisierten. Notwendig sei ein gemeinsames politisches Projekt vieler gesellschaftlicher Kräfte, auch der Kirchen und Religionsgemeinschaften. "Wir müssen um diese jungen Menschen kämpfen, damit wir hier gemeinsam zusammenleben können", sagte Polak.
Die Pastoraltheologin spricht sich damit für einen grundsätzlicher Ansatz aus, den sie in der aktuellen Integrationsdebatte vermisst. "Mir geht die starke Mitte ab, die sagt, wir ringen hier um ein Zusammenleben", so Polak. Grundbasis im konkreten Fall wäre "die fundamentale Anerkennung, dass diese Jugendlichen Staatsbürger sind, zu uns gehören, und es darum geht, sich gemeinsam für sie zu engagieren".
In den aktuellen Studienergebnissen sieht die am Institut für Praktische Theologie der Universität Wien lehrende Wissenschaftlerin denn auch eine Chance. Die Studie liefere Zahlen für einen Bereich, in dem es sonst keine Daten gebe. "Die Studie zwingt uns auf die Situation junger Menschen in Österreich zu schauen, die sich abgehängt fühlen."
Forschungen über in zweiter und dritter Generation in Österreich lebende junge Menschen zeigten, dass die Frage nach religiöser Identität stark auch zu einem Mittel des Kampfes um soziale Anerkennung geworden ist, fügte Polak hinzu. Mitverantwortlich dafür macht die Pastoraltheologin - sie hat etwa für die österreichische Jugendwertestudie in der Vergangenheit auch die Religiosität von Jugendlichen mit Migrationshintergrund untersucht hat - Versäumnisse in der Integrationspolitik. Nicht nur in Österreich habe man es lange verabsäumt, Menschen muslimischer Herkunft eine selbstverständliche Zugehörigkeit in den Gesellschaft zu ermöglichen. "Da ist einfach zu wenig passiert."
Wie viel von den aktuellen Studienergebnissen durch den Faktor Religion und wie viel durch Soziologie erklärbar ist, lässt sich laut Polak nicht sagen. Das Thema habe sehr viele Facetten. "Faktum ist, dass bestimmte Interpretationen religiöser Texte anfälliger dafür sind, Identitätskonstrukte zu entwickeln", so die Theologin. Dies betreffe jedoch nicht nur den Islam, sondern auch das Christentum.
Wohl aber seien hierzulande Muslime besonders betroffen, so Polak, die dazu auf die soziale Herkunft vieler Zuwanderer in den vergangenen Jahrzehnten - Stichwort Gastarbeiter - verweist. Kinder aus wirtschaftlich und bildungsmäßig schwächer aufgestellten Milieus hätten es grundsätzlich schwierig, erinnerte Polak. In den aktuellen Problemen sieht sie daher auch eine "Rückfrage an das Bildungssystem".
Polak lenkt zudem den Blick darauf, dass auch in Österreich viele Jugendliche in prekären Verhältnissen heranwachsen. "Bevor wir über Religion reden, schauen wir uns die ökonomischen Fragen an", appellierte die Pastoraltheologin.
Rassismus weit verbreitet
Für die am Montag veröffentlichte Studie haben der Soziologe Kenan Güngör und die Minderheiten-Forscherin Caroline Nik Nafs im Auftrag der Stadt Wien rund um den Jahreswechsel 2014/2015 insgesamt 401 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren, die in Jugendzentren und Parks im Rahmen der "offene Jugendarbeit" betreut werden, zu ihren Einstellungen und Werten befragt. 85 Prozent von ihnen wiesen einen Migrationshintergrund aus mehr als 50 Herkunftsländern auf, wobei knapp 70 Prozent der Befragten österreichische Staatsbürger waren. 53 Prozent waren muslimisch, 36 Prozent christlich. Bei der Präsentation der Ergebnisse betonte Güngör, dass aus den Zahlen aus der offenen Jugendarbeit kein repräsentativer Rückschluss auf alle Wiener Jugendlichen an sich gezogen werden könne, da die Befragten zumeist sozial schwächeren Gruppen angehörten.
Eines der drastischen Ergebnisse der Studie ist, dass mehr als ein Viertel (27 Prozent) der insgesamt 214 befragten jungen Muslime latent gefährdet ist, sich zu radikalisieren. Sie hegen demnach starke Sympathien für den Dschihadismus, bejahen Gewalt, wenn es um Religion oder Ehre geht, und stehen der westlichen Kultur feindselig gegenüber.
Insgesamt sind zudem Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und die Abwertung der Gleichstellung von Frau und Mann bei den befragten muslimischen Jugendlichen deutlich ausgeprägter als bei anderen Gruppen. 63 Prozent von ihnen weisen laut den Studienautoren eine rassistische Einstellung auf, 59 Prozent äußerten sich homophob, fast jeder Zweite (47 Prozent) antisemitisch. Bei all dem schätzen sich Muslime zudem religiöser ein als Nicht-Muslime. Allerdings: Es handelt sich häufig um nach außen getragene Religion, weniger um Spiritualität. "Religion ist oft mehr ein Element, um die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft zu zeigen", führte Studienautorin Nik Nafs gegenüber der "Austria Presse Agentur" aus.
Aber auch unter den befragten orthodoxen Jugendlichen ist Rassismus ein Problem. 48 Prozent hegen eine negative Einstellung gegenüber einer anderen ethnischen Gruppe. Mit 50 Prozent bzw. 28 Prozent ist auch Homophobie und Antisemitismus in dieser Gruppe weit verbreitet.
Unter den befragten katholischen Jugendlichen äußerten mit 36 Prozent ebenfalls mehr als ein Drittel rassistische Einstellungen. Ein Viertel der befragten Katholiken in der Studie wird von den Forschern als homophob (24 Prozent) eingestuft, 7 Prozent neigen demnach zum Antisemitismus.
Quelle: kathpress