Luthers Ablassthesen aus heutiger Sicht "reformkatholisch"
Von heute aus betrachtet seien Martin Luthers Ablassthesen, mit denen er sich 1517 gegen die damalige Ablasspraxis der Kirche wandte, als "reformkatholisch" zu bewerten. Das betonte der deutsche Neutestamentler Prof. Thomas Söding in einem Beitrag in der aktuellen Ausgabe der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag".
Den Kern von Luthers Kritik umschrieb der Theologe folgendermaßen: Der Ablass, wie er damals gepredigt wurde, widerspreche der Bibel; er schreibe der Kirche und besonders dem Papst ein Recht zu, das ihm nicht zustehe; er führe zu einer Veräußerlichung des Glaubens, zu einer Abhängigkeit einfacher Menschen von angemaßter Autorität.
Luthers Kritik hätte sich eine konstruktive Antwort verdient, die es aber nicht gegeben habe, bedauerte Söding. Luther habe sich dann in Folge radikalisiert und von der großen Mehrheit der Kirche isoliert. "Nötig wäre das nicht gewesen."
Laut Prof. Söding gibt es heute zwar charakteristische Unterschiede zwischen evangelischer und katholischer Rechtfertigungslehre, "aber sie trennen die Kirchen nicht, sondern verbinden sie auf eine spannende Weise". Der Theologe verwies auf die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre", die am 31. Oktober 1999 in Augsburg von katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund unterzeichnet wurde. Söding: "Es gab, vor allem auf evangelischer Seite, viel Widerspruch. Aber Luther hätte sich gefreut."
Gegen "gute Werke" könne niemand etwas haben, der bei klarem Verstand ist. "Gottes- und Nächstenliebe gehören zusammen. Aber wer Gutes tut, um vor anderen als gut zu erscheinen, ist ein Heuchler. Jesus hat das in der Bergpredigt gesagt, Paulus hat es an einem empfindlichen Punkt konkretisiert." Luther habe "hier und da überzogen", aber er habe theologisch Recht, wenn er die Heilshoffnung nicht von guten Taten abhängig macht, sondern umgekehrt die Werke der Liebe als Konsequenz des Glaubens erkennt.
Bünker: Luther wollte keine Kirche gründen
Auch der lutherische Bischöf Michael Bünker unterstrich im "Sonntag"-Interview die Bedeutung der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Die Kirchen seien sich einig, "dass es ganz auf die Gnade Gottes ankommt, dass der Mensch ganz auf Gottes Gnade angewiesen ist".
Kurzgefasst lautet die Rechtfertigungslehre laut Bischof Bünker so: "Die Rechtfertigungsbotschaft im christlichen Verständnis geht vom grundsätzlichen bedingungslosen und voraussetzungslosen Ja Gottes zu jedem Menschen aus. Und dieses Ja, dieses Du bist angenommen, das sich gesagt sein zu lassen, das ist der Glaube." Deswegen gehörten das "Sola gratia" ("Allein aus Gnade") und das "Sola Fide" ("Allein aus Glauben, durch den Glauben") zusammen. Der Glaube sei kein passives An-sich-geschehen-Lassen, sondern immer auch ein aktives Tätig-Sein und eine Folge dieser grundsätzlichen Bejahung.
Bünker betonte, dass Martin Luther keine Kirche gründen wollte. Vielmehr sei es ihm darum gegangen, die Kirche zu reformieren und zum Evangelium zurückführen, wie er selbst sagte. "Dass das letztlich nicht gelungen ist, ist eine der offenen Stellen für die Ökumene bis heute", so Bünker.
Luther fordere aber jedenfalls bis heute die gesamte Christenheit heraus, "sehr konzentriert auf den Grund des Glaubens und auf den Grund der Kirche zu schauen: auf Jesus Christus." In dieser Beziehung sei Luther etwas eröffnet worden, was bis heute für alle Kirchen von großer Bedeutung ist. Wenn Papst Franziskus von der Freude des Evangeliums und am Evangelium spricht, "dann kann das jemand, der aus der lutherischen Tradition kommt, sofort und gern unterschreiben", so der Bischof.
Anderes Kirchen- und Amtsverständnis
Als immer noch offene Frage im katholisch-lutherischen Dialog führte Bünker das unterschiedliche Kirchen- und Amtsverständnis an: "Wie verstehen wir die Kirche? und daraus folgt: Wie verstehen wir das Amt in der Kirche? Und daraus folgt: Wie verstehen wir die Leitung bei der Sakraments-Feier?" In dieser Abfolge würden die Aufgaben vor beiden Kirchen liegen.
Bünker: "Unsere katholischen Geschwister betonen immer: Erst wenn wir im Hinblick auf das Kirchen- und Amtsverständnis Übereinstimmung gefunden haben, dann kann es eine gemeinsame Eucharistiefeier geben. Während wir Evangelische sagen, die gemeinsame Eucharistiefeier könnte schon jetzt ein wichtiges Signal sein, dass wir uns auf dem Weg zur Einheit befinden und uns nicht davon abbringen lassen."
Quelle: kathpress